Debatten um Nahost, Migration und Antisemitismus

Radfahrer vor Wahlkampfplakaten
Die Spitzenkandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl, Friedrich Merz von der CDU (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD (rechts), auf Wahlplakaten in Düsseldorf. (Foto: Picture Alliance / AP | M. Meissner)

Am 23. Februar wird in Deutschland gewählt. Wie positionieren sich die Parteien zu Migration, Israel und Gaza, Antisemitismus und zur Zukunft Syriens?

Von Leon Holly

Am 23. Februar wählt Deutschland ein neues Parlament. Nach dem Bruch der sogenannten Ampel-Koalition aus den Mitte-links-Parteien SPD und Grünen und der liberal-konservativen FDP ist die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz aktuell nur noch geschäftsführend im Amt. 

Umfragen zufolge hat die konservative Union aus CDU und CSU gute Chancen, als stärkste Kraft aus der Wahl hervorzugehen. Dies könnte ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zum nächsten Regierungschef machen.

Während die ehemalige CDU-Kanzlerin Angela Merkel sich vor zehn Jahren entschied, Geflüchtete an den deutschen Grenzen nicht zurückzuweisen, verspricht Merz heute das Gegenteil – einige seiner Vorschläge könnten deutsches und europäisches Recht verletzen. So fordert Merz eine Ausweitung der Abschiebehaft für ausreisepflichtige Migrant:innen sowie Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien.

Die CDU hatte Ende Januar zwei Anträge und einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, wobei Merz explizit auch Stimmen der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) in Kauf nahm – ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 

Alle sprechen über Migration

In ihrem im Dezember veröffentlichten gemeinsamen Wahlprogramm schreiben CDU und CSU, sie hätten „in ihrer Regierungszeit Fehler gemacht – und daraus gelernt“ – eine Anspielung auf die Zeit unter Merkel nach 2015. Jetzt wollen die Unionsparteien eine „grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik“. 

Im Programm ist die Rede von einem „faktischen Aufnahmestopp“: Wer aus dem Schengenraum oder einem EU-Mitgliedstaat einreist, um in Deutschland Asyl zu beantragen, soll zurückgewiesen werden. Geflüchtete in Deutschland sollen zudem weniger Bargeld und dafür mehr Sachleistungen wie Unterkunft oder Hygieneartikel erhalten.

Zudem wollen CDU und CSU wie auch die FDP – Menschen mit „subsidiärem Schutz“ den Familiennachzug verweigern. Darunter versteht man Migrant:innen, denen weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt wurde, die aber bleiben dürfen, weil ihnen in ihrem Heimatland eine unmenschliche Behandlung oder Gefahren drohen. Etwa ein Drittel – oder mehr als 300.000 – der in Deutschland lebenden Syrer:innen haben diesen Status inne. Die Unionsparteien planen gar, den subsidiären Schutz gänzlich abzuschaffen. Abgelehnte Asylbewerber:innen könnten dann abgeschoben werden, egal wie bedrohlich die Situation in ihren Heimatländern ist.

CDU und CSU sowie die FDP wollen darüber hinaus alle freiwilligen Aufnahmeprogramme beenden und mehr Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären. Die FDP will Personen ohne Bleiberecht schneller abschieben. Da der Vollzug durch die Bundesländer oft scheitere, will die FDP die Kompetenzen für Abschiebungen von den Bundesländern an den Bund übertragen. Während CDU und CSU Asylbewerber:innen pauschal an den Grenzen zurückweisen wollen, unterstützt die FDP etwas abgeschwächt eine „modellhafte Erprobung“ dieser Zurückweisungen. 

Massenproteste gegen deutsche Politiker
Der Wahlkampf wird von großen Demonstrationen begleitet. Der Protest gilt der AfD und den politischen Forderungen von Friedrich Merz. (Foto: Picture Alliance / ZUMAPRESS.com | S. Babbar)

Viele dieser Forderungen finden sich auch im Programm der AfD. Die Partei sieht sich nicht mehr an die europäische Asylregelung gebunden; die Rede ist von einer „Kehrtwende“ in der Migrationspolitik und einer „Rückführungsoffensive“. Die AfD will zudem das Staatsangehörigkeitsrecht von vor 1990 wieder einführen. Damals gab es höhere Hürden für die Einbürgerung von Ausländer:innen. Abschaffen wollen sie hingegen das Kirchenasyl, eine Regelung, die Asylsuchende nach abgelehntem Antrag ermöglicht, in einem Gotteshaus vor dem Zugriff der Behörden Schutz zu suchen. So lange, bis ihr Fall erneut geprüft wird.

Auch das aus der Linkspartei hervorgegangene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will die Zuwanderung begrenzen: „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat kein Recht auf Aufenthalt. Wer kein Recht auf Aufenthalt hat, hat keinen Anspruch auf ein Asylverfahren und auch keinen Anspruch auf soziale Leistungen“, schreibt die Partei in ihrem Programm. Nach schweren Straftaten sollen Geflüchtete ihren Anspruch auf ein Asylverfahren verlieren, es sei denn, ihnen droht im Herkunftsland die Todesstrafe.

Die SPD hingegen bekennt sich in ihrem Wahlprogramm zum Menschenrecht auf Asyl: „Grenzschließungen und Pauschalzurückweisungen an den Binnengrenzen“ in Europa lehnt die Partei ab. Auch wollen die Sozialdemokrat:innen den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige weiter ermöglichen. Doch müssten die EU-Außengrenzen „stärker geschützt und kontrolliert werden“.

Die Grünen wollen laut ihrem Wahlprogramm in der Migrationspolitik „Humanität und Ordnung“ verbinden und auch „wissenschaftliche Expertise“ einbeziehen. Die Partei will sichere Migrationswege ermöglichen und „ungeordnete Migration reduzieren“. Partnerländer sollen ihre Staatsangehörigen, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben, zurücknehmen.

Dagegen positioniert sich die Linkspartei in ihrem Wahlprogramm deutlich gegen eine „Migrationsdebatte von rechts“, die Migrant:innen und Geflüchtete zu „Sündenböcken für die verfehlte Politik im Interesse der Reichen“ mache. Die Linke will den Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung erhöhen.  

Zudem soll ein „Partizipationsrat“ geschaffen werden, in dem sich Migrant:innen organisieren. Der Rat soll „in wichtige Entscheidungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einbezogen“ werden. Ferner will die Partei dem Bundesinnenministerium die Zuständigkeit für Migration entziehen und stattdessen ein eigenes „Bundesministerium für Migration und Partizipation“ ins Leben rufen.

Israel–Palästina: Linke fordern Waffenembargo

Wie Migration spielt auch der Krieg im Nahen Osten für alle Parteien eine Rolle. Die Wahlprogramme haben sie Ende 2023 oder Anfang Januar veröffentlicht, also, bevor das aktuelle Waffenstillstandsabkommen im Gazastreifen in Kraft trat.

In den Programmen vieler etablierter Parteien findet sich ein Bekenntnis zu Israel. CDU/CSU, SPD und FDP sprechen von der Existenz Israels beziehungsweise seinem Existenzrecht als deutsche „Staatsräson“.

CDU und CSU wollen Israel „auch militärisch unterstützen und noch bestehende Exportblockaden beenden“. Die FDP will Israel bei den Rüstungsexporten mit NATO-Partnern gleichstellen: „Wir müssen Israel alles zur Verfügung stellen, was es für sein völkerrechtlich garantiertes Recht auf Selbstverteidigung braucht.“ 

Die Parteien links der Mitte gehen auch auf die Menschen in Gaza ein. So schreiben die Grünen, das Leid „der Menschen in Gaza ist unerträglich“, und fordern wie die SPD einen Waffenstillstand. Die Sozialdemokrat:innen pochen darüber hinaus auf ein Ende des „völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus“ im Westjordanland.

Die Linke und das BSW wollen die Waffenlieferungen an Israel komplett stoppen. Die Linke schreibt, sie unterstütze das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen „die Verantwortlichen auf beiden Seiten“. Ferner will sie Palästina als eigenständigen Staat anerkennen. Das BSW spricht angesichts der israelischen Kriegsführung von einem „rücksichtslosen Rache- und Vernichtungsfeldzug der Regierung Netanjahu gegen Frauen und Kinder“.

Die AfD handelt das Thema nur knapp ab: „Unsere primären Interessen sind die Verhinderung neuer Massenmigration und eines kriegerischen Flächenbrands im Nahen Osten“, schreibt die rechte Partei ihn ihrem Programm. Hochrangige Politiker:innen der Partei haben sich in der Vergangenheit aber an die Seite Israels gestellt und etwa eine Einstellung der Zahlungen an Hilfsorganisationen für die Palästinenser:innen gefordert

Bei Antisemitismus kommt es auf den Fokus an

Das Verhältnis zum Staat Israel spielt für die Parteien auch beim Thema „Antisemitismus“ eine große Rolle. Wer das Existenzrecht Israels leugnet, soll laut CDU/CSU künftig bestraft werden. Die Union will dafür den Paragrafen für Volksverhetzung erweitern.

Zudem wollen CDU/CSU wie auch die FDP zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich nicht zum Existenzrecht Israels und zur umstrittenen Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bekennen, die staatlichen Zuschüsse streichen.

Die FDP will darüber hinaus die IHRA-Definition „umfassend in den staatlichen Behörden“ etablieren und Beamt:innen dementsprechend schulen. Ferner wollen die Liberalen den Jugendaustausch zwischen Deutschland und Israel stärken.

CDU und CSU legen besonderen Wert auf den sogenannten „zugewanderten Antisemitismus“ – ein Begriff, der antisemitische Einstellungen bei eingewanderten Muslim:innen beschreiben soll. Antisemitische Straftäter:innen ohne deutschen Pass sollen abgeschoben werden. Auf rechtsextremen Antisemitismus gehen die Unionsparteien dagegen nicht näher ein.

Ähnlich positioniert sich die AfD: „Jüdisches Leben wird in Deutschland vorwiegend von juden- und israelfeindlichen Muslimen bedroht“, schreibt die Partei und spricht von „Islamisierung“. 

Grüne, SPD und Linkspartei sprechen sich in allgemeinen Formeln gegen Antisemitismus – egal von welcher Seite – aus. Die SPD will darüber hinaus jüdische Studierende an Hochschulen schützen. Die Linkspartei fordert die Einführung staatlicher Feiertage für jüdische und muslimische Menschen, „denn der Islam und das Judentum gehören zu Deutschland“.

Das BSW übt als einzige Partei fundamentale Kritik an der Antisemitismus-Resolution, die im November 2024 im Bundestag mit Stimmen von CDU/CSU, FDP, AfD, Grünen und SPD verabschiedet wurde, da sie „Kritik an Israel weitgehend mit Antisemitismus gleichsetzt“. Das BSW unterscheide „zwischen dem selbstverständlichen Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und einer sachlich gebotenen Kritik an israelischen Regierungspositionen“. 

Syrien – nur ein Randthema

Fast alle Parteien gehen in ihren Programmen auch auf den Fall der Assad-Diktatur in Syrien ein. Allein bei der FDP findet der politische Neuanfang in dem Land keine Erwähnung. Die CDU erwähnt Syrien zweimal, doch beide Male nur, um klarzustellen, dass sie Menschen nach Syrien abschieben will.

Ähnlich positioniert sich die AfD. Sie plädiert für die Abschiebung „von Straftätern, Gefährdern“ sowie „aller nicht mehr schutzberechtigten syrischen Staatsbürger“. Dafür will sie mit der neuen syrischen Regierung Gespräche aufnehmen. Zudem will die AfD die freiwillige Rückkehr von Syrer:innen offensiv bewerben.

Im Gegensatz dazu fordert Die Linke für Syrien „demokratische Wahlen“ sowie garantierte „Menschen- und Grundrechte“. Sie legt auch einen Fokus auf die überwiegend kurdischen Gebiete in Nordostsyrien. Regionale Milizen und das türkische Militär dürften die Autonomie von Rojava nicht bedrohen. Sie will diplomatische Beziehungen mit den autonomen Kräften aufnehmen und Waffenlieferungen an die Türkei stoppen.    

Das BSW positioniert sich weniger deutlich. So konstatiert das Bündnis allgemein, dass der Sturz von Assad „für viele Syrer ein Grund zu Freude und Erleichterung war“, die neuen islamistischen Machthaber aber für weitere Instabilität sorgen könnten.

Die Grünen zeigen sich in ihrem Programm ebenfalls erfreut über den Sturz des Diktators. Die Partei will die „Hoffnung vieler Syrer:innen auf ein Leben in Frieden und Freiheit“ unterstützen. Die Grünen-Politikerin und derzeitige Außenministerin Annalena Baerbock war Anfang Januar nach Syrien gereist, um sich mit dem neuen Machthaber Ahmed al-Sharaa zu treffen.

Ähnlich wie die Grünen äußert sich die SPD. Von zentraler Bedeutung beim Wiederaufbau Syriens sind für die Sozialdemokrat:innen „der Schutz und die Teilhabe der zahlreichen religiösen, ethnischen und konfessionellen Gruppen“ und „die Wahrung von Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten“. 

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