Noch immer blüht die Hoffnung

Dass man dem Titel von Maya Youssefs jüngstem Album nichts Positives abgewinnen kann, ist nur zu verständlich. Bietet Syrien im siebten Jahr des Bürgerkriegs nicht eher den Stoff, aus dem Albträume sind? Doch Youssef schenkt uns mit ihrer Musik zumindest einen Funken Hoffnung. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Laut Youssef kann der künstlerische Akt, Musik zu komponieren und zu spielen, Leben und Hoffnung spenden. "Syrian Dreams", veröffentlicht auf dem Label Harmonia Mundi, entstand als Resultat ihrer Reise durch die letzten sechs Jahre, in denen sie miterleben musste, wie ihr Land in Stücke gerissen wurde.

In das Album flossen Erinnerungen an ihre Heimat ein, ebenso wie ihre Gefühle über den Krieg und seinen Einfluss auf die Bürger Syriens. Für sie erinnert Musik die Menschen wieder an ihre Menschlichkeit – und kann damit ein Gegenmittel für alle konfliktgeplagten Teile der Welt sein – nicht nur für Syrien. So trägt Youssef mit ihrer Musik dazu bei, eine Welt zu erschaffen, in der die Menschen in Frieden miteinander leben können.

Wer nun denkt, Youssef lebe vielleicht etwas zu sehr in einer Traumwelt, muss ein paar Dinge über sie wissen: Erstens ist sie eine der wenigen Frauen, die ein Instrument spielt, das sie sich selbst ausgesucht hat, nämlich die Qanun. Erstmals hörte sie dieses Saiteninstrument, als sie begann, Musik zu studieren. Und sie entschied, genau dieses Instrument spielen zu wollen und kein anderes. Gewöhnlich ist die Qanun nur ein Instrument unter vielen in den größeren Ensembles, doch Youssef hat die Qanun vor allem als Soloinstrument bekannt gemacht.

Cover of Maya Youssef′s ″Syrian Dreams″ (released by Harmonia Mundi)
Friedensbotschafterin Maya Youssef: Mit "Syrian Dreams" hat Maya Youssef zweifelsohne ein Album geschaffen, dessen Musik uns daran erinnert, was Syrien einst gewesen ist, und das uns Hoffnung für eine friedliche Zukunft des arabischen Landes vermittelt.

Für die, die die Qanun nicht kennen sollten: Das Instrument ist eine Art Zither mit 78 Saiten, die im Nahen Osten - und dort vor allem in der arabischen Welt und der Türkei - gespielt wird. Das Wort "Qanun" lässt sich auch mit "Gesetz" übersetzen. Als einziges Instrument in traditionellen arabischen Ensembles, das alle Noten der arabischen Tonleiter auf einzelnen Saiten zu spielen vermag, gibt die Qanun in der dortigen Musik buchstäblich den Ton an – und dies auch aus dem Grund, weil sich die anderen Instrumente nach ihrer Tonhöhe und Stimmung richten müssen.

Erstaunliche Dissonanzen

Der Klang der Qanun kann das Ohr zunächst etwas irritieren – einen Eindruck bekommt man, wenn man sich gezupfte Klavierseiten vorstellt. Aber sobald man sich an die fremdartige Tonalität gewöhnt, lernt man die Schönheit und Vielfalt ihres Klangs schätzen.

Außerdem hat Youssef eine Gruppe mit Instrumenten und Musikern zusammengestellt, welche die Qanun wunderbar ergänzen: Barney Morse-Brown am Cello, Sebastian Flaig an den Trommeln und Attab Haddad an der Oud.

Bereits auf "Horizon" ("Horizont"), dem ersten Stück der CD, kann man hören, wie diese Begleitung funktioniert: Es ist in erster Linie ein Duett von Cello und Qanun, wobei sofort auffällt, wie gut sich die sehr unterschiedlichen Klangfarben der beiden Instrumente gegenseitig ergänzen. Der scharfe und bisweilen brachial anmutende Sound der Qanun mit ihren gezupften Saiten wird durch die üppigen Töne des Cellos besänftigt. Es ist, als würde das Streichinstrument die Lücken im tonalen Umfang der Qanun füllen und damit die gespielten Noten vervollständigen. Gemeinsam klingen die beiden fast wie ein einziges Instrument.

Die wirkliche Kraft der Qanun liegt allerdings in ihrer Fähigkeit, die Hörer aufzurütteln. Tatsächlich erzeugt Youssef im zweiten Stück des Albums, "Bombs Turn Into Roses" ("Bomben werden zu Rosen"), einen fast dissonanten Klang. Dabei ist auch der Titel des Stückes schon ausdrucksstark genug – er drückt die Hoffnung auf den Tag aus, an dem in Syrien wieder schöne Dinge erwachsen können. Und musikalisch schafft es Youssef hier, das Chaos der Bombardierungen auszudrücken und uns gleichzeitig einen Moment des Friedens zu schenken.

Offen gestanden ist das Stück, obwohl es nicht einmal vier Minuten lang ist, stellenweise unglaublich schwierig anzuhören. Neben den Dissonanzen, die nötig sind, um eine Atmosphäre zu schaffen, die an Krieg und Zerstörung erinnert, wirkt das Stück auch sonst sehr emotional verstörend. Zeitweise fühlt man sich beim Zuhören so, als würde einem das Herz aus der Brust springen. Glücklicherweise verwandelt Youssef die Bomben zum Schluss in Rosen und verschafft uns etwas Ruhe, doch es bleibt eine schwierige Reise.

Der Geist eines Syriens im Frieden

Das mit Abstand längste und komplexeste Stück des Albums ist "The Seven Gates of Damascus" ("Die sieben Tore von Damaskus"). Es symbolisiert eine Reise durch die Stadt und ihre sieben Tore. Das älteste dieser geschichtsträchtigen Tore stammt noch aus der römischen Zeit. Gemeinsam spiegeln sie die Vielfalt der Stadt und des ganzen Landes wider – Momente in der Zeit, die sowohl für Muslime als auch für Christen bedeutsam sind.

Dieses wunderschöne Stück reflektiert den Geist eines Syriens im Frieden – für die Menschen, die davon träumen, ihr Land wieder aufzubauen. Dass Youssef fähig ist, dies ausschließlich durch den Klang von Instrumenten zu erreichen, spricht für ihre Fähigkeiten als Komponistin und Musikerin. Die emotionale Bandbreite, die sie über das ganze Album hinweg auszudrücken vermag, ist atemberaubend. Indem man hört, wie sie uns die momentane Wirklichkeit und ihre Träume für die Zukunft vermittelt, bekommt man unweigerlich das Gefühl vermittelt, dass es für das Land tatsächlich noch Hoffnung gibt.

Nachdem sich seit fast sieben Jahren immer neue Berichte über Gewalt, Zerstörung und Vertreibung in Syrien in Bann halten, fällt es uns schwer, uns das Land als etwas anderes als ein Kriegsgebiet vorzustellen. Aber es gibt in Syrien mehr als nur Konflikte.

Mit "Syrian Dreams" hat Maya Youssef zweifelsohne ein Album geschaffen, dessen Musik uns daran erinnert, was Syrien einst gewesen ist, und das uns Hoffnung für eine friedliche Zukunft des arabischen Landes vermittelt. Obwohl die Stücke aufgrund ihrer emotionalen Kraft teilweise schwer hörbar anmuten, bietet das Album letztlich einen wunderbaren Gegensatz zu der momentanen Lage des Bürgerkriegslandes – als ein Ort ewiger Finsternis.

Richard Marcus

© Qantara.de 2018

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff