Krieg ohne klare Grenzen
Der Krieg ist eines der beständigsten Themen der Literatur. Die epischen Dichtungen von Homer und Antarah, die dunklen Erinnerungen an die Todeslager des Zweiten Weltkriegs und die rekursiven Romane über den libanesischen Bürgerkrieg werden durch gewalttätige Konflikte geprägt und überschattet.
Durch jedes neue Gesicht des Krieges wurde eine neue Art literarisches Engagement inspiriert oder gar erzwungen. Über das neueste dieser Gesichter, die Folgen von Drohnenangriffen, wurde bisher allerdings noch wenig berichtet, insbesondere aus dem Blickwinkel eines Zivilisten. Dieses Thema hat nun der Schriftsteller Atef Abu Saif aus Gaza in seinem Buch "Frühstück mit der Drohne: Tagebuch aus Gaza" aufgegriffen.
Abu Saif erzählt die Geschichte einer Invasion aus der Perspektive eines Zivilisten. Darin lesen wir weniger über Soldaten oder militärische Manöver, als viel mehr über gesichtslose metallene Kriegsmaschinen, die über unseren Köpfen schweben. Dies ist die Geschichte einer Invasion, bei der die Angreifer - im Gegensatz zu den Angegriffenen - kaum Kontakt mit dem Ziel und nur wenig Opfer zu beklagen haben. Es ist die Geschichte des "Krieges gegen den Terrorismus". Insbesondere geht es um den Krieg im Gazastreifen vom Sommer des Jahres 2014.
"Der Krieg geht weiter"
"Frühstück mit der Drohne" ist im Tagebuchstil geschrieben und handelt von der Zeit zwischen dem Beginn und dem Ende dieses Konfliktes, obwohl beide Momente nicht klar bestimmt werden können. Zu Beginn der Erzählung sind wir nicht sicher, ob der Krieg beginnt, erst noch beginnen wird oder bereits begonnen hat. Später sind wir ebenso unsicher, ob der Krieg endet, und wie wir dieses "Ende" erkennen können, wenn es denn kommt. Abu Saifs ältere Kinder fragen ständig, ob der Krieg jetzt vorbei ist. Sogar Abu Saifs nachdrückliche Betonung des eigenen Überlebens nach der Unterzeichnung eines Abkommens wird durch das Nachwort überschattet, in dem er feststellt: "Der Krieg geht weiter".
Entsprechend dazu, dass dies kein Krieg mit klaren Grenzen ist, liefert uns Abu Saif auch keine Vogelperspektive auf die Konfliktparteien. Wir erfahren nichts von der Hamas oder der Fatah, der Arbeitspartei oder vom Likud. Obwohl Abu Saif ein überzeugender politischer Denker mit einem Doktortitel in Politikwissenschaften ist, zerstört er in "Frühstück mit der Drohne" alle politischen Etiketten und Ausprägungen. Fast alle Politiker bleiben namenlos, und die palästinensischen Milizen scheinen keiner Partei oder Gefolgschaft anzugehören. Menschen rufen Parolen, aber wir kennen deren Inhalt nicht. Alles dreht sich darum, wie es ist, mit diesem Krieg zu leben. Darüber, wer ihn begonnen hat und was jenseits der Grenzen vor sich geht, wissen wir nur wenig.
Krieg als Wetterereignis
Während der 51-tägigen Erzählung sind wir so im Regen der Raketen und im Donnern der Drohnen gefangen, dass es sich weniger wie ein militärischer Angriff, sondern mehr wie ein Wetterereignis anfühlt. Gemeinsam mit dem Verfasser wägen wir Risiken ab, gemeinsam mit ihm sind wir wütend, und gemeinsam mit ihm fühlen wir uns ohnmächtig und frustriert. Wir wandern in Gedanken die Straße hinab, in der Hoffnung, der Aufmerksamkeit der Drohne über uns zu entgehen. Und wir fragen uns dann, ob wir vielleicht nicht besser im Schutz der Bäume gehen sollten (die einen Teil der Detonation absorbieren könnten) oder lieber in der Mitte der Straße (weiter entfernt von den Gebäuden).
Wenn es ein Wetterereignis ist, so sind wir jedenfalls keine Meteorologen. Drohnen, F16-Bomber und Panzerinvasionen erscheinen ohne ersichtliches Muster. Anstatt der erzählerischen oder politischen Logik steht uns nur die magische Logik des Überlebenden zur Verfügung: Wenn wir hierher gehen, wenn wir dies tun, wenn wir dreimal auf Holz klopfen und diese oder jene Angewohnheit vermeiden, könnten wir sicher sein.
Die Kämpfe, die wir während der 51 Tage erleben, sind nicht politischer Art und handeln nicht von Freiheit oder Gerechtigkeit. Stattdessen geht es um begrenzte Wasservorräte oder darum, wer zu viel Zeit im Badezimmer verbringt. Eines Nachts sind wir Zeuge einer Schlägerei auf einem der offenen Marktplätze von Gaza. Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, sind der Ansicht, die Süßwarenverkäufer, die vor dem Eid-Feiertag Schokolade verkaufen, seien gefühllos. "Mitten im Souq konnte man Schreie hören, und es wurden Fäuste geschwungen. Alles war durcheinander".
Obwohl auch ab und zu israelische Soldaten im Buch Erwähnung finden, bleibt der Hauptfeind die im Titel des Buches zitierte Drohne. Die Drohne wird hier vermenschlicht: Sie schaut in Abu Saifs Wohnzimmer hinein und isst, schläft und trinkt dort. Gelegentlich malt sich Abu Saif den namenlosen und gesichtslosen israelischen Soldaten aus, aber dieser Soldat steht immer an zweiter Stelle hinter seiner Drohne.
Auch die Palästinenser geraten in einen Zustand der Entfremdung. Der Videospielcharakter des Distanzkrieges führt zu einer neuen Form der Entmenschlichung. Auf dem Höhepunkt des Krieges zitiert Abu Saif ein Gespräch zwischen zwei namenlosen Bewohnern von Gaza: "Heute bin ich den ganzen Tag wie in einem Videospiel zwischen Granaten umher gerannt, als sei ich eine Figur im Spiel gewesen und jemand anderes hätte mich gespielt".
Die halluzinogenen Absurditäten des Krieges
Die Erinnerung ist am stärksten, wenn sie sich mit den halluzinogenen Absurditäten des Krieges befasst. Abu Saif schreibt seine kreativen Werke normalerweise auf Arabisch, und sein Englisch drängt der Prosa manchmal eine gewisse Schlichtheit auf. Aber sein Sprachduktus ist immer noch exzellent. Kurz nach Beginn des Krieges sehen die Straßen wie "die Werkstatt eines Bildhauers" aus. "Überall Bruchstücke, und trotzdem ist die Form seiner Skulptur immer noch tief im Stein verborgen und muss sich erst enthüllen".
Wenn die Erinnerung von den Geschehnissen verblasst, wird dem Leser vermittelt, es gebe für den Schrecken vor unseren Augen schlicht keine Worte mehr. In diesen Momenten stehen wir neben Abu Saif und sind geblendet. Nicht, weil einem für die Beschreibung der Ereignisse nichts mehr einfällt, sondern weil er es nicht übers Herz bringt, dafür noch Worte zu finden. Dies trifft besonders dann zu, wenn die rohe Gewalt näher an ihn herantritt, wie an der Stelle, wo seine Stiefmutter einen Sohn verliert.
Leser, die das Thema Menschenrechte ernst nehmen, könnten in Versuchung geraten, einem Buch wie "Frühstück mit der Drohne" magische Kräfte zuzuschreiben. Statt es als Geschichte der modernen Kriegsführung zu erleben, die von einem mächtigen Wortakrobaten verfasst wurde, ist man geneigt, sein Buch als politisch einflussreich zu erachten. Auf die britische Ausgabe trifft dies mit Sicherheit zu: Darin findet sich ein Vorwort von Noam Chomsky, und auf fast jeder Seite existiert eine Fußnote, die die Memoiren von Abu Saif mit "Beweisen" aus Nachrichten, YouTube-Videos und anderen Medien belegen.
Abu Saif sagt, in einer bald erscheinenden US-Ausgabe werde dieser Rahmen beseitigt. Hoffen wir, dass das Buch in dieser Ausgabe in seiner machtvollsten Form zur Geltung kommt: als in erster Linie menschliche Geschichte, die aufzeigt, was es bedeutet, 51 Tage lang im Drohnenkrieg zu überleben.
Marcia Lynx Qualey
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff