Kein Frieden mit Assad und al-Qaida
Was müssen wir dieser Tage nicht alles zu Syrien lesen. "Islamisten" kämpfen gegen "Islamisten“, Assad ist ein "kleineres Übel" und als allererstes sollen wir jetzt "den Terrorismus bekämpfen" – den von al-Qaida natürlich, nicht den des Baschar al-Assad. Höchste Zeit daran zu erinnern, worum es in Syrien eigentlich geht und worüber in Montreux deshalb geredet werden muss: die Entmachtung eines mörderischen Regimes. Nicht weil wir im Westen das wollen, sondern weil die Syrer das friedlich gefordert haben und dafür gefoltert, erschossen, bombardiert und ausgehungert werden.
Natürlich ist alles viel komplizierter. Aus der Revolution ist ein regionaler Stellvertreterkrieg geworden, aus Demonstranten sind Kämpfer und aus politischen Aktivisten sind humanitäre Helfer geworden. Deshalb wird am Ende der Friedenskonferenz in Montreux vorerst auch kein Frieden stehen.
Abgekoppelt von der Realität
Das Hauptproblem ist, dass der derzeitige Verhandlungsprozess abgekoppelt von den Ereignissen in Syrien stattfindet. Die eine Seite will, die andere Seite kann den Krieg nicht beenden. Das Regime gibt sich noch immer entschlossen, den "Terrorismus" zu bekämpfen, wird also weiterhin oppositionelle Wohngebiete bombardieren und Kritiker zu Tode foltern.
Und die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte hat keinen Einfluss auf den bewaffneten Widerstand, denn die mit ihr verbündeten Rebellen der "Freien Syrischen Armee" sind zu schwach. Das bedeutet, egal was in Montreux besprochen wird, es wirkt sich nicht auf das Geschehen im Land aus.
Hinzu kommen unvereinbare inhaltliche Positionen. Baschar al-Assad sieht keinerlei Grund dafür, Macht abzugeben. Warum sollte er auch – Iran, Russland und die Hisbollah stehen militärisch wie wirtschaftlich an seiner Seite, international hat er sich durch das Chemiewaffenabkommen als Verhandlungspartner rehabilitiert und angesichts des Vormarsches von al-Qaida erscheint er manch westlichem Politiker tatsächlich schon wieder als das "kleinere Übel".
Mörderische Gleichgültigkeit
Die Opposition kann sich dagegen nur auf Verhandlungen einlassen, die eine glaubwürdige Übergangsregierung ohne Assad zum Ziel haben. Alles andere wäre politischer Selbstmord, denn wie soll ein syrischer Oppositioneller Gespräche mit einem Regime rechtfertigen, das zur gleichen Zeit Fassbomben auf Zivilisten schmeißt und Kinder in abgeriegelten Stadtvierteln verhungern lässt, wenn dieses am Ende weitermachen kann wie bisher?
Wer vor einem schnellen Abgang Assads warnt, weil Dschihadisten das Machtvakuum füllen könnten, verkennt die Realität im Land. Es ist nicht der Sturz des Regimes, der al-Qaida womöglich an die Macht bringt. Es ist das anhaltende Morden, das Nichtstun des Westens und die Ignoranz der Welt gegenüber dem Sterben der Syrer, die al-Qaida schon jetzt an die Macht bringen.
Assad selbst hat extremistische Gruppen in der Region groß gemacht. Er hat Syrien so zerstört, dass sich Dschihadisten im Chaos einrichten konnten. Und er profitiert von ihrer Präsenz in Syrien, da sie seine Propaganda vom Kampf gegen den Terror bestätigen und Zwietracht unter seinen Gegnern säen.
Assad als Verbündeten im Kampf gegen al-Qaida zu betrachten, ist deshalb absurd. Seine "Terroristen" sind nicht die Mitglieder des al-Qaida-Ablegers "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" (ISIL), sondern unbeugsame oder unbeteiligte Syrer in den Vororten von Damaskus, in Aleppo und Homs.
Kampf an zwei Fronten
In der Realität bekämpft nicht das Regime ISIL, sondern die Rebellen, die in den "befreiten" Gebieten mit den Terroristen konfrontiert sind und ihnen gerade den Krieg erklärt haben. Statt gemeinsam auf den Sturz des Regimes hinzuarbeiten, kämpfen sie jetzt an zwei Fronten: gegen Assad und gegen al-Qaida.
Wer verhindern will, dass Syrien zu einem Rückzugsgebiet des internationalen Terrors wird, muss deshalb den Krieg gegen Assad so schnell wie möglich beenden helfen. Denn nur eine Übergangsregierung auf Konsensbasis kann die Syrer im Kampf gegen den Terrorismus einen.
Zugegeben sind Syriens Rebellen ein recht unübersichtlicher Haufen verschiedener Brigaden, von denen sich manche äußerlich und rhetorisch kaum von den al-Qaida-Gruppen unterscheiden. Vor allem die Mitglieder der "Islamischen Front", also Syriens lokal verwurzelte Islamistengruppen, wirken zum Teil ähnlich radikal wie ISIL.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. ISIL will ein Kalifat in der gesamten Region und eine Weltherrschaft des Islam etablieren, die "Islamische Front" will Syrien von Assad befreien und danach einen, wie auch immer gearteten, islamischen Staat errichten. ISIL steht für transnationalen Terrorismus, die Rebellen der "Islamischen Front" dagegen kämpfen für Selbstbestimmung in ihrem Land.
Dass sie zum Teil wie salafistische Hardliner klingen, hat mit ihren Finanziers zu tun. Saudi-Arabien, Qatar, die Türkei und andere Golfstaaten fördern den sunnitischen Islamismus und suchen sich "ihre" Brigaden entsprechend aus. Je islamischer eine Gruppe auftritt, desto mehr Geld und Waffen bekommt sie – so die einfache Regel.
Da der Westen als Unterstützer des bewaffneten Kampfes weitgehend ausfällt, lohnen sich lange Bärte und schwarz-weiße Stirnbänder mit dem islamischen Glaubensbekenntnis in Syrien mehr als glatt-rasierte Gesichter und grüne Uniformen. Zur Schau gestellte Ideologien sind zum jetzigen Zeitpunkt folglich weniger ein Ausdruck verfestigter politischer Überzeugungen, sondern vor allem ein Mittel zur Finanzierung des Kampfes.
"Assad und ISIL sind eins"
Dass die verbliebenen 18 Millionen Syrer weder Assad noch al-Qaida wollen, haben sie Anfang Januar eindrücklich bewiesen, als gleichzeitig mit der militärischen Offensive an vielen Orten im Norden koordinierte Proteste gegen ISIL stattfanden unter dem Motto "Assad und ISIL sind eins". Die Mobilisierung zeigt, dass sich in der syrischen Gesellschaft politisches Bewusstsein und Mut zur Selbstermächtigung entwickelt haben, was vor drei Jahren noch undenkbar schien.
Die Syrer werden sich nicht mehr vorschreiben lassen wie sie zu leben haben – weder von ISIL noch von anderen religiösen oder säkularen Tyrannen. Sie werden auch unter widrigsten Umständen darauf bestehen, mitzureden und mitzubestimmen. Die syrische Zivilgesellschaft hat Assad und ISIL überlebt, das macht sie ziemlich unsterblich.
Ziel muss es deshalb sein, den Syrern nicht nur ein Leben in Freiheit und Würde, sondern auch einen politischen Selbstfindungsprozess zu ermöglichen, der weder von einer skrupellosen Machtclique verhindert noch von bewaffneten Dschihadisten torpediert wird. Auf diesem Weg, der steinig und voller Hindernisse sein wird, ist Assads Abgang der erste Schritt.
Eine Lösung mit Assad ist auch deshalb keine Lösung, weil die Kämpfe nicht enden werden, so lange er an der Macht ist. Nach dem Grauen, das die Syrer seit drei Jahren durchleben, werden sie nicht ruhen bis er weg ist.
Wie sehr sich auch die internationale Gemeinschaft für einen Verbleib Assads aussprechen mag – Syriens Rebellen, vom säkularsten Deserteur bis zum radikalsten Dschihadisten, werden ihre Waffen nicht niederlegen bis das Regime gestürzt ist. Alles andere ist Wunschdenken, mit dem Diplomaten in Washington, Moskau, Brüssel und New York nur Zeit verschwenden.
Politische Perspektiven
Was also ist zu tun? Erste Voraussetzung für eine Verhandlungslösung ist, dass die Parteien am Tisch Einfluss auf die Kriegführenden im Land haben. So lange Assad direkt oder indirekt mitverhandelt, werden die Radikaleren unter den Rebellen eine Teilnahme verweigern. Deshalb bleibt nur, die Nationale Koalition und den mit ihr verbündeten Obersten Militärrat zu stärken.
Erst wenn die FSA-Führung in Syrien über die effektivsten Waffen verfügt und militärisch die Oberhand hat, kann sie Brigaden der "Islamischen Front" für sich gewinnen und im Falle einer politischen Einigung zu einem Waffenstillstand bewegen.
Eine solche Einigung müsste die schrittweise Übergabe von Macht beinhalten und spürbare Zugeständnisse wie ungehinderten Zugang für internationale Hilfsorganisationen oder die Freilassung von politischen Gefangenen mit sich bringen.
Die bisherige Strategie der "Freunde Syriens", die Nationale Koalition zwar als legitimen Vertreter des syrischen Volkes anzuerkennen, sie dabei aber machtlos zu lassen, hilft nur Assad in seiner Argumentation, die Oppositionellen seien "Vasallen des Westens".
Wir sollten folglich Aktivisten und Rebellen, die mit der Nationalen Koalition zusammenarbeiten und dadurch Partner einer Verhandlungslösung sind, mit allem ausstatten, was sie für einen Sieg über das Regime und al-Qaida brauchen.
Dabei geht es nicht um Bodentruppen oder großangelegte NATO-Manöver. Es geht nicht darum, wie in Libyen einen Regimewechsel herbeizubomben. Und es geht auch nicht darum, wie im Irak aus eigenen imperialistischen Interessen einen Krieg zu beginnen.
Schutzverantwortung für Syrien
Nein, in Syrien geht es darum, einen Krieg beenden zu helfen, der den Syrern von ihrem Regime aufgezwungen wurde und der ein Volk zu vernichten droht. Schutzverantwortung nennt sich das – wo, wenn nicht in Syrien, sollte dieses neue völkerrechtliche Prinzip mehr Berechtigung haben?
Waffenlieferungen an die "richtigen" Kräfte innerhalb des Widerstands und Flugverbotszonen könnten in Syrien die entscheidende Wende bringen, aber Europäer und Amerikaner sind nicht bereit, sich ohne UN-Mandat militärisch zu engagieren.
So richtig diese Zurückhaltung im Allgemeinen ist, im Falle Syriens ist sie kurzsichtig und kontraproduktiv. Weil gemäßigte Kräfte, deren natürliche Verbündete wir wären, untergehen. Weil sich der Aufstand wegen seiner islamistischen Finanziers radikalisiert. Und weil sich al-Qaida im zerfallenden Syrien einrichtet.
Das Signal, das der Westen in Syrien aussendet, lautet: Schlimm, was Assad macht, schlimm, was al-Qaida macht, aber fertig werden müsst ihr damit alleine! Und die Lehre, die die Syrer daraus nach drei Jahren ziehen? Auf Europa und Amerika, die Verfechter von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie, ist kein Verlass.
Kristin Helberg
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de