Das Recht des Blutes
Daniela Ortiz, eine schwangere Peruanerin, betritt den Versammlungsraum. Dabei ist sie mit einem anderen menschlichen Leben verbunden. Ein Blutschlauch an einer Vene ihres rechten Armes verbindet sie mit einer Vene im linken Arm des Mannes, der sie begleitet, ein Spanier namens Xose Quiroga.
Ortiz setzt sich vor ihrem Publikum nieder und beginnt mit ihrer Performance: "Die Töchter und Söhne der Migranten können durch die rassistischen und kolonialen Gesetze automatisch als illegale Einwanderer katalogisiert werden... Mein Blut und das meines Babys sind vom Erwerb der [spanischen] Nationalität ausgeschlossen", fährt sie fort, während sich ihr "peruanisches Blut" mit dem "spanischen Blut" Quirogas vermischt. Ortiz zeigte ihre Performance zur Eröffnung der Ausstellung Deportation Regime in der dänischen Hauptstadt – eines Landes, das momentan für seine Asylrechtsverschärfungen berüchtigt ist.
Ererbter Migrantenstatus
Für Ortiz, die seit fünf Jahren Kunstwerke zum Thema Einwanderung und Vertreibung produziert, bot diese Ausstellung eine Gelegenheit, mehr Aufmerksamkeit auf die antiquierte "Blutrechts"-Regel in der Einwanderungsgesetzgebung aus dem 19. Jahrhundert zu lenken, die in den meisten Ländern der Welt noch immer gilt.
"Nationalität ist nicht das einzige, das unsere Kinder von uns erben, auch unseren Status als Migranten geben wir an sie weiter", betont Ortiz. "Werden Eltern in Europa als 'illegale' Einwanderer betrachtet, sind automatisch auch ihre Kinder 'illegale' Bürger, unabhängig davon, wo sie geboren wurden."
Nach Ortiz' Auffassung stellen Konzepte wie Bewegungsfreiheit, Globalisierung und Arbeitsmarkt Vorstellungen des modernen Kolonialismus dar. "Dies sind Gesetze, die von den europäischen Staaten zu ihrem eigenen Nutzen eingeführt wurden", erklärt sie. "Die einzigen, die von diesen Gesetzen und Vereinbarungen profitieren, sind die Europäer selbst. Sie können sich frei bewegen, dürfen grenzüberschreitenden Handel betreiben und bekommen Zugang zu mehr Arbeitsressourcen. Menschen wie wir, die aus den 'alten Kolonien' stammen, haben in der Regel nur die Option, als billige Arbeitskräfte zu dienen oder harte körperliche Arbeit zu verrichten, die sich die meisten Europäer nicht zumuten wollen."
Die peruanische Künstlerin kam 2007 nach Europa und lebt heute mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Spanien. Ihrer Ansicht nach ist sogar der Integrationsprozess mitsamt seinen behördlichen Rahmenbedingungen tief im kolonialen System verwurzelt. "Sie schauen auf uns herab, als ob wir nicht wüssten, wie man lebt und wie man sich benimmt“, hat sie beobachtet. "Wenn wir ihre Nationalität annehmen wollen, prüfen sie erst, ob wir wissen, wie wir uns zu verhalten haben. Wenn wir dann den Test bestanden haben, gestattet man uns hierzubleiben. Das entspricht derselben Geisteshaltung, aus der heraus der Westen den Irak und Afghanistan angegriffen hat, um ihnen Demokratie zu bringen."
Nicht rassistischer Ehemann mit EU-Pass" gesucht
Neben Ortiz zeigen in der aktuellen CAMP-Ausstellung in Kopenhagen auch Künstler aus dem Iran, aus Kambodscha und den Vereinigten Staaten ihre Kunst, die sich mit Themen der Einwanderung und Abschiebung beschäftigt. Ghazal, eine iranische Künstlerin, die in Frankreich lebt, präsentiert mit ihrem Projekt "WANTED (Urgent)" eine Serie schwarzweißer Poster, auf denen ein "nicht rassistischer Ehemann mit EU-Pass" gesucht wird – in der Hoffnung, der Ausweisung entgehen zu können.
Frederikke Hansen, eine der beiden CAMP-Direktoren, berichtet, dass die Eröffnung dieser 45-Quadratmeter-Galerie das Ergebnis einer zehnjährigen Untersuchung über den nordeuropäischen Kolonialismus und dessen Einfluss auf andere Nationen war. "Durch Kunstwerke können wir den Menschen erklären, was eine Grenze ist und was Lager und Internierung bedeuten", sagt sie.
CAMP begann im April 2015 mit der Veranstaltung einwanderungsbezogener Ausstellungen und ist das einzige Kunstzentrum in Skandinavien, das sich diesem Thema widmet. Frühere Ausstellungen von CAMP, die auch in der dänischen Nationalgalerie gezeigt wurden, nannten sich Künstlerische Reflexionen über die Politik der "Internierung von Flüchtlingen und Migranten", "Reisen historischer Ungewissheit" und "Die Trennlinie".
Am Eingang der Galerie wird eine Installation von Dady de Maximo gezeigt, eines Überlebenden des Genozids in Ruanda im Jahr 1994. Seine Kunst stellt eine Gruppe von Schaufensterpuppen dar, die mit Schwimmwesten von Flüchtlingen und UNHCR-Plastikfolien bekleidet sind. Um ihre Handgelenke sind Kronen aus Stacheldraht gewickelt, die an die Dornenkrone erinnern, die Jesus aufgesetzt wurde, um seine Behauptungen zu verspotten.
Marianne Torp, Chefkuratorin der dänischen Nationalgalerie, glaubt, dass die aktuelle Diskussion über Einwanderungsdebatte in Europa durch Kunstzentren positiv beeinflusst werden kann. "Wir hatten ein großes Interesse daran, die vorurteilsbeladene Sicht dänischer Bürger zur Lage von Einwanderern nach Dänemark zu ändern. In einer Zeit zunehmender internationaler Migrationsbewegungen müssen wir darüber nachdenken, was es bedeutet, eine Nation zu sein, und wie wir die Nationen-Idee erweitern und weiterentwickeln können."
Kunst als Mittel zur Veränderung
Die meisten Künstler, deren Werke in der CAMP-Ausstellung gezeigt werden, haben selbst Erfahrungen als Flüchtlinge oder Einwanderer gesammelt. Mithilfe von Fotografien, Skulpturen, Videokunst und Installationen erzählen sie ihre Geschichten von Vertreibung, Flucht und Hoffnungslosigkeit.
"Diese Künstler haben in Flüchtlingslagern gelebt oder wurden in Internierungslagern festgehalten", betont Tone Olaf Nielsen, ein weiterer CAMP-Verantwortlicher. "Sie sind die Experten, die Zeugnis von Flucht und Gewalt ablegen und den privilegierten Klassen klarmachen können, dass sich an dieser Situation etwas ändern muss."
Auf die Frage nach dem Hauptziel des Kunstzentrums erklärt Nielsen, dass die CAMP-Künstler versuchen, sich primär mit der Frage von Flucht und Vertreibung zu beschäftigen: "Warum können sich manche von uns frei und ohne Visum in der Welt bewegen, während andere nach einem Grenzübertritt in ein Asylantenheim, ein Internierungslager oder sogar ins Gefängnis kommen? Wir müssen Wege finden, mit den Menschen umzugehen, die zur Flucht aus ihren Heimatstädten gezwungen wurden, weil ihre Häuser zerbombt oder sie aufgrund ihrer Sexualität mit dem Tode bedroht wurden", fügt Nielsen hinzu. "Wenn ich mein Land irgendwann einmal verlassen muss, hoffe ich doch auch, dass es jemanden gibt, der mich willkommen heißt."
Changiz M. Varzi
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