Kano kämpft gegen den Hass
Kano ist eine alte muslimische Metropole, aber seit der Kolonialzeit hat es auch hunderttausende Zuwanderer aus dem christlich dominierten Süden Nigerias angezogen. Viele von ihnen leben im Viertel "Sabon Gari", der "Neustadt".
Tagsüber hat sich das Leben normalisiert, es gibt nur wenige Kontrollposten. Die Geschäfte und Märkte haben geöffnet. Aber abends leeren sich die Straßen schnell, während Militär und Polizei überall Kontrollen einrichten. Neben den zumeist christlichen Igbo leben in Sabon Gari auch viele Yoruba aus Südwest-Nigeria, die selbst oft Muslime sind.
Einer von ihnen, der Student Sadiq, erzählt, dass er als Muslim nun von seinen christlichen Nachbarn komisch angeguckt werde. "Die Christen sehen das Ganze heute durch die religiöse Brille", beklagt er. "Viele sagen: Die Muslime sind schuld an der Situation. Die verstehen nicht, dass es Terroristen sind, die die Religion kaputt machen wollen."
Angst und Unsicherheit
Eine junge Frau gibt sich als Igbo und Christin zu erkennen. Sie studiere in der Hauptstadt Abuja und komme nur noch ungern zu ihrer Familie nach Kano, erzählt sie, denn viele Menschen hätten die Stadt verlassen. "Es ist schlimm. Freunde, Bekannte, Leute mit denen Du dich triffst - du kommst wieder und sie sind nicht mehr da." Obwohl die Spannungen wieder abgenommen hätten, fühlten sich viele Menschen in Kano nicht mehr wohl.
Ihre Eltern seien Geschäftsleute und die Geschäfte liefen jetzt sehr schlecht. Sie könnten sie nicht mehr so unterstützen wie früher. Den Kontakt zu muslimischen Freunden habe sie angebrochen: "Ich hatte welche, aber jetzt habe ich Angst vor ihnen."
Geschäftsleute in Schwierigkeiten
Pascal Nwosu kennt diese Ängste nur zu gut. Er ist Vorsitzender der Gemeinschaft der Igbo in Kano. Viele hätten die Stadt nach den Anschlägen verlassen. Einige seien zwar wieder zurückgekommen, aber die Igbo-Gemeinde, immerhin die größte nicht-einheimische Volksgruppe in Kano, sei stark geschrumpft.
Nwosu, der selbst mit Baumwolle und Ölsaaten handelt, sieht vor allem einen deutlichen wirtschaftlichen Aderlass: "Auch meine Firma hat Mitarbeiter verloren. Man kann sie ja nicht zwingen zu bleiben. Wenn doch etwas passiert, dann würden sie einem die Schuld geben, weil man sie zum Bleiben gezwungen hat."
In dieser Situation sei es schwer, Ersatz zu finden. Außerdem hätten viele Großhändler ihre Lager in andere Städte verlegt und würden nur noch kleine Mengen nach Kano liefern.
Soziale und politische Konfliktpotentiale
Nwosu selbst sieht keinen Grund zu gehen. Nicht die Muslime insgesamt würden sich gegen die Christen im Norden des Landes wenden. Die Angreifer seien eine kleine Gruppe, die Chaos ins Land bringen wolle. Die Ursachen des Konflikts seien nicht religiöser Natur, sondern sozial und politisch.
Bischof Ransom Bello von der evangelikalen Cavalry Life Assembly sieht es ähnlich. Er ist der Vorsitzende der Vereinigung der Christen Nigerias (CAN) in Kano. Bello ruft seine Glaubensbrüder eindeutig zum Bleiben auf: "Wir glauben, dass es überall Gefahren gibt. Wenn meine Zeit noch nicht gekommen ist, kann mich auch niemand umbringen." Er versuche zwar, auf seine Gemeinde einzuwirken, aber er weiß: "Wir können nicht viel tun, wenn Leute entschlossen sind, Kano zu verlassen. Ich verstehe das ja."
An der Zufahrt zu seiner eigenen Kirche zeigt eine nagelneue Schranke, dass die Gefahr ständig präsent ist. "Sowas haben wir früher nicht gebraucht", erzählt Bello frustriert. "Heute kontrollieren wir jeden Gottesdienstbesucher einzeln." Viele der mehrere hundert weißen Plastikstühle würden während der Gottesdienste leer bleiben, berichtet der Bischof. Die Menschen sind entweder ganz weggegangen oder haben Angst, eine Kirche aufzusuchen.
Christlich-muslimischer Dialog
Grundsätzlich sei das Verhältnis zu den Muslimen in den letzten Jahren deutlich besser geworden, betont Bello. Im Gegensatz zu früher habe es in Kano seit langem keine größere Gewalt zwischen den Religionen gegeben. Der Dialog sei angesichts der aktuellen Gefahren sogar intensiver geworden.
Das bestätigt auch sein Dialogpartner Mohammed Aminu Daurawa. Der muslimische Geistliche ist Oberkommandierender der Religionspolizei Hisbah. Der Dialog mit der christlichen Minderheit habe jetzt feste Strukturen, betont Daurawa: "Früher gab es das nicht. Jetzt hat jede Gruppe ihren festen Vertreter. Es gibt jetzt beim Gouverneur einen Berater für ethnische Gruppen und einen für religiöse Angelegenheiten."
Über deren Büros werde nun der Dialog zwischen den Gruppen organisiert. Ein Beispiel für den neuen Geist der Zusammenarbeit seien die Proteste gegen die Benzinpreiserhöhungen Anfang des Jahres gewesen. An den Sonntagen hätten die Muslime, auch seine Hisbah, während der Gottesdienste Kirchen bewacht und dafür gesorgt, dass die Christen in Ruhe beten konnten.
Mehr Zurückhaltung üben
Bischof Bello hält denn auch gar nichts von Drohungen, dass die Christen wegen der Angriffe auf Kirchen Vergeltung üben sollten. "Die Frage ist, gegen wen kämpft man dann? Sollen wir unsere muslimischen Freunde angreifen, die uns zu Ostern Reis gespendet haben?"
Bello wünscht sich, dass seine Kollegen in Südnigeria etwas mehr Zurückhaltung üben würden, wenn sie über die Lage im Norden reden. Da werde schnell das Wort von der Vergeltung geschwungen, ohne dass der, der spricht wisse, wie es im Norden wirklich aussehe, klagt Bello.
Die Unsicherheit steigt trotzem, denn nach den Anschlägen auf Kirchen im benachbarten Bundesstaat Kaduna veröffentlichte die Terrorgruppe Boko Haram Mitte Juni eine Erklärung, in der sie auch die Einwohner Kanos vor weiteren Anschlägen warnte, falls sie weiter mit den Sicherheitsbehörden gegen die Terroristen zusammenarbeiten.
Thomas Mösch
© Deutsche Welle 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de