Wiederaufbau von Kirchen im Irak als Hoffnungssignal
Aus den Trümmern auf dem Friedhof des St.-Georgs-Klosters in Mossul ragt ein frisch gestrichenes, weißes Grab mit einem kleinen roten Kreuz. Es ist für viele in Mossul zu einem Zeichen der Hoffnung und des Durchhaltevermögens geworden.
Nachdem die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) 2014 sowohl den Friedhof als auch das Kloster des chaldäischen Antonianer-Ordens St. Hormiz zerstört hatte, haben die USA beschlossen, den Wiederaufbau des gesamten Geländes mit zu finanzieren.
"Der IS hat das Kloster als Gefängnis für Jesiden genutzt", erzählt Samer Soreshow Yohanna, der Abt des chaldäischen Klosters. "Eine der Mönchskammern wurde als Moschee genutzt und die Messingstatue des heiligen Georg wurde eingeschmolzen."
Zum Glück, sagte er, sei es am Tag der IS-Invasion im Juni 2014 zwei Mönchen gelungen, die wertvollsten alten Schriften in Sicherheit zu bringen. Heute beaufsichtigt Abt Samer den Wiederaufbau von Kirchen im Irak. Allein in der Provinz Ninive wurden mindestens 14 christliche Einrichtungen verschiedener Konfessionen zerstört.
Abt Samer erinnert sich daran, wie der IS einen Mann anheuerte, um den Marmor von der auf einem Hügel liegenden Kirche abzuschlagen. "Als er schließlich Sprengstoff einsetzte, begann die Kuppel zu wanken, fiel um und tötete den Mann", sagt er. Als der IS 2017 seine Niederlage erlitt, raubten Zivilisten, was der IS zurückgelassen hatte. Noch heute schmerzt den jungen Priester, was die Terrorgruppe angerichtet hat. Sein Vater und seine Schwester kamen ums Leben und wurden auf dem Friedhof begraben.
Wie so viele irakische Christen hatte auch ein Großteil der Familie des Abts den Irak bereits vor der Machtergreifung des IS verlassen. In den Jahren nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 sank die Zahl der Christen im Zweistromland von rund 1,5 Millionen auf schätzungsweise höchstens 400.000.
Vor 2003 lebten noch etwa 24.000 Christen in Mossul. Nach der Niederlage der IS-Kämpfer kehrten gerade einmal 350 Christen zurück. "Für die tägliche Messe nutzen wir jetzt nur eine Kirche und einen Priester. Das reicht für die ganze Stadt", sagt Abt Samer. Die Restaurierung anderer Kirchen schreite dennoch voran, überwiegend mit finanzieller Hilfe aus dem Ausland.
Gläubige als Brückenbauer
Bei der ersten Messe in der wiederaufgebauten Kirche des St.-Georgs-Klosters erinnerte der chaldäische Bischof von Mossul, Najib Mikhael Moussa, die anwesenden irakischen Beamten und Militärs daran, dass es die einheimischen Muslime waren, die die Kirchen nach dem Abzug des IS aufgeräumt hätten. "Brücken zu bauen ist nicht einfach, aber ich bin sicher, dass Mossul ein besserer Ort sein wird, als er es war", sagt er.
Der Bischof gab auch die Worte von Papst Franziskus bei seinem Besuch in Mossul im Jahr 2021 weiter: Arbeite hart und mache die Stadt besser und sicherer. "Wir wollen, dass Christen freiwillig zurückkehren", gibt er zu.
Der Besuch des Papstes und die breite Unterstützung, die er von den Irakern erhielt, waren ein Hoffnungsschimmer für die Christen im Irak. Der Papst betonte damals, dass die Schrumpfung der christlichen Gemeinde großen Schaden angerichtet hätte, "nicht nur für die betroffenen Einzelpersonen und Gemeinden, sondern auch für die zurückgelassene Gemeinschaft".
Und genau deshalb sei es so wichtig, Kirchen und Klöster wiederaufzubauen, auch wenn es im Land gar nicht genug aktive Christen gebe, um sie zu füllen, sagt der stellvertretende Bischof von Mossul, Pater Boulos Thabet Habib.
Es gehe nicht nur darum, dass einige der Kirchen aus dem 5. Jahrhundert stammen, sondern darum, dass sie zum kulturellen Erbe von Ninive gehören - nicht nur zum Erbe der Christen. "Dieses Erbe wiederaufzubauen bedeutet, die ganze Gemeinschaft neu aufzubauen", sagt Pater Boulos.
Vielfalt als Stärke
Mossul müsse seine Vielfalt zurückgewinnen, Muslime und Christen müssten wieder Seite an Seite mit Jesiden leben, sagte Pater Boulos Thabet Habib. "Vielfalt ist ein starkes Signal gegen den Terrorismus, gegen den IS. Wenn Christen zurückkehren, ist das auch für Muslime ein Zeichen, dass es hier sicher ist", sagt er.
Boulos Thabet Habib hat seinen Sitz in Karemlasch, einer kleinen, christlich geprägten Stadt außerhalb von Mossul. Vor der IS-Herrschaft lebten dort 1.200 christliche Familien, nur 190 von ihnen sind bisher zurückgekehrt.
Bischof Boulos weiß, dass er die Menschen nicht zwingen kann, zurückzukehren. Aber er sagt auch, dass "wir Christen dies im Laufe der Geschichte viele Male getan haben. Nach der Zerstörung kommen wir zurück, um alles wiederaufzubauen".
Die Menschen wollten nun vor allem das dunkle Erbe der IS-Besatzung hinter sich lassen. Alles müsse wieder so werden, wie es einmal war- oder besser, so denken hier viele. "Sie wollen die Vergangenheit auslöschen. Sie haben das Gefühl, dass schmerzhafte Erinnerungen Menschen dazu bringen, sich schlecht zu fühlen", sagt Bischof Boulos.
Er selbst hatte entschieden, den entweihten Glockenturm der Kirche von Karemlasch so zu lassen, wie der IS ihn hinterlassen hatte. Die neue Bronzeglocke hängt jetzt in einem offenen Betonturm und wird von Hand betrieben. Für den stellvertretenden Bischof symbolisiert sie, dass seine Gemeinde überlebt hat.
Gleichzeitig sei es wichtig, dem Bild entgegenzuwirken, dass jetzt die Christen an der Reihe seien, den Irak zu verlassen, nachdem dies im vergangenen Jahrhundert schon die Juden getan hatten, sagt Abt Samer. So wie die irakischen Christen seien auch die irakischen Juden immer ein wichtiger Teil der Kultur von Mossul gewesen.
Um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederhole, sei Versöhnung von größter Bedeutung, sagt er. "Wir sprechen über die Verbindungen zwischen uns und den Muslimen, aber die Wunden sind noch nicht verheilt. Die Muslime haben mehr gelitten - wir haben nur unseren Besitz verloren", sagt er.
Zeichen der Hoffnung
Viele Christen aus Ninive haben sich in der benachbarten Autonomen Kurdenregion im Irak ein neues Leben aufgebaut. Sie leben überwiegend in Ankawa, einer christlichen Enklave in Erbil. Sogar Abt Samer hat dort seinen Sitz in einem neu erbauten Kloster, in dem chaldäische Priester untergebracht sind, die aus Bagdad und Mossul fliehen mussten.
Er weiß, dass viele Christen eine Rückkehr der Gewalt fürchten. "Sie kommen nur nach Mossul zurück, um zu arbeiten, sie werden hier nicht leben", sagt er.
Deshalb müsse der Klerus mit gutem Beispiel vorangehen und den Wiederaufbau vorantreiben. "Um Hoffnung zu geben, gehen wir zuerst. Wir könnten natürlich sagen: Geht zurück, baut alles wieder auf, und wir werden dann kommen. Aber nein, wir müssen das gemeinsam tun", sagte er.
Abt Samer stimmt Papst Franziskus zu, der nach seiner Abreise aus dem Irak gesagt hatte, er habe mit eigenen Augen gesehen, dass "die Kirche im Irak weiterlebt".
"Meine Mutter möchte, dass ich ihr ein Haus in Ankawa kaufe", sagt der Abt. Er ist sich sicher, dass die Gemeinschaft wieder wachsen werde, wenn die Menschen ein Zeichen der Hoffnung sehen. "Wenn wir alles wieder aufbauen, können wir unser Schicksal selbst bestimmen."
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