Wenn nicht nur die Waffen sprechen

Libanesische und israelische Blogger schreiben über den Krieg im Libanon. Über die Grenzen hinweg entwickelte sich ein nie da gewesener Dialog.

Von Ingmar Kreisl

​​Libanesische und israelische Blogger schreiben über ihre Erlebnisse und Ansichten über den Krieg. Sie schreiben aus Luftschutzbunkern in Israel, Hochhäusern in Beirut und Internetcafes. Sie erzählen oft nicht von Politik, sondern von den alltäglichen Konsequenzen des Krieges, von zerstörten Träumen und der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Kämpfe.

Die libanesische Künstlerin Zena beschreibt seit Beginn der israelischen Angriffe in einem Blog ihre Gefühle und ihre Hoffnungen, bevor der Krieg über den Libanon hereinbrach:

"In den letzten sechs Jahren habe ich meinen besten Freunden ein Beirut versprochen, das unsere Kinder lieben werden. Ein Beirut, das gut zu uns und unseren Freunden ist. Ein Beirut, das wie keine andere Stadt auf der Welt werden würde."

Zwei Wochen nach Beginn der Luftangriffe zeugen ihre Einträge von Resignation und Hoffnungslosigkeit. Am 2. August schreibt sie nur noch: "Ich fühle mich so hilflos".

Gesichtslose Menschen

Amin Younes, Cafébesitzer in der ehemals belebten Beiruter Hamra-Straße, beschreibt Beirut während der Angriffe so: "Die Straßen sind immer noch leer und traurig, die wenigen Menschen, die ich bediene, immer noch gesichtslos."

Viele Libanesen fühlen sich in die Zeit des Bürgerkrieges zurückversetzt, als Stromausfälle und lange Schlangen in den Supermärkten normal waren. Zadigvoltaire schreibt auf seinem Blog über die Versorgungssituation in Beirut nach Beginn der Angriffe: "Keine Antibiotika, kein Strom und immer weniger Benzin."

Angesichts der vielen Opfer und der Zerstörung solidarisieren sich immer mehr Libanesen mit der Hisbollah, auch wenn sie ihr gegenüber vorher kritisch eingestellt waren.

Oft kann man in den Blogs von der Notwendigkeit lesen, die innerlibanesischen Probleme angesichts der Krise zu vergessen und sich vereint gegen den "Feind" zu stellen. Laut einer Studie des 'Beirut Center for Research and Information' unterstützen 87 Prozent der Libanesen den Widerstand der Hisbollah gegen die israelische Armee.

Einer von ihnen, Nickname Gaztastic, schreibt: "Lasst uns als Libanesen unsere internen Probleme für den Augenblick vergessen und versuchen, vereint zu sein, um unser Land zu schützen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich gegenseitig zu beschuldigen … Es ist Zeit, zusammenzuhalten, unser Land zu schützen."

Mustapha beschreibt in seinem Blog Beirut.spring, den er nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 startete, dass er die Hisbollah zwar als politischen Feind betrachtet, sie aber dennoch ein Teil des politischen Systems und deswegen auch ein Teil des Libanon sei.

Immer wieder Sirenen

Auf der anderen Seite, in Nordisrael, leben die Menschen genauso in Angst vor dem nächsten Einschlag, dem nächsten Luftalarm. Die Eskalation, die auf die Entführung israelischer Soldaten durch die Hisbollah folgte, war für viele Israelis ein Schock, hatten manche doch nach dem Abzug aus dem Gazastreifen mit einer Beruhigung der Lage gerechnet.

Ein Blogger aus dem Norden Israels, der nach langem Urlaub zurückkam, beschreibt seine Empfindungen bei der Rückkehr so:

"Ich habe ein Land verlassen, das relativ ruhig war (…). Nur einen Monat später finde ich mich in einem von Dramen und Tragödien erfassten Land wieder."

Auf kishkushim.blogspot.com schreibt eine Gruppe Studenten über ihr Leben in Haifa seit Beginn der Angriffe. "Die Sirenen heulten wieder, und wir rannten in den Flur, das ist der einzige Ort unserer Wohnung, der keine Fenster, Wände oder Türen nach außen hat."

"Gerade als wir uns zum Abendessen ins Wohnzimmer setzten, startete das Heulen der Sirenen zum siebten Mal heute. Während wir uns in den Gang quetschten, hörten wir acht Raketen einschlagen", fährt Carmia fort. Bis zu zwölf Mal am Tag ertönt die Luftschutzsirene und zwingt die Einwohner in die Bunker.

"Hallo Libanon, hallo Israel"

Obwohl die Politiker beider Lager nicht miteinander sprechen, beginnen die Bürger miteinander zu diskutieren. Viele Blogger nutzen die Möglichkeit, über ihre Internetseiten miteinander zu kommunizieren - für Israelis und Libanesen die einzige Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten, da offiziell Krieg zwischen den beiden Staaten herrscht.

"Hallo Libanon, hallo Israel", schreibt der Israeli Ben Basat in seinem Blog. "Ich weiß nicht, was passieren wird, aber wir sollten die Vorteile und die Macht des Blogging nutzen, um ein Forum für alle zu schaffen." – Dies scheinen zumindest einige Blogger tun zu wollen - immer öfter findet man Kommentare israelischer Blogger auf libanesischen Blogs – und umgekehrt.

Eines der kuriosesten Dinge erlebte nach eigenem Empfinden die kanadisch-israelische Journalistin Lisa Goldman. Eines Nachts chattete sie mit einem Blogger aus Beirut, während die israelische Luftwaffe die Stadt bombardierte. Auf ihrem "Blog On the Face" schrieb sie über die "surreale Erfahrung":

"Wir haben gechattet, während er auf dem Dach seines Appartements in Beirut saß und Raketen beobachtete, die von israelischen Kampfflugzeugen auf seine Stadt fielen."

Direkte Kontakte über Grenzen hinweg

Ein weiteres Beispiel für die Annäherung der Zivilisten beider Seiten ist der israelisch-libanesische Blog arabisraelipeace.com. Initiiert von einer Israelin und einem Libanesen ist das Ziel der Site, den Austausch zwischen beiden Seiten zu stärken und "Araber und Israelis zusammen zu bringen."

Auch israelische Soldaten scheinen Blogs im Libanon als Informationsquelle wahrzunehmen. So schreibt etwa Sachar:

"Hey, ich bin ein IDF-Soldat, der an der libanesischen Grenze stationiert ist, (...). Wir können hier in Israel nicht alle Bomben auf den Libanon sehen (normalerweise konzentrieren wir uns auf die Bomben auf Israel), so seid ihr diejenigen, die mich größtenteils auf dem Laufen halten. (...) Ich will jetzt keine Diskussion darüber anfangen, wer Recht hat und wer nicht, letztlich ist es nie richtig, dass Zivilisten von beiden Seiten Opfer werden."

Da man auf den Seiten jeden Eintrag kommentieren kann, sind zahlreiche Diskussionen zustande gekommen, in denen Israelis und Libanesen direkt miteinander sprechen und ihre jeweiligen Ansichten darlegen können.

Trotz all der positiven Entwicklung innerhalb der Bloggosphere, so nennt man die Gemeinschaft der Blogger im Internet, ist dennoch festzuhalten, dass sie nur einen kleinen Teil innerhalb der jeweiligen Gesellschaft ausmacht.

Meist sind es junge, gut ausgebildete Akademiker, die auf Englisch miteinander chatten. Schiitische Flüchtlinge, die in Notquartieren untergebracht sind und alles zurücklassen mussten, findet man in den Blogs nicht.

Ob die Blogger tatsächlich diejenigen sind, die sie behaupten zu sein, bleibt allerdings immer offen. Theoretisch kann sich jeder als Israeli oder Libanese ausgeben, geprüft werden kann dies nicht.

Ingmar Kreisl

© Qantara.de 2006

Qantara.de

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