Islamdialog im Sprechgesang

Auf Hochzeiten, aus Autoradios oder beim Kauen von Qatblättern - die traditionellen Klänge der Laute sind im Jemen allgegenwärtig. Doch dank des europäisch-islamischen Kulturdialogs hält nun auch Hip-Hop Einzug auf jemenitischen Bühnen. Von Klaus Heymach

Auf Hochzeiten, aus Autoradios oder beim Kauen von berauschenden Qatblättern - die traditionellen Klänge der Laute sind im Jemen allgegenwärtig. Doch dank des europäisch-islamischen Kulturdialogs hält nun auch Hip-Hop Einzug auf jemenitischen Bühnen. Von Klaus Heymach

Rapper Ali Salih (links) während eines Konzertauftritts in Sanaa; Foto: Klaus Heymach
Zum ersten Mal als Rapper auf der Bühne in Sanaa: der Jemenit Ali Salih, links im Bild

​​"Die Verrenkungen beim Hip-Hop, das ist doch nur was für Schwule", wurde der zehnjährige Abdullah vor der Open-Air-Veranstaltung in Sanaa gewarnt. Auch die bis auf die Augen verschleierte jemenitische Mitarbeiterin des Deutschen Hauses findet es "peinlich", wenn erwachsene Männer zu westlichen Rhythmen über den Bühnenboden wirbeln. Rap und Hip-Hop sind bisher fast nur über das ausländische Satellitenfernsehen in den Jemen gelangt.

Baseballkappe statt traditionelles Männerkleid

Umso begeisterter ist Ali Salih, der zusammen mit zwei Musikern aus Berlin, zwei Choreographen aus Marseille und elf weiteren Jemeniten zwei Wochen für seinen ersten Auftritt geprobt hat.

"Das war eine einzigartige Chance, eine absolute Premiere", freut sich der 18-Jährige, der statt des üblichen weißen Männerkleids und des Krummdolchs weite Hosen, Sportjacke und Baseballkappe trägt. "Privat habe ich schon ein Dutzend Hip-Hop-Partys für meine Freunde organisiert, aber ein richtiges öffentliches Konzert – das war bisher unvorstellbar."

Konzertpublikum in Sanaa; Foto: Klaus Heymach
Begeistertes Publikum während des Hip-Hop-Konzertes in Sanaa

​​Das Unvorstellbare möglich gemacht hat der europäisch-islamische Kulturdialog. Für den Workshop holten die deutsche und die französische Botschaft vier Künstler nach Sanaa, die unter dem Motto "Common Beats" zusammen mit den Arabern eine gut einstündige Bühnenshow ausarbeiteten.

Zu den drei Konzerten in Sanaa, in der früheren sozialistischen Hauptstadt Aden, sowie in der Hafenstadt Hodeidah kamen tausende Zuschauer – und hunderte Sicherheitskräfte, um Musiker und Fans vor dem möglichen Widerstand gewaltbereiter Islamisten zu schützen.

Furcht vor islamistischen Eiferern

Wie schmal der Grat für moderne Jugendkultur in dem wohl traditionellsten arabischen Land noch ist, illustrieren die Vorbehalte des jemenitischen Sponsors: Vertreter der Mobilfunkfirma Sabafon waren weder auf der Pressekonferenz noch auf den Konzerten zu sehen, die Chance auf zielgruppengerechtes Marketing ließ man gleichgültig verstreichen.

Hinter Sabafon steht ein prominenter Vertreter der islamistisch orientierten Islah-Partei, der Sohn des wichtigsten Scheichs des Landes. Musik und Tanz gilt vielen – nicht nur in der Islah – als "haram", als vom Islam verboten.

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Dabei waren die inhaltlichen Vorgaben für die arabisch-englischen Rap-Songs eindeutig: "Keine Politik, keine Religion", sagt der 25-jährige Musiker Karim Sfaxi, der zusammen mit dem Japaner Tomoki aus Berlin angereist ist. "Das verstehe ich als Araber total. Auch in meiner Heimat Tunesien vermeidet man mit unpolitischen Texten manche Probleme."

"Nomad Soundsystem" als kulturelle Bereicherung

In Berlin produzieren beide im Rahmen ihres Projekts "Nomad Soundsystem" elektronische Clubmusik mit orientalischem Einschlag. Den wahren Orient aber scheint selbst der Tunesier erst jetzt entdeckt zu haben: "Der Jemen ist noch zu 100 Prozent arabisch", sagt Karim. "Hier sind die Traditionen so geblieben wie früher."

Als reinen Westimport wollen die Veranstalter den Hip-Hop-Workshop dennoch nicht gelten lassen. "Hip-Hop und Tanz, das ist nichts Fremdes hier", sagt Frank Werner, Kulturattaché der deutschen Botschaft. "Wir beobachten, was sich im Land tut, nehmen das auf und helfen, es weiterzuentwickeln mit unserer eigenen Kultur. Wer sich isoliert, entwickelt sich auch nicht weiter. Und der Jemen will sich weiterentwickeln."

Guido Zebisch, Mitarbeiter der deutschen Botschaft, sieht Ähnlichkeiten mit den traditionellen Stammestänzen: um einen sportlichen Wettbewerb handele es sich bei beiden tänzerischen Ausdrucksformen.

Dennoch müssen manche Workshopteilnehmer lange Diskussionen mit ihrer Familie führen, andere haben die Eltern lieber gleich im Unklaren gelassen. "Ich werde auf der Straße wegen meiner Kleidung angesprochen, die Leute sagen, das sei unislamisch", klagt Rapper Ali. "Das tut mir weh. Ich bin ein Muslim und gehe doch sogar beten."

Vereinbarkeit von Musik und Religion

Auch Hip-Hop-Fan Ramzi, der nach dem Konzert in Sanaa begeistert Beifall klatscht, stößt mit seinem Musikgeschmack bisweilen auf Unverständnis: "Die Hardliner versuchen uns einzureden, der Islam vertrage sich nicht mit dieser Musik. Dabei hat das eine gar nichts mit dem anderen zu tun."

Dass Religion und Rap durchaus vereinbar sind, haben die Proben gezeigt: Beim "Allahu akbar" des Muezzins verstummen Keyboard und Sprechgesang augenblicklich.

Auch die traditionelle Musik scheint durch die ungewohnten Klänge aus dem Westen nicht in Gefahr. "Beim Qatkauen höre ich Sanaani-Musik, mit meinen Freunden nach der Uni auch mal gerne Hip-Hop", sagt Ramzi.

Das Konzert hat ihm so gut gefallen, dass er sich den frischgekürten jemenitischen Breakdancern anschließen und selbst ein paar Schrittfolgen zeigen lassen will. Seine Mutter hat überhaupt nichts gegen die im Jemen außergewöhnliche Freizeitbeschäftigung: "Dann kaut er wenigstens nicht so viel Qat."

Klaus Heymach

© Qantara.de 2006

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