Plädoyer gegen Genitalverstümmelung
Zu den großen Irrtümern Europas gehört die Vorstellung, in einem afrikanischen Dorf gehe alles stets seinen geregelten Gang. Nicht ganz unschuldig an diesem Klischee sind die Dorffilme des westafrikanischen Kinos, die – gefördert und gefordert von hiesigen TV-Redaktionen – in den 90ern das Bild von Ruhe und Ordnung zeichneten. Gestört eben nur von einem Konflikt, den es im Laufe der Filmhandlung zu lösen gab.
Der senegalesische Filmemacher Ousmane Sembene hat sich bis heute nie an diesem Genre versucht. Die meisten seiner Filme waren in Dakar angesiedelt. Für "Moolade" allerdings, sein Manifest gegen die Beschneidung von Mädchen, hat er sich ein Dorf im Süden von Burkina Faso ausgesucht, mehr als 2000 Kilometer von Dakar entfernt.
Risse hinter der Fassade
Die Eröffnung ist spektakulär. In einer komplexen Plansequenz stellt Sembene Laufwege und Beziehungen im Dorf dar und öffnet den Blick des Publikums für Risse und Brüche hinter der Fassade.
Schnell konzentriert sich alles auf einen Hof. Vier Mädchen kommen aufgeregt angerannt und suchen Schutz bei einer der Frauen. Es ist die Zeit der Beschneiderinnen.
Aber die Frauen auf dem Hof wollen den Kreislauf der Zerstörung stoppen und errichten einen Zauber gegen die Beschneiderinnen: Moolade. Die können den Hof nicht betreten, bis dieser Fluch aufgehoben ist.
Der beschauliche Blick auf den von Wiederholungen geprägten Dorfalltag richtet sich hier auf eine rote Schnur, auf eine symbolische Barrikade, die den Hof zur Schutzburg macht. Wiederholungen, wie Sembene sie inszeniert, stellen immer eine Frage: Wer geht wie mit diesem klaren Nein um und welche Lösung gibt es?
Sembene - berühmter Romanautor und Filmemacher
Ousmane Sembene ist mittlerweile 82 Jahre alt, "Moolade" ist sein zwölfter Spielfilm in 40 Jahren, einige Dokumentationen hat er gemacht, zahlreiche Romane geschrieben, darunter auch einige, die er selbst verfilmt hat.
Sein Ruf auf dem afrikanischen Kontinent ist singulär, seine Stellung überragend. In Europa gibt es keine Figur von vergleichbarem Ruhm. Sein emphatischer wie programmatischer Vorwurf gegen den Filmemacher Jean Rouch: "Du schaust uns an wie Insekten" markierte Mitte der 60er Jahre die Änderung der Blickrichtung.
Technik und Handlung, Geschichte, Alltag und Probleme selbst in die Hand zu nehmen und auf eigene Leinwände zu projizieren, lautete die Gründungsformel des afrikanischen Kinos.
Sembene gehörte zu den ersten Romanautoren und Filmemachern Afrikas, hat stets und laut Stellung bezogen gegen Europa, dessen koloniales Erbe und historische Schuld.
Sembene hat in seinen Filmen (west-)afrikanische Geschichtsschreibung betrieben und ist dabei keinem Streit aus dem Weg gegangen – auch nicht mit seiner Regierung. Oft waren es in seinen Filmen die Frauen, die den Plan hatten und die Dinge im Lot hielten.
Seit Jahren wird Sembene nicht müde, in Interviews zu betonen, dass Afrika nur durch die Arbeit der Frauen überlebe. Und nach "Faat Kine" (2001) ist "Moolade" der zweite Film in einer Trilogie, die das Leben der Frauen würdigt, der "Heldinnen des Alltags" wie er sie nennt.
Selbstbewusste Frauen
Die Frauen des Dorfes machen sich wenig Freunde im Dorf. Schnell bildet sich eine Front gegen sie, und die Ältesten weisen sie an, sich den Traditionen zu fügen. "Unreinheit" ist ihr Lieblingsargument, und ihr Code lautet, dass die Beschneidung schließlich Tradition sei.
Da sich die Frauen aber nicht fügen, zieht der Konflikt seine Kreise. Dass Beschneidung, Schmerzen und Ehe zusammengehören, heißt auch, dass Lust, Sex und Disziplinierung eng miteinander verwoben sind.
Wenn die Ältesten also nachgeben, könnte die tradierte Ordnung aus den Fugen geraten. Der Imam also erklärt die Beschneidung zu einer islamischen Tradition und wendet harte Methoden an.
Die alten Männer machen den Feind in den modernen Medien aus. Sembene inszeniert den Beschluss, sämtliche Radios zu vernichten, nicht als kurzen Rausch, sondern als permanente und letztlich scheiternde Anstrengung.
Radios auf Scheiterhaufen
Immer mehr Radios landen auf dem Scheiterhaufen, die meisten sind und bleiben an und aus dem Blechhaufen dringen nach und nach Stimmen, Geräusche und Musik. Ein so komisches wie absurdes Bild. Die Polyphonie ist so leicht nicht zu ersticken, und die Frauen sind entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen.
Mit eindimensionalem "Themenkino" hat der Film nichts zu tun. Ähnlich wie in früheren Filmen richtet Sembene sein Augenmerk auf den zähen Verhandlungsprozess. Dass die Beschneidung von Mädchen eine üble Sache ist, steht nicht als Erkenntnis am Ende, sondern als Tatsache am Anfang.
Doch das durchzusetzen, ist harte Arbeit. Sembene dekliniert Positionen und Sichtweisen, mit der Vorstellung von urdemokratischem Palaver unter schattenspendenden Baobab-Bäumen hat das wenig zu tun.
Die schillerndste Haltung vertritt schließlich ein Außenseiter. Ein Händler, der sich mit derben Scherzen und zur Schau gestellter Geldgier hervortut, riskiert als einziger im entscheidenden Moment sein Leben und demaskiert die Doppelmoral der religiösen Sprecher. Sembenes Hoffnung schließlich manifestiert sich in einem Objekt, das über das Dorf hinausweist, einer Antenne...
Max Annas & Annett Busch
© Qantara.de 2005
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