Migration ins Museum
Warum gehört das Thema Migration überhaupt ins Museum?
Regina Wonisch: Weil Migranten ein ganz wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind. Und wenn das Museum sich als eine Institution versteht, die gesellschaftliche Fragestellungen zum Thema hat, dann ist Migration ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Geschichte und damit auch der Darstellung im Museum.
Wird in Deutschland mit dem Thema Migration und Museum anders umgegangen als in anderen Ländern?
Wonisch: In Deutschland, Frankreich und den anglo-amerikanischen Ländern wird das sehr unterschiedlich aufgegriffen. In Deutschland ist das Thema von Migrantenorganisationen aufgebracht worden, die ihre eigene Geschichte der Einwanderung, beispielsweise aus der Türkei nach Deutschland, zum Thema machen wollten.
Es ist zudem sehr auffallend, dass es fast in jeder deutschen Stadt jetzt eine Migrationsausstellung gibt. Das Thema kommt hier eher von der Peripherie ins Zentrum: Kleinere Museen greifen es auf, und dann ist es auch ein Thema im Deutschen Historischen Museum in Berlin und im Haus der Geschichte in Bonn.
In anglo-amerikanischen Ländern wie den USA, Kanada oder Australien ist es ganz anders, weil dort die Immigration die Nationalgeschichte ist: Auf der Einwanderung beruht der nationale Mythos dieser Länder. Es ist aber auch nur der Fokus auf eine bestimmte Einwanderung: die aus Europa in die USA.
Die Franzosen beginnen gleich mit einem nationalen Einwanderungsmuseum. Das liegt im Vergleich zu Deutschland vielleicht an dem stärkeren Zentralismus in Frankreich mit einem klaren Landesmittelpunkt in der Hauptstadt Paris. Es gab dort zwar auch Initiativen von unten, aber die Regierung hat das von oben gleich richtig aufgegriffen. 2007 wurde das Nationale Zentrum für die Geschichte der Immigration in Frankreich, die Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, gegründet.
Wie hat sich das Thema Migration und Museum in Deutschland entwickelt?
Wonisch: Die Migrantenorganisationen richten natürlich den Blick sehr stark auf ihre Geschichte der Einwanderung ab den 1960er Jahren mit der klassischen Arbeitsmigration. In Ausstellungen mit anderem Kontext wird oft eine sehr breite und frühe Entwicklung der Migration gezeichnet, um deutlich zu machen, dass es immer schon Migrationsbewegungen und Einwanderung in Deutschland gegeben hat.
Das ist zwar gut, weil dadurch gezeigt wird, dass es nichts Außergewöhnliches ist. Allerdings rückt man dadurch die konkreten Probleme der Gegenwart, mit denen Migranten tatsächlich konfrontiert sind, auch aus dem Fokus, wenn man Migration zu einem allgemein menschlichen Phänomen macht.
Heute herrscht in Deutschland geradezu ein Ausstellungsboom zum Thema Migration. Sie sagten bereits, es gibt vor allem viele regionale Ausstellungen: Ist dann also alles in Ordnung, was die Kulturpolitik betrifft?
Wonisch: Das glaube ich nicht. Es ist gut, dass Migration zum Thema gemacht wird, aber es kommt eben auch darauf an, wie es aufgegriffen wird. Wenn die Migrationsgeschichte wieder zu einer Geschichte der Anderen wird, findet erneut Ausgrenzung statt. Es gibt auch Initiativen wie im Stadtmuseum in Stuttgart. Die sagen "Migrationsgeschichte ist ein integraler Teil unserer Stadtgeschichte und da gehört sie auch hin".
Das Jüdische Museum Berlin startete am 23. November 2012 das Projekt "Be Berlin - be diverse". Damit sollen Jugendliche mit Migrationshintergrund besser von Angeboten der Berliner Museen angesprochen werden. Wie neu ist der Ansatz in Deutschland?
Wonisch: Darum bemüht man sich schon seit mehreren Jahren durch Vermittlungsprogramme. Es wird versucht, andere Besuchergruppen, ein breiteres Publikum anzusprechen. Dazu gehören auch die Migrantengruppen.
Das hängt auch damit zusammen, dass sich durch die Globalisierung die Zusammensetzung der Bevölkerung in den Städten massiv geändert hat. Die Museen kommen gar nicht daran vorbei, sich etwas zu überlegen. Das Problem ist, dass die Institution des Museums im 19. Jahrhundert entstanden ist und bis heute stark die Nationalgeschichte reflektiert. Die löst sich aber durch die Globalisierung zunehmend auf. Das Museum als Institution muss sich eigentlich neu definieren und auf diese Veränderungsprozesse reagieren.
Gibt es neue Ansätze zum Thema Migration und Museum, die noch gar nicht umgesetzt worden sind?
Wonisch: Ich glaube, dass man stärker noch Kategorien wie Ethnizität in Frage stellen muss – so, wie das in der Frauengeschichte auch mit der Kategorie des Geschlechts passiert ist. Solche Kategorien sind Konstruktionen, und das sollte man zum Thema machen. Sobald man versucht, Menschen nach Gruppen einzuteilen und die zu definieren, erschafft man überhaupt erst das Andere - um es dann immer wieder auf neue Weise festzuschreiben. Darum sollten Sonderausstellungen über Migration nur ein Zwischenschritt sein, um das Thema überhaupt sichtbar zu machen und in die Museen zu bringen.
Aber dabei darf es nicht bleiben. Das Thema Migration müsste eigentlich in die Dauerausstellungen einfließen. In Deutschland gibt es zwar das Migrationsmuseum in Bremerhaven zur Aus- und neuerdings Einwanderung in Deutschland. Es ist aber ein Spezialmuseum. Die Frage ist, wie wird das Thema Migration im Deutschen Historischen Museum oder im Haus der Geschichte dauerhaft verankert - als integraler Teil der deutschen Geschichte.
Interview: Klaudia Prevezanos
© Deutsche Welle 2012
Regina Wonisch ist Historikerin an der österreichischen Universität Klagenfurt (Standort Wien). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Museologie, Minderheiten- und Migrationsforschung. Im September 2012 hat sie zusammen mit Thomas Hübel das Buch "Museum und Migration: Konzepte - Kontexte - Kontroversen (transcript Verlag Bielefeld) herausgegeben.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de