Von Micky Maus bis Handala
Comics erleben in den arabischen Ländern eine Zeit des Aufschwungs. Neben der Kinderlektüre ist besonders die Verbindung von Politik und Kunst in vielen Ländern allgegenwärtig – die aktuellsten Beispiele sind Ägypten und Tunesien. Doch ist im Umgang mit Religion, Politik und Sittlichkeit Vorsicht geboten. Wie sensibel die Künstler beim Umgang mit diesen Themen sein müssen, variiert von Land zu Land und hängt vom Zeitpunkt ab.
Im letzten Frühling erschienen in Tunesien Strips und Karikaturen, die Ben Ali öffentlich verspotten. Auch die Proteste am Tahrir-Platz fanden ihren Weg aufs Papier, nicht zuletzt dank des Comicworkshops, den Barbara Yelin am Goethe-Institut Kairo leitete.
In den europäischen Ländern sind Comics aus dem arabischen Raum kaum bekannt. Eine Ausnahme ist der algerische Autor Slim, der mit seinen Figuren Bouzid und Zina ein breites Publikum in Frankreich erreicht. Er schildert mit Ironie und Humor das Leben in Algerien, ohne dabei an gesellschaftlicher Kritik zu sparen.
Den Zensoren ein Dorn im Auge
Ebenso wurde die Graphic Novel Metro von Magdy El-Shafee durch ihr Verbot in Ägypten schnell über die Landesgrenzen hinweg bekannt und bewirkte eine Welle der Solidarität. Anlässlich des 15. Internationalen Comic-Salons in Erlangen veröffentlichte die Edition Moderne auch eine deutschsprachige Ausgabe.
In vielen arabischen Ländern sind Comics eine verbreitete und beliebte Kunst, die vorwiegend mit Kinderlektüre in Verbindung gebracht wird. Comics waren oft Teil der Schulbibliotheken und Eltern kauften sie für ihre Kinder, um ihnen das Lesen näher zu bringen.
Seit den 1950er Jahren erscheinen verschiedene Kinderzeitschriften. Die Zeitschrift Majid wurde 1979 in Abu Dhabi gegründet und wird immer noch erfolgreich publiziert und in allen arabischen Ländern vertrieben. Comics werden mit Artikeln und Worträtseln kombiniert, um spielerisches Lernen zu vermitteln. Ebenso beliebt sind Comic-Adaptionen von Klassikern der Weltliteratur und der arabischen Literatur.
Der Wunsch nach einer gemeinsamen arabischen Sprache war sehr ausgeprägt. So spielten insbesondere die Massenmedien und die Erziehung eine große Rolle. In der Regel sind Comics für Kinder in Hocharabisch geschrieben, aber immer häufiger finden auch Dialekte ihren Platz in den Sprechblasen.
Geschichte der neuen Helden
Übersetzungen von Comic-Heften aus Europa und den Vereinigten Staaten spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte des arabischen Comics. Bereits in den 1950er Jahren waren die Abenteuer von Tim und Struppi auf Arabisch in Kinderzeitschriften zu lesen und die ägyptische Kinderzeitschrift Miky übersetzte die Geschichten von Micky Maus und ihren Freunden.
Mit der Zeit entwickelte Micky Maus eine ägyptische Identität: Die berühmte Maus feierte die religiösen und nationalen Feiertage, trug die traditionelle ägyptische Kleidung und aß arabisches Essen. Miky wurde in allen arabischsprachigen Ländern bekannt und gelesen. Auch Superman, Batman und Robin, Tarzan und Lulu lernten dank des libanesischen Verlags Illustrated Publication Arabisch sprechen.
Superhelden sind aus der arabischen Welt nie mehr verschwunden. Die Gruppe der Helden The99, von Naif al Mutawa, ist von den 99 Eigenschaften Gottes inspiriert – sie heißen unter anderem Sami, der Zuhörer, Samda, die Unangreifbare, Widad, die Liebevolle.
Diese jungen Helden kommen aus der ganzen Welt mit der Mission das Böse zu besiegen. Der Wunsch des Erfinders ist es, dass The99 einen Beitrag für eine neue und friedvollere Zukunft liefern.
Comics als Politikum
Karikaturen und Cartoons sind in Zeitungen oft die erste Reaktion auf politische Ereignisse in vielen arabischen Ländern. Der Palästinenser Naji al Ali gilt als einer der einflussreichsten Künstler des letzten Jahrhunderts und ist für viele eine große Inspiration.
Als die wichtigste von ihm geschaffene Figur gilt Handala, die dem Leser immer den Rücken zuwendet. Handala ist barfuß und trägt geflickte Klamotten. Er ist ein kleiner Junge aus einem palästinensischen Flüchtlingslager. Zusammen mit den Lesern betrachtet er die Erlebnisse seines Volkes, die Naji al Ali in stark symbolischen Bilder gezeichnet hat.
Der palästinensische Autor Amer Shomali erinnert sich, dass er als Kind in den Bildern von Naji al Ali zum ersten Mal Blut sah. Schwarzes Blut, da al Ali nur in Schwarzweiß malte. Durch diese Bilder lernte auch der jordanische Künstler Mike V. Derderian, dass Comics viel mehr sein können als Unterhaltung.
1974 wurde der Verlang Dar al-Fatah al-Arabi von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) mit der Absicht gegründet, Bücher zu publizieren, die der politische Bildung dienen sollten. Gemeinsam mit vielen Künstlern, die für den Verlag zeichneten, gelang es Mohieddin Ellabad progressive Bücher zu veröffentlichen. Sie wollten Arbeiten für die junge Generation schaffen.
Ein weiteres Land, in dem die Verbindung von Politik und Kunst eine große Auswirkung auf die Rolle der Comics hatte, ist der Irak. Das Land wurde von der sozialistischen Baath-Partei geleitet und stand im kulturellen Austausch mit der Sowjetunion. Viele irakische Studenten hatten die Möglichkeit an sowjetischen Universitäten zu studieren und brachten natürlich ihre Erfahrungen zurück in die Heimat. Besonders Science-Fiction inspirierte die irakischen Comic-Künstler: Zukunftsvisionen, Urbanisierung und Technologie finden sich in vielen irakischen Geschichten wieder.
Die Zukunft des arabischen Comics
Die kleinen Leser von gestern wurden zu den Autoren und Zeichnern von heute. Von Marokko bis Syrien ist die Nachfrage nach Comics für Jugendliche und Erwachsene groß. Die jordanische Künstlerin und Kunstlehrerin Natasha Dahdaleh berichtet, dass viele ihrer Schüler gerne mehr Comics lesen würden, es aber an lokalen Produktionen mangele. Dies ist vor allem dem geringen Interesse der Verlage geschuldet.
Publikationen, wie die seit 2007 bestehende libanesische Comiczeitschrift Samandal, finanzieren sich über Privatgelder und erscheinen in einer Auflage von 1.000 bis 2.000 Exemplaren. Samandal ist die erste kollektiv produzierte Publikation für unabhängige Autorencomics in der arabischen Welt. Unter Comickünstlern ist sie weit bekannt und dient als Inspirationsquelle für neue Fanzines. Auch vom ägyptischen Magazin TokTok ist mittlerweile die siebte Ausgabe erschienen, die weitere spannende Arbeiten verspricht.
Die Social Media spielen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Comics in der Region. Die Künstler sind miteinander vernetzt und im ständigen Austausch. Viele Comics werden digital produziert und durch Facebook verbreitet. Kritik und Verbesserungsvorschläge sind dem Künstler Amer Shomali immer willkommen. Durch den Austausch mit Kollegen und Leser haben seine Comics für die monatliche Zeitschrift Filistin al-Shabab an Qualität gewonnen.
Erfahrungsaustausch über Grenzen hinweg
Bis jetzt ist das Arbeiten an Comics eine individuelle Angelegenheit. Szenario, Zeichnungen, Kolorierung – alles kommt aus einer Hand. Der jordanische Künstler Salam Homoud hofft, dass in Zukunft Teamarbeit eine immer größere Rolle spiele wird. Er ist überzeugt, dass die Fähigkeiten der einzelnen Künstler zu schöneren und gehaltvolleren Comics beitragen.
Ein Moment des realen Austauschs initiierte Mike V. Derderian in Jordanien mit dem Projekt Palestine: the Graphic Novel. In den letzten zwei Jahren trafen sich Künstler aus unterschiedlichen Bereichen mehrmals, um Erfahrungen und Geschichten rund um Palästina zu erzählen und als Comic umzusetzen.
Viele der Teilnehmer hatten zuvor nie Comics gezeichnet. Entscheidend war das Engagement für ein politisches Thema und der Enthusiasmus von Mike V. Derderian für graphische Literatur. Das Projekt wartet nun auf einen Verlag.
Auch internationale Comicfestivals spielen eine wichtige Rolle. Dalila Nadjem organisiert seit fünf Jahren das Festival International de la Bande Dessinée d' Alger, ein wichtiger Termin für Comic-Schaffende der Region. Zudem findet seit drei Jahren in Dubai die Middle East Film & Comic Con statt.
Die Comics der arabischen Länder zu lesen und verfolgen, ist eine spannende Erfahrung. Mitzuerleben, wie eine Szene entsteht. Das Engagement und Können der vielen Künstler – von Marokko bis Syrien – scheinen die besten Voraussetzungen für eine blühende Zukunft zu sein.
… und übrigens: Comic heißt auf Arabisch "qissa musawwara", also "illustrierte Geschichte".
Anna Gabai
Anna Gabai ist Arabistin mit den Schwerpunkten zeitgenössische Literatur und Comics und freie Mitarbeiterin am Museum Europäische Kulturen in Berlin.
© Goethe-Institut 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de