Glanz und Fluch der heiligen Stadt
Nur kein Fehler, kein falscher Zungenschlag! Gerade jetzt. Seitdem Donald Trump Jerusalem als "die ewige Hauptstadt des israelischen Staates" ausgerufen und die Spielregeln der Politik im Nahen Osten ordentlich durcheinandergewirbelt hat, ist die Stadt mehr denn je ein religiöses und soziales Minenfeld.
Und nun der Paukenschlag: Vier Tage nach Trumps Jerusalem-Entscheid wird in Berlin eine Ausstellung eröffnet, die seit Jahren geplant und vorbereitet war. Sie profitiert nun durch eine unerwartete Koinzidenz, von der geballten Power, dem Scheinwerferlicht aktueller Aufmerksamkeit. Ihr Titel: "Welcome to Jerusalem". Wobei dieses Willkommen immer auch ein zwiespältiges ist, ja manchmal klingt es geradezu ironisch, wie eine Einladung mit Hindernissen.
"Jerusalem ist eine Stadt, die sowohl die Hölle auf Erden als auch den Himmel auf Erden bedeuten kann", sagt die Kuratorin Cilly Kugelmann. Der Ort müsse sehr kontrovers gelesen werden. "Wir haben uns lange überlegt, wie wir dieses komplexe Thema auf vergleichsweise wenig Quadratmetern bewältigen können. Wir haben uns dazu entschlossen, die Heiligkeit der Stadt zum Zentrum zu machen, die alles überstrahlt, die lebendigen Zeiten, die Dornröschenschlafzeiten, die politisch aktiven Zeiten. Man könnte fast sagen Jerusalem ist von Heiligkeit kontaminiert."
Wie aber soll eine Ausstellung über "Heiligkeit" aussehen, die sich ja nicht konkret messen lässt? Kugelmann setzt auf das auratische Erlebnis einer Metropole, von der viele Besucher berichten, wie einmalig dort das Licht ist und wie man das Gefühl hat, an einem Gott nahen Ort zu sein. Nur die Bewohner Jerusalems selbst empfinden es nicht immer als Vergnügen, darin zu baden, weil sie tagtäglich mit Konflikten zu tun haben, die für sie existenziell sind. Jerusalem ist eben auch ein Brennpunkt des Nahostkonflikts. Und die "Kontaminierung mit Heiligkeit", die in der Ausstellung behauptet wird, gießt öfter Öl ins Feuer als dass sie Ausgleich schafft.
Größe und Elend Jerusalems
Das Jüdische Museum lädt ein zu einem Gang durch Größe und Elend dieser Stadt, die wohl wie keine andere die Fantasien und Reiselüste der Menschen angeregt hat - in 15 Räumen, mit Architekturmodellen, Filmen, Kunstwerken und seltenen Karten und Atlanten, zum Teil frei erdacht, weil sich manch mittelalterlicher Kartograph selbst den Weg weisen wollte ins weltliche und ins himmlische Jerusalem.
"Welcome to Jerusalem" zielt erst mal auf die totale Immersion des Zuschauers, wirft ihn in ein Ambiente aus optischen und akustischen Eindrücken, die aus drei Leinwänden auf ihn einprasseln.
Szenen des Projekts "24 Hours Jerusalem", das der Berliner Regisseur Volker Heise realisiert hat: Dutzende Teams waren an einem bestimmten Tag gleichzeitig in Jerusalem unterwegs, an den verschiedensten Orten, sie fingen Szenen ein, die nun in Echtzeit zu sehen sind. Man befindet sich gleichzeitig in einer Bäckerei, in den feuchten Pflastern der Altstadt, dem modernen West-Jerusalem und einem Hubschrauber, der das alles überfliegt.
Da trällern schwäbische Pilger in einem Reisebus fromme Lieder, während sie sich der Heiligen Stadt nähern, da ruckeln Juden vor der Klagemauer – und dass es selbst dagegen Protest gibt, gehört unmittelbar zu Jerusalem dazu. Liberale jüdische Frauen fordern das Recht ein, ebenfalls an der Klagemauer zu beten, und werden von bärtigen Männern brutal zurückgestoßen bis hin zur Prügelei. Das Fromme und das Brutale gehören in Jerusalem unmittelbar zusammen.
Wem gehört Jerusalem?
Diese Frage lässt sich nicht in dem einen oder anderen Sinn entscheiden. Unpolitisch will sie sein, die Berliner Schau, doch Konflikten weicht sie nicht aus. Es gibt sogar einen eigenen "Conflict Room", in dem die Dissonanzen zugespitzt werden. Die Spannungen toben weiter, auch wenn manches wie aus einem Religionsmuseum anmutet, bei dem Jüdisches, Christliches und Muslimisches tapfer nebeneinandersteht – mit deutscher, englischer und arabischer Beschriftung.
Dass dabei das Jüdische im Vordergrund steht, ist angesichts des Veranstaltungsortes kein Wunder. Das Christliche ist vor allem durch eine wuchernde Anzahl unterschiedlicher Kreuze zu sehen, darunter viele aus Olivenholz, wie sie von den palästinensischen Christen verwendet werden. Gern hätte man auch etwas zu den Kreuzzügen gesehen. Leider habe man dazu nicht die gewünschten Exponate gefunden, sagt Cilly Kugelmann. Dabei sagen gerade Dokumente aus dieser Zeit eine Menge zum Thema religiöse Toleranz aus.
Nach der Eroberung Jerusalems im Ersten Kreuzzug 1099 schrieb ein christlicher Chronist, in den Straßen der Stadt fließe das Blut: "Juden wurden in ihrer Synagoge eingekesselt und mit dem Schwert niedergemacht und zehntausend Muslime wurden brutal massakriert. Man sah ganze Haufen von Köpfen, Händen und Füßen. Wahrlich, es war ein gerechtes, großartiges Gottesgericht, dass dieser Ort mit dem Blut der Ungläubigen angefüllt war. Als sie niemanden mehr fanden, den sie töten konnten, zogen die Kreuzfahrer Hymnen singend zur Grabeskirche. Neben dem Grab Christi feierten sie die Osterliturgie."
Cilly Kugelmann bleibt bei ihrer These. "Alles, was in dieser Stadt passiert, ist mit einer Schicht von Heiligkeit überlagert. Und je weniger es säkulare, konventionelle Lösungen zu geben scheint, desto mehr orientiert man sich an der metaphysischen Wurzel dieser Stadt."
Die "neuen Umrisse von Palästina"
Der Dialog unter den Bevölkerungsgruppen aber bleibt schwierig. Als die Berliner Macher von "Welcome to Jerusalem" Palästinenser aufforderten, sich mit Beiträgen und Exponaten an der Ausstellung zu beteiligen, ernteten sie nur Absagen. "Die Palästinenser bestehen auf der Maximallösung, sie wollen nicht in einer Ausstellung vorkommen, die mit und von Juden gemacht ist", sagt Cilly Kugelmann, die bisherige Programmleiterin des Jüdischen Museums.
Immerhin hat die vielleicht wichtigste palästinensische Künstlerin, Mona Hatoum, die für ihre harsche Kritik der israelischen Besatzung bekannt ist, ein Werk geliefert: "Present Tense" zeichnet die "neuen Umrisse von Palästina" auf ein Mosaik kubischer Seifenstücke. Diese erinnern an die Seifenproduktion von Nablus, die bereits seit der Antike berühmt war und die lange zur Identität der Palästinenser gehört. Durch den israelischen Beschuss und Eingriffe in die Altstadt von Nablus wird diese Seife nicht mehr wie früher produziert.
"Welcome to Jerusalem", und das ist gut gelungen, versucht die Konflikte nicht zu übertünchen, um schöne und erbauliche Bilder fürs Herz zu posten oder gar Reisebüros farbig Konkurrenz zu machen, sondern hält die Widersprüche aus.
[embed:render:embedded:node:25126]Der palästinensische Großvater, der mit einem großen Schlüssel nach Jerusalem reist und auf ein Haus deutet, das einmal seiner Familie gehörte, bis zur Vertreibung von 1948 ("Ich dachte, dass sei eine militärische Übung, wir warten bis das vorbei ist und kehren dann zurück") kommt ebenso vor wie der Skandalauftritt der amtierenden israelischen Kulturministerin Miri Regev in Cannes, die hier als Pappkameradin erscheint.
Kleid als politisches Statement
Regev hatte sich für die Festspiele von Cannes ein Kleid schneidern lassen mit der Silhouette Jerusalems, mit den Kuppeln der Al Aksa-Moschee und des Felsendoms. Dieses provokante Kleid manifestiert den Anspruch der derzeitigen israelischen Regierung auf den Ostteil der Stadt. In den Sozialen Medien ging das Kleid in einem digitalen Flammenmeer auf.
Jerusalem of Gold – das ist ein Slogan aus dem Tourismusmarketing. Ja, Jerusalem wird immer wieder mit seiner Besonderheit verkauft, seiner Aura von Heiligkeit, seinem Licht, das Schriftsteller wie Amos Oz beschrieben haben und das den Jerusalem-Fahrer jäh und unmittelbar treffen kann. Man spricht ja vom Jerusalem-Syndrom als einer psychischen Erkrankung, einem plötzlichen göttlichen Größenwahn, der viele Reisende seit Jahrhunderten trifft.
Jerusalem verspricht den Pilgern Rettung – und brütet doch neue Gewalt aus. Eine Gruppe jüdischer Extremisten hat bereits das Tempel-Institut gegründet, das sich schon jetzt für den Bau eines neuen, des Dritten Tempels rüstet. Der soll zwar nach allgemeiner jüdischer Überzeugung erst dann entstehen, wenn der Messias wiederkehrt.
Doch die Extremisten wollen dem offenbar vorgreifen. Viel Geld steckt hinter dieser Bewegung, die bereits die Gerätschaften des Tempels einschließlich der goldenen Menora wieder hergestellt hat, die aber letztlich darauf zielt, das Haram al-Sharif, den Felsendom und die Al Aksa-Moschee abzureißen. Es könnte der Beginn einer Dritten Intifada werden.
Werner Bloch
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