Trump und die Händler des schönen Scheins
In vielem hat sich Politikneuling Mohammad bin Salman verkalkuliert. Er dachte, er könne in einem gut bewachten Konsulatsgebäude in Istanbul einen weltbekannten Kritiker von seinen Getreuen abschlachten lassen, ohne dass der Mord Aufsehen erregt. Er meinte, im Notfall den Mordverdacht einfach zurückweisen und behaupten zu können, er wisse nicht, wo Jamal Khashoggi steckt.
Der saudische Thronfolger war sich sicher, gleichzeitig in seiner Hauptstadt Riad einen glitzernden Investitionsgipfel mit den Wirtschaftsmagnaten der Welt abhalten zu können und dafür von den internationalen Leitmedien beklatscht und bewundert zu werden. In all diesen Punkten lag der 33-jährige neue starke Mann Saudi-Arabiens komplett falsch.
Jetzt spekuliert er darauf, dass seine Erklärung, Jamal Khashoggi sei bei einem "Faustkampf" im Konsulat ums Leben gekommen, die Gemüter beruhigen und die Sache aus der Welt schaffen wird. Auch da täuscht er sich, wie die Reaktionen vieler Medien und einiger Regierungen zeigen.
Aber auf eines scheint Mohammad bin Salman sich tatsächlich verlassen zu können: auf sein Bündnis mit Donald Trump. "Glaubwürdig" sei die offizielle saudische Erklärung zum Hergang des Todes von Jamal Khashoggi, ließ der Präsident der Vereinigten Staaten wissen. Eine Brücke zur rettenden Version hatte der 72-jährige amerikanische Politiker seinem jungen arabischen Freund da schon gebaut: Das könnten nur eigenmächtig handelnde "rogue killers" gewesen sein, keine Mörder im staatlichen Auftrag, verkündete Trump im Weißen Haus. Dann war es dem Geschäftsmann Trump noch wichtig anzumerken, dass Amerika an dem Plan festhalten werde, Waffen im Wert von 110 Milliarden Dollar nach Saudi-Arabien zu verkaufen.
Die Wirklichkeit findet nicht statt
Man muss sich die Tragweite klar machen: Der amtierende amerikanische Präsident schafft mit Worten die himmelschreiende Realität ab und setzt eine neue ein, eine Ersatzwirklichkeit. Wir kennen das Muster der "alternativen Fakten" zwar seit Beginn seiner Präsidentschaft. Aber jetzt wendet Trump es erstmals auf einen internationalen Kriminalfall an, in dem der Mörder sein enger Verbündeter ist.
Die Wirklichkeit wird öffentlich benannt, vom "Spiegel" bis zur "Washington Post": Mohammad bin Salman ist ein Mörder. Die näheren Umstände, die Sache mit der Knochensäge, sind gruselig. Die ferneren Umstände sind wenig schmeichelhaft für Amerika: Anfang des Jahres wurde der saudische Thronfolger triumphal in Washington, New York, im Silicon Valley, in Hollywood und Seattle empfangen.
Mohammad bin Salman wurde als tatendurstiger Reformer gefeiert, der das etwas angestaubte islamische Königreich Saudi-Arabien modernisieren wolle. Er hat Frauen das Autofahren erlaubt und Kinos zugelassen, wurde gejubelt. PR-Agenturen in Washington haben ein Vermögen - das Magazin "Foreign Policy" spricht von "Milliarden" - an der Pflege dieses Reformer-Images verdient.
Risse in der Hochglanzwelt
In diesem schönen Schein kamen der Krieg im Jemen, die Blockade gegen Katar, die kurzzeitige Entführung des libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri und die Unterstützung von radikalen Islamisten im Syrienkrieg ebenso wenig vor wie das rabiate Vorgehen gegen Kritiker im Inneren, von Journalisten bis zu unliebsamen Mitgliedern der Herrscherfamilie Al Saud.
Jetzt könnte man sagen, dass das schöne Werk der hochbezahlten PR-Profis mit ihren Abschlüssen von Universitäten in Stanford, Princeton, Yale und natürlich Harvard an einem einzigen Oktobernachmittag im saudischen Konsulat in Istanbul zunichte gemacht wurde. Und dass keine Image-Kampagne der Welt die Sache mit der Knochensäge verklären kann. Aber so denkt wohl nur, wer an einem tradierten und gewöhnlichen Begriff von Wahrhaftigkeit festhält.
Täuschen wir uns nicht: Die Händler des schönen Scheins passen perfekt in die Trump-Welt. Sie schaffen eine alternative Realität. Und sie machen schon weiter. So sei Jamal Khashoggi gar nicht "der Gute" gewesen, ist plötzlich zu hören. Er habe ja "mit Islamisten" sympathisiert. Kein Wunder, dass so jemand dem Reformdrang des saudischen Thronfolgers in die Quere kommen musste!
In der Trump-Welt ist es möglich, einen Mord zu relativieren, indem man schlecht über das Mordopfer redet. Sprache verliert so ihre wesentliche Funktion als ein Mittel zur Beschreibung von Realität und zur Verständigung über moralische Maßstäbe.
Vorsichtig muss man deshalb auch die Erklärungen der amerikanischen Wirtschaftsbosse bewerten, die ihre Teilnahme an der Investorenkonferenz in Riad abgesagt haben. "Vorsichtig" nicht in dem Sinne, dass Amazon-Chef Jeff Bezos, Blackrock-Chef Larry Fink und Dara Khosrowshahi, der CEO von Uber, trotzdem heimlich diese Woche zu Mohammad bin Salman ins "Davos in der Wüste" reisen werden.
Vorsicht drängt sich vielmehr insofern auf, als die Absagen keineswegs bedeuten, dass diese Unternehmen künftig keine Geschäfte mehr mit Mohammad bin Salman machen werden. Die Unternehmensbosse werden es nicht schaffen, der Verlockung des bequemen Windschattens zu widerstehen, den Trump ihnen auf dem Weg ins neue Saudi-Arabien unter Mohammad bin Salman bietet.Siemens-Chef Kaeser: Geschäfte im Windschatten Trumps
Ein deutscher Unternehmer folgt Trumps Linie ohne Umwege: Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens. Er wollte trotz des Mordes an Kashoggi zur Investorenkonferenz nach Riad und begründete dies bei einem Auftritt im kanadischen Toronto so: "Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“ Wenn man etwas ändern wolle, müsse man mit Menschen reden, nicht über Menschen, so Kaeser. Einen Tag vor Beginn der Konferenz sagte Kaeser dann seine Teilnahme doch noch ab.
Wie passen seine Worte und sein Lavieren zu der Sache mit der Knochensäge? Auf dem Weg der Sprachverdrehung und der moralischen Verwahrlosung erweist sich der Chef des DAX-Konzerns Siemens als guter Schüler von Donald Trump.
Im Mai erklärte Kaeser im Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN, dass er "immer den Vorgaben der Politik" folge. Gemeint war die Politik von Donald Trump, genauer gesagt dessen Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Iran und die Aufforderung an Unternehmen, keine Geschäfte mehr in dem Land zu machen. Kaeser war einer der Ersten, der gehorchte. Als wolle der Siemens-Chef den "Untertan" aus dem berühmten Roman von Heinrich Mann noch einmal aufführen, und zwar gleich in der Hauptrolle. In dem Buch eifert der Unternehmer Diederich Heßling seinem Vorbild Kaiser Wilhelm II. bis zur Karikatur nach, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wohin der wilhelminische Imperialismus führen könnte.
Nach Auffassung des angesehenen Historikers Christopher Clark ist Wilhelm II. die einzige historische Führungspersönlichkeit, die weitreichende charakterliche Ähnlichkeiten mit dem amtierenden amerikanischen Präsidenten aufweist.
Kaeser scheint zu hoffen, dass er für seine Unterwerfung belohnt wird: mit guten Investitionsbedingungen in den USA, in Saudi-Arabien und damit, dass der US-Konzern General Electric ihm im Irak den Vortritt beim Neubau der Stromversorgung lässt. Ob der Plan aufgeht?
Wenn Trump jetzt gestoppt, wenn Mohammad bin Salman sofort abgesetzt und bestraft würde, wären die zu schreibenden politischen Schadensberichte schon sehr lang. Aber man muss Schlimmeres befürchten: Dass sie an der Macht bleiben und noch größeren Schaden anrichten werden.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, an denen 15 Saudis beteiligt waren, sprach man in den Vereinigten Staaten von der großen Krise in den amerikanisch-saudischen Beziehungen. Man müsse die Abhängigkeit von dem Land, das eben nicht nur Erdöl sondern auch Terror exportiere, beenden, hieß es. Die Medien brachten kritische Berichte und Michael Moore drehte seinen Dokumentarfilm "Fahrenheit 9/11".
Aber die Beziehung blieb. Und was ist ein Einsatzkommando von 15 Saudis mit einer Knochensäge gegen 15 Saudis, die ins World Trade Center und ins Pentagon fliegen? Gar nichts!
Stefan Buchen
© Deutsche Welle 2018
Der Autor arbeitet als Fernsehjournalist für das ARD-Magazin Panorama.