Ein Autor und seine Doppelgänger
In "Telepathy" (Telepathie) von Amir Tag Elsir entdeckt ein Schriftsteller, dass der Roman, den er gerade veröffentlicht hat, auf einer tatsächlichen Person beruht, die in Khartum lebt, in der gleichen Stadt wie er selbst. Dieser Roman mit dem Namen "Hunger's Hopes" (Die Hoffnungen des Hungers) erweist sich als Biographie, als ein literarisches Werk auf der Grundlage realer Ereignisse, von denen der Schriftsteller annimmt, sie seien telepathisch von Nishan Hamza Nishan empfangen worden – der sich dann als der Hauptdarsteller des Romans herausstellt.
Da der Hauptdarsteller von 'Hunger's Hopes' "ohne Aussicht auf Heilung" an Krebs erkrankt ist, fühlt sich der Erzähler verpflichtet, dem echten – schizophrenen, armen und ungeliebten – Nishan "ein besseres Schicksal" zu geben, als "dieser [der Erzähler] ihm im Text gewährt hat". Der Roman untersucht das Thema, inwieweit Schriftsteller für ihre Werke nach der Veröffentlichung rechenschaftspflichtig sind. Tragen sie eine Verantwortung für die sozialen Folgen ihrer Bücher?
Im Rest des Romans versucht der Erzähler, seinem realen Hauptdarsteller aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig bemüht er sich, ihn zu retten und genauer herauszufinden, auf welche Art ihm diese Geschichte von einem Mann übermittelt wurde, dem er nie begegnet ist. Er ist hin- und hergerissen zwischen seiner schriftstellerischen Aufgabe, seiner Sorge um Nishan und dem Versuch, dem roten Faden einer Vielzahl merkwürdiger Ereignisse zu folgen, die die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Vorstellung verschwimmen lassen.
Faszinierende Charaktere
Der Verfasser führt uns durch die Straßen von Khartoum und stellt uns einige ungewöhnliche und faszinierende Charaktere vor, darunter die junge und hoffnungsvolle Schriftstellerin Najma, die beim Autor Rat sucht und ihn heiraten will; Umm Salama, die Frau, die sich in seiner Kindheit um ihn gekümmert hat und dies als alternde Matriarchin immer noch tut; einen Dramatiker namens Abd AlQawi, genannt „der Schatten“, und seine mysteriöse Tochter Linda; und Hajj Al Bayt, einen Imam aus dem Slum, in dem Nishan lebt.
Die beiden Männer – der Verfasser und der Verfasste – kommen aus unterschiedlichen Welten: Der Erzähler ist äußerst gebildet, fest in der Mittelklasse verwurzelt und hat sich in einem beliebten Teil der Stadt häuslich eingerichtet. Nishan hingegen hat erst in fortgeschrittenem Alter Lesen und Schreiben gelernt und lebt in einem unbedeutenden und armen Teil der Stadt. Und trotzdem scheint der Slumbewohner Nishan, der braune Zähne hat und mit Dschellaba und Turban traditionell gekleidet ist, an dem kultivierten und selbstbezogenen Bewusstseinsstrom des Erzählers teilzuhaben.
Könnte dieses metafiktionale Element eine Verdopplung anzeigen? Nicht nur eine Verdopplung Nishans – der sowohl ein fiktionaler Hauptdarsteller in einem Roman als auch eine reale Person ist, die dem Autor begegnet – sondern gar die gemeinsame Verdopplung von Autor und Hauptdarsteller, die Bewusstsein und Vorstellungskraft miteinander teilen?
Unverwirklichtes Potenzial
Vielleicht ist dies der Fall, aber weder erforscht die Handlung die Möglichkeit einer solchen Verdopplung weiter, noch geht sie den Details dieser telepathischen Kommunikation nach, die zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern in einer ausgeprägten Klassengesellschaft stattfindet. Aus der Kommunikation zwischen diesen Männern ohne viele Gemeinsamkeiten folgt kaum mehr als einer Begegnung zwischen ihnen, die den Autor ängstlich und verunsichert zurücklässt.
Obwohl es scheint, dass aus diesem Treffen Feindschaft, Terror oder gar – im Gegenteil – ein Sinn für die Möglichkeiten innerhalb des Zusammenbruchs von Realität und Vorstellung, der Vereinigung von Gewissen oder in einer Verdopplung außerhalb der jeweiligen Spiegelbilder entstehen könnte, bleibt dieses Potenzial in der Handlung so unfertig und unerforscht wie Nishans Charakter, der letztlich verschwindet.
Darüber hinaus ist leider keiner dieser beiden Charaktere wirklich überzeugend. Obwohl Elsir offensichtlich den Charakter eines sorgfältig abgeschotteten, aber angesehenen Schriftstellers beschreiben wollte, ist das Ergebnis ein befangener und selbstbezogener Mann, der anscheinend für andere Charaktere begehrenswert ist – aber bei dem es für den Leser nie klar wird, warum er jenseits seines Status als bekannter Autor so beliebt und interessant ist.
Hinzu kommt noch, dass die Abneigung des Erzählers gegen seinen zum Leben erweckten Hauptdarsteller und andere, weniger bedeutende Charaktere seiner Erzählung das Mitgefühl raubt und den Leser indifferent gegenüber Nishans Schicksal macht.
Ist die Übersetzung schuld?
Und schließlich leidet der Bogen der Erzählung unter einer ungeschickten Prosa. Nehmen wir diese Textstellen, die doch anscheinend von einem angesehenen Schriftsteller verfasst wurden:
Was ich ganz ernsthaft wollte, war, dem von mir verfassten ausgedörrten Schicksal entgegen zu wirken und zu versuchen, es mit etwas Grün zu verzieren, auch wenn es sich als hartnäckig erwies und darauf bestand, trocken zu bleiben.
Ich wollte tun, was ich für meine unbedingte Pflicht hielt, und dabei von meiner Karriere als Schriftsteller, dessen Werke national und international verbreitet sind, Abstand nehmen, um eine normale Person zu sein, die nötigenfalls den schmutzigen Innenhof ihres Nachbarn fegt, für eine ältere Frau mit zitternden Händen eine Ziege melkt oder mit einem kleinen Kind auf dem Rücken eine Straße überquert, die vor Verkehrsunfällen strotzt.
Beim Lesen solch abstruser Prosa fällt es doch schwer zu glauben, dass der Verfasser ein talentierter Schriftsteller ist. Man fragt sich, ob das Problem an der ursprünglichen arabischen Prosa liegt oder vielmehr an der englischen Übersetzung.
Die metafiktionalen Themen der Telepathie, doppelte Identitäten und der Zusammenbruch der Realität sind eigentlich sehr vielversprechend. Auch ist Elsir ein überaus produktiver und versierter Schriftsteller, der sechzehn Bücher verfasst hat. Und sein Roman "The Grub Hunter" von 2010, der 2012 in englischer Übersetzung erschienen ist, hat es 2011 auf die Auswahlliste des Internationalen Preises für Arabische Belletristik geschafft.
Doch "Telepathy" bleibt letztlich uneinheitlich und unvollendet. Mit seiner manchmal ungeschickten Ausdrucksweise hinterlässt der Roman mit seinem Versprechen, faszinierende Einsichten in das Wesen von Kreativität und Verantwortung zu eröffnen, eher einen vagen und unstimmigen Eindruck.
Nahrain al-Mousawi
© Qantara.de 2016
Amir Tag Elsir: "Telepathy", Bloomsbury Qatar Foundation Publishing, 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff