"Wir suchen die Anerkennung des Westens nicht"

Die Emirate haben sich den Kulturdialog auf die Fahnen geschrieben. Auf der Buchmesse in Abu Dhabi präsentiert sich das Land selbstbewusst als Bewahrer der arabischen Kultur. Bei dem Treffpunkt der Autoren und Verlage wird der Austausch gepflegt -  er hat aber auch Grenzen.
Die Emirate haben sich den Kulturdialog auf die Fahnen geschrieben. Auf der Buchmesse in Abu Dhabi präsentiert sich das Land selbstbewusst als Bewahrer der arabischen Kultur. Bei dem Treffpunkt der Autoren und Verlage wird der Austausch gepflegt - er hat aber auch Grenzen.

Die Emirate haben sich den Kulturdialog auf die Fahnen geschrieben. Auf der Buchmesse in Abu Dhabi präsentiert sich das Land selbstbewusst als Bewahrer der arabischen Kultur. Bei dem Treffpunkt der Autoren und Verlage wird der Austausch gepflegt - er hat aber auch Grenzen. Claudia Mende berichtet aus Abu Dhabi.

Von Claudia Mende

Vor dem Büchertisch des saudischen Fantasy-Autors Osamah al Muslim warten begeisterte Fans. Sie wollen unbedingt eine Widmung. Al Muslim hat vor allem die Leserinnen mit seiner Trilogie “Arabistan Orchards” begeistert, schickt er doch seine Heldinnen auf eine abenteuerliche Reise in ein Land voller Zauberer und Dschinns. Fantasy steht hoch im Kurs in der arabischen Welt, sie bietet kleine Fluchten in eine Wirklichkeit ohne Tabus und Verbote.

Unterhaltung, Lifestyle und Selbstoptimierung sind auch auf der Buchmesse in Abu Dhabi wichtige Themen. Musik, emiratische TikTok-Stars im Kochstudio und Kunstworkshops für Kinder bieten einen heiteren Rahmen für das anspruchsvolle Programm. Das Gastland Türkei zeigt Derwisch-Tänze und eine emiratische Blaskapelle heizt jeden Abend dem Publikum ein.

Mit ihren Lesungen und Podien ist die Buchmesse aber auch einer der wichtigsten intellektuellen Treffpunkte in der Region. Hier wird über die Zukunft des arabischen Buches in einer digitalisierten Welt diskutiert, über die immer stärkere Dominanz des Englischen und wie künstliche Intelligenz den Buchmarkt verändern wird. Hier können sich die Autoren vergleichsweise offen austauschen. Das ist wichtig, denn die Aussichten sind derzeit düster in der Region. Hoffnung ist gerade ein rares Gut.

Leila Abouleila beim Interview auf der Buchmesse in Abu Dhabi; Foto: Claudia Mende
Die ägyptisch-sudanesische Autorin Leila Abouleila auf einem Podium bei der Buchmesse in Abu Dhabi. Abouleila schreibt ihre Bücher auf Englisch und hat im Frühjahr den Roman "River Spirit“ (Grove Press) veröffentlicht, der von der Kritik im angelsächsischen Sprachraum begeistert aufgenommen und bereits in der New York Times besprochen wurde. Darin schildert sie eine Episode aus der Geschichte des Sudan im 19. Jahrhundert, den sog. Mahdi-Aufstand gegen die britischen Kolonialherren, und stellt dem gewohnten britischen Narrativ eine sudanesische Perspektive gegenüber.

In der Literatur lebt der Arabische Frühling weiter

Das einstige demokratische Vorzeigeland Tunesien ist zurück in die Autokratie gekehrt, im Libanon zerfällt der Staat, Ägypten ist autokratischer denn je und Syriens Staatspräsident Assad wurde im Mai nach 12 Jahren Abwesenheit wieder in die Arabische Liga aufgenommen, als wäre der Aufstand gegen sein Gewaltregime nie gewesen. Es wirkte wie der endgültige Schlussstrich unter den Arabischen Frühling.

Doch der Wunsch nach Meinungsfreiheit, nach offenen Debatten und Austausch lebt ungebrochen weiter. In der Literatur drücke sich der Schmerz über die gescheiterten Hoffnungen aus, sagte die syrische Autorin Lina Huyan Elhassan bei einem Podium mit arabischen Autorinnen im Exil.



Elhassan (geb. 1975), die heute in Beirut lebt, schilderte, wie sie Syrien 2012 verlassen musste, nur knapp dem Tod entrann, ihren Bruder bei den Protesten gegen das Regime verlor und wie sich ihr Schreiben dadurch verändert hat. Ihre neun bisher erschienenen Romane und Erzählungen drehen sich vor allem um das Thema Leben im Exil. "Ich schreibe, um zu vergessen und mich doch zu erinnern“, sagte sie. "Literatur, das sind für mich Erinnerungen, Erinnerungen voller Grausamkeit“.

In Abu Dhabi können diese Erinnerungen, die Erfahrungen einer ganzen Generation von Autorinnen und Autoren, ausgesprochen werden. Hier treffen sich international gefeierte Autoren wie die auf Englisch schreibende ägyptisch-sudanesische Schriftstellerin Leila Abouleila oder der ägyptische Krimi-Starautor Ahmed Mourad, aber auch Newcomer, Übersetzer, Illustratoren und Verleger.

Schmerzhafte Erinnerungen hat auch der junge algerische Autor Said Khatibi schreibend verarbeitet. Sein Trauma ist der algerische Bürgerkrieg (1991-20002) zwischen Militärs und Islamisten. Er habe seine gesamte Jugend überschattet, sagt der Autor. Sein historischer Kriminalroman "Das Ende der Wüste“ (arab. nihayat al-sahra), der bisher nur auf Arabisch erschienen ist, spielt in der Zeit des Volksaufstands von 1988, als es in Algerien zu Bürgerprotesten wegen Nahrungsmittelengpässen kam.

Verleihung der Sheikh Zayed-Buchpreise auf der Buchmesse in Abu Dhabi; Foto: Claudia Mende
Renommierter Preis: Der Sheikh Zayed Award genießt internationales Prestige. Alle Preisträger werden in einem aufwendigen Verfahren unter Beteiligung internationaler Experten ermittelt. Mit diesem Vorgehen wird garantiert, dass die literarische Qualität an erster Stelle steht. Der Sheikh Zayed Preis, insgesamt mit 1,9 Millionen US-Dollar dotiert, hat damit inzwischen ein Renommee gewonnen, das andere Auszeichnungen in der Region bei weitem in den Schatten stellt. Mehr als die Hälfte der eingereichten Werke beim Sheikh Zayed-Preis stammt inzwischen von Autorinnen.



"Das Problem ist nicht, dass wir keine guten Autoren hätten, sondern uns fehlt die innere Freiheit, um offen über Sex, Religion und Politik zu schreiben“, sagt Khatibi, der heute in Slowenien lebt. "Selbst dort, wo es keine staatliche Zensur gibt, haben wir diese Selbstzensur in unseren Köpfen, und zwar schon seit vielen, vielen Jahren“.



Für sein literarisch überzeugendes Buch und die innovative Einführung des Genres historischer Kriminalroman in die arabische Buchwelt hat Khatibi den Sheikh Zayed-Preis in der Kategorie junge Autoren bekommen.

Ein international renommierter Preis

Alle Preisträger werden in einem aufwendigen Verfahren unter Beteiligung internationaler Expertinnen und Experten ermittelt. Mit diesem Vorgehen wird garantiert, dass die literarische Qualität an erster Stelle steht. Der Sheikh Zayed Preis, insgesamt mit 1,9 Millionen US-Dollar dotiert, und der International Prize for Arab Fiction (IPAF), der sog. Arab Booker, haben damit inzwischen ein Renommee gewonnen, das andere Auszeichnungen in der Region bei weitem in den Schatten stellt. Mehr als die Hälfte der eingereichten Werke beim Sheikh Zayed-Preis stammt inzwischen von Autorinnen.

Für die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind Literaturpreise und die Buchmesse wichtige Instrumente ihrer Politik; sie wollen sich als ein Land des Kulturdialogs präsentieren. Die Buchmesse "gehört auch zur Soft Power der Vereinigten Arabischen Emirate“, sagt Ali bin Tamim, Leiter des Arabic Language Center, das mit seinen Übersetzerprogrammen arabische Bücher fördert, die Buchmesse ausrichtet und für die Vergabe der Auszeichnungen verantwortlich ist. "Es ist unser Ziel, Menschen und Kulturen zusammenbringen, Differenzen zu überbrücken“.

Der saudische Fangtasy-Autor Osamah Bin Muslim signiert Bücher; Foto: Claudia Mende
Vor dem Büchertisch des saudischen Fantasy-Autors Osamah al Muslim warten begeisterte Fans. Sie wollen unbedingt eine Widmung. Al Muslim hat vor allem die Leserinnen mit seiner Trilogie “Arabistan Orchards” begeistert, schickt er doch seine Heldinnen auf eine abenteuerliche Reise in ein Land voller Zauberer und Dschinns. Fantasy steht hoch im Kurs in der arabischen Welt, sie bietet kleine Fluchten in eine Wirklichkeit ohne Tabus und Verbote.

Mit ihrem aus dem ökonomischen Erfolg gewonnenen Selbstbewusstsein senden die Emirate ein klares Signal an die alten, im Niedergang begriffenen kulturellen Zentren Kairo und Beirut, Damaskus und Bagdad: Die Zukunft, das sind wir, auch die Zukunft der arabischen Kultur.

Arabisch schreibende Autorinnen und Autoren haben es schwer, international wahrgenommen zu werden, die Vertriebsstrukturen der Verlage sind chronisch schwach.

Zollprobleme und politische Grenzen machen es zudem schwer, Bücher zu verbreiten. Buchhandlungen und Bibliotheken sind rar; es wird wenig gelesen und in vielen Ländern fehlt es auch an der Kaufkraft für das Luxusgut Buch.



Raubkopien machen dazu Verlagen das Leben schwer. "Wir wollen arabische Literatur wertschätzen und unterstützen“, sagt Bin Tamim. "Besonders wichtig ist es uns, das Interesse für die arabische Sprache zu fördern“.



Denn Erzählkunst sei "Teil der arabischen DNA“ und eine besonders vielfältige Kunst. "Wir sollten selbst von unserer eigenen Tradition lernen und die vielen Stimmen in der arabischen, aber auch der europäischen Literatur wahrnehmen“.

Die Kulturpolitik der VAE sendet aber auch eine Botschaft nach innen an eine Gesellschaft, die zu 80 Prozent aus Migranten aus mehr als 20 Nationen besteht. Wir wollen Vielfalt und wir fördern sie, soll diese Politik signalisieren,  zugleich werden wir das eigene, emiratische Erbe nicht vernachlässigen.



Das ist wichtig in einem Land, das in nur einer Generation eine rasante Entwicklung von der Wüstenei zu einem der modernsten Staaten der Welt durchgemacht hat und für seine Zukunft auch ein Narrativ braucht, das alles zusammenhalten kann.

Die einflussreiche emiratische Autorin und Kolumnistin Dubai Aboulhoul, Mitglied im Jugendparlament der VAE, fasst dieses Selbstbewusstsein bei einer Diskussion über die "Zukunft der VAE“ in Worte. "Lange genug hat die Welt über den Nahen Osten geredet, aber jetzt gibt es eine neue Generation mit einer eigenen Agenda“, meinte sie. "Wir wollen endlich für uns selber sprechen“.

Die Zukunft sind wir

Aboulhoul hat in Dubai das Fiker Institute gegründet, einen Think Tank, der den Austausch über kulturelle Grenzen hinweg pflegt und dabei post-koloniale Positionen einbringt. Anerkennung aus dem Westen für das, was man in den VAE erreicht habe, erwartet sie nicht. "Wir suchen diese Anerkennung des Westens nicht, für das, was wir aufgebaut haben, nämlich eine moderne Gesellschaft, in der jeder eine Chance bekommt“.

 

 

Der Elefant im Raum allerdings wird auch bei diesem Podium nicht benannt: Die autokratische Herrschaft in den VAE, wie in der gesamten arabischen Welt, schwingt im Hintergrund stets mit, kann aber auf der Buchmesse höchstens in versteckten Anspielungen angesprochen werden. Das gilt auch für die verheerende Rolle der VAE in regionalen Konflikten etwa im Jemen und derzeit im Sudan.

Nachdem alle Bemühungen zu Demokratisierung in der Region zu einem massiven Backlash geführt haben und vielerorts die Situation schlimmer ist als vor dem Arabischen Frühling, "sollte Liberalisierung, nicht Demokratisierung jetzt eine Priorität sein“, forderte der britische Sachbuchautor Ed Hussein.



Diese erhoffe er sich in erster Linie von den Ländern am Golf, sagte Hussein – und spielte damit auch auf das Nachbarland Saudi-Arabien an, wo Kronprinz Mohammed bin Salman dabei ist, das Land umzukrempeln. Auf die nächste Buchmesse in Riad sind die Verlage schon höchst gespannt. Über den Grad an Offenheit, der dort zu erwarten ist, wurde viel spekuliert.

Doch auch Liberalisierung birgt jede Menge Sprengstoff. "Wir brauchen Freiheit, um über Fragen der Religion diskutieren zu können“, sagen zwei junge emiratische Männer an einem Bücherstand, "sonst können wir uns nicht weiterentwickeln“. Schließlich sei es doch schwierig zu beurteilen, was wahr ist im Islam und was nicht.



In ihrem Umfeld wären sie allerdings ziemlich allein mit ihrer Meinung, umso mehr freuten sie sich über die Anregungen auf der Buchmesse. Die beiden interessieren sich für kritische Sachbücher über den Islam und diskutieren am Bücherstand lebhaft mit anderen. Ob Reformislam, Bücher über den Holocaust oder religionskritische Werke: Kulturdialog ist eben auch ein Prozess mit offenem Ausgang.

Claudia Mende

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