Mit Satire und Humor für den türkischen Feminismus

Bayan Yanı ist eine satirische Frauenzeitschrift. Seit über sechs Jahren bringen Karikaturistinnen und Texterinnen ihre Talente zusammen, um ihre Leserinnen und Leser nicht nur zum feministischen Denken anzuregen, sondern auch zum Lachen zu bringen.

Von Clément Girardot

Im Gegensatz zu anderen Vorstädten von Istanbul, die eher verschlafen wirken, ist Avcılar ein sehr dynamischer Ort. Das liegt wohl daran, dass sich hier ein Campus der Istanbuler Universität befindet. Auch gibt es dort eine große Fußgängerzone, die von vielen Cafés, Geschäften und Restaurants gesäumt ist.

Avcılar ist auch die Heimat von Ezgi Aksoy und Feyhan Güver, die beide – in leitender Position – an einem einmaligen Medienexperiment teilnehmen: an Bayan Yanı, einem Satiremagazin, das Cartoons veröffentlicht, die von Frauen gezeichnet werden.

"Alles begann im März 2011 mit unserer ersten Einzelausgabe", erinnert sich Aksoy. "Wir versammelten Autorinnen und Karikaturistinnen um uns, die bereits für ein anderes Satiremagazin mit dem Namen Le Man gearbeitet hatten (Le Man war damals – gemeinsam mit Penguen und Uykusuz – eines der drei größten Satiremagazine der Türkei). Für den Internationalen Frauentag wollten wir eine besondere Zeitschrift herausgeben, da die Frauenrechte in der Türkei immer stärker unter Druck gerieten. Wir produzierten die erste Ausgabe, und nach vielen ermutigenden Rückmeldungen entschieden wir uns, weiter zu machen."

Frauen Seite an Seite

Seit dieser ersten Veröffentlichung sind inzwischen sechs Jahre vergangen, und Bayan Yanı erscheint inzwischen jeden Monat. Die Ausgaben beschäftigen sich nicht nur mit dem endlosen politischen Chaos des Landes, sondern auch mit den Problemen des täglichen Lebens – wo aggressive Sprache, häusliche Gewalt und tödliche Angriffe gegen Frauen immer weiter zunehmen. Für die Autorinnen des Magazins lassen sich diese beiden Aspekte nur schwer voneinander trennen.

Bayan Yanı-Ausgabe; Quelle: Bayan Yanı
Bayan Yanı wird vor allem von Frauen geleitet. Den harten Kern von Bayan Yanı bildet eine Gruppe von sechs oder sieben Autorinnen, die aus verschiedenen Teilen der Türkei kommen, sogar aus dem Ausland. Sie beschäftigen sich nicht nur mit dem endlosen politischen Chaos in der Türkei, sondern auch mit den Problemen des täglichen Lebens – wo aggressive Sprache, häusliche Gewalt und tödliche Angriffe gegen Frauen immer weiter zunehmen.

Aksoy ist eine freiberufliche Journalistin, die sich auf die Themen Kino und Lateinamerika spezialisiert hat. Für die letzte März-Ausgabe schrieb sie einen Bericht über Berta Caceres, eine Umweltaktivistin aus Honduras, die im letzten Jahr ermordet wurde. Güver ist eine Karikaturistin, die schon seit langem für Le Man zeichnet. Sie verfasst gern Comics über Beziehungen und Freundschaften, die meist in dem kleinen Dorf in der Region Thrace spielen, wo sie selbst herkommt.

Unser Magazin heißt Bayan Yanı, was man auch als "Frauen Seite an Seite" übersetzen könnte, so Aksoy. Der Titel nimmt eine besondere Art von Geschlechtertrennung in der Türkei aufs Korn: "In den Langstreckenbussen dürfen Frauen und Männer nur dann nebeneinander sitzen, wenn sie Verwandte oder Freunde sind", erklärt sie.

Damals, als das Projekt begann, gab es einen Zeitungsartikel über eine Frau, die den letzten freien Sitz in einem Bus buchen wollte. Dazu hätte sie aber neben einem Mann sitzen müssen. "Das Busunternehmen hat ihr das Ticket nicht verkauft. Diese Regel ist deshalb ziemlich grotesk, weil sie nur für Überlandbusse gilt und nicht für andere Transportmittel wie Flugzeuge oder Stadtbusse."

"Schlimmes Mädchen"

Bayan Yanı wird zwar vor allem von Frauen geleitet, aber unter den Herausgeberinnen ist auch ein Mann, der im Magazin regelmäßig Beiträge veröffentlicht: der Satiriker und Schriftsteller Attila Atalay. "Er schreibt über weibliche Charaktere – und er kann das so gut, dass niemand auf die Idee käme, dass er ein Mann ist", erzählt Aksoy. Das Magazin wird von einem Kollektiv gestaltet, dessen Zusammensetzung sich immer wieder verändert. "Wir können veröffentlichen, was wir wollen, es gibt bei uns keine Chefin. Unsere Ideen sprechen wir einfach per E-Mail miteinander ab", sagt Feyhan.

Den harten Kern von Bayan Yanı bildet eine Gruppe von sechs oder sieben Autorinnen, die aus verschiedenen Teilen der Türkei - sogar aus dem Ausland - kommen, so etwa die Karikaturistin Ramize Erer, die heute in Paris lebt.

Bayan Yanı-Ausgabe; Quelle: Bayan Yanı
Provokativ gegen Patriarchat und politische Fremdbestimmung: Die Politiker in der Türkei und in aller Welt kommen bei Bayan Yanı nicht gut weg. Viele Illustrationen handeln beispielsweise von der Frauenfeindlichkeit der regierenden AKP-Politiker und von Präsident Erdogan. Viele Autorinnen von Bayan Yanı sind zwar in ihrer Weltsicht völlig verschieden, einige sind eher liberal eingestellt, andere sind Kemalistinnen oder unterstützen die Kurdenbewegung, doch alle wenden sich gegen das autoritäre Regime in Ankara.

In einer der letzten Ausgabe des Magazins wurde ein vierseitiger Comic veröffentlicht, in dem Erer beschreibt, wie ihre bekanntesten Figuren entstanden sind: Zunächst ist da Nadide, eine scheinbar glückliche Ehefrau, die das reflektiert, was Erer auch als das "moderne" oder "aufgeklärte" Gesicht der Türkei bezeichnet.

Dann gibt es da noch Ezik: Sie ist deutlich traditioneller eingestellt und wird von ihrem Mann misshandelt. Und schließlich Berna: eine durchsetzungsstarke und unabhängige Persönlichkeit. Sie bricht immer wieder soziale Tabus und Konventionen und wird in den Comics bei ihrem türkischen Spitznamen kötü kız genannt, was "schlimmes Mädchen" bedeutet.

Berna ist blond und kurvenreich, aber andere Charaktere im Magazin sind groß, dünn, jung oder alt. Sie kommen aus der Stadt oder vom Land. Sie sind verschleiert oder unverschleiert, sehr modebewusst oder modisch völlig desinteressiert. Also haben die Charaktere in Bayan Yanı – im Gegensatz zu denen in anderen Frauenzeitschriften – sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. "Frauen sagen uns, dass sie unser Magazin aus diesem Grund besonders gern mögen", erzählt Güver. "Unsere Karikaturistin Ipek ist beispielsweise sehr groß, und sie verarbeitet ihre Probleme, die sie damit hat, in ihren Zeichnungen."

Bei den Geschichten und Hauptfiguren geht es manchmal um gravierende Probleme und manchmal um alltäglichere Herausforderungen. Aber es geht immer um Themen, die Frauen betreffen: Diskriminierung, Männergehabe, sozialen Druck sowie individuelle Rechte und Freiheiten.

Frauenfeindliche Politik in der Kritik

Viele Illustrationen auf den ersten Seiten des Magazins beschäftigen sich mit aktuellen Nachrichten und Skandalen. Durch den Federstrich der Karikaturistinnen von Bayan Yanı wird deutlich, wie absurd und inakzeptabel die Gewalt gegen Frauen ist, die sonst unter den Teppich gekehrt wird. Die Politiker in der Türkei und in aller Welt kommen bei ihnen verständlicherweise nicht besonders gut weg. Viele Illustrationen handeln beispielsweise von der Frauenfeindlichkeit des türkischen Präsidenten Erdoğan.

Aksoy betont, dass sich die Autorinnen von Bayan Yanı in ihrer Weltsicht völlig voneinander unterscheiden: Einige sind eher liberal eingestellt, andere sind Kemalistinnen oder unterstützen die Kurdenbewegung – aber alle wenden sich gegen das autoritäre Erdoğan-Regime.

Ganz gleich, ob sie sich auf harte oder sanfte Weise wehren, die meisten regierungskritischen Stimmen haben unter seiner eisernen Herrschaft momentan einen schweren Stand. In den letzten Monaten hat die Unterdrückung gegen Medienschaffende sogar noch weiter zugenommen – insbesondere nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch vom 15. Juli des letzten Jahres.

Dutzende Verlage wurden seitdem geschlossen. Die Türkei hält momentan den Weltrekord als Land mit den meisten eingesperrten Journalisten. Etwa 150 Medienvertreter befinden sich gegenwärtig hinter Gittern. Musa Kart, ein Karikaturist der Zeitung Cumhuriyet, die von Erdoğan besonders gehasst wird, ist unter harten Bedingungen in Silivri eingesperrt. Dieses Gefängnis liegt am westlichen Stadtrand von Istanbul, nicht weit von Avcılar, wo Aksoy lebt.

Mit Razzien und Brandanschlägen gegen Satire-Zeitschriften

"Für uns alle ist es gar nicht so abwegig, dass wir verhaftet werden könnten", gibt sie zu. Während das Bayan-Yanı-Team noch keine Gerichtsverfahren und keinen Druck von staatlicher Seite ertragen musste, sieht die Sache bei Le Man anders aus: "Nach dem 15. Juli kam in der Nacht eine Gruppe von Leuten in das Büro des Herausgebers und brachte einen Kanister mit Benzin mit, um das Gebäude anzuzünden. Glücklicherweise war zu dieser Zeit niemand im Haus. Andernfalls weiß

keiner, was sonst mit unseren Freunden geschehen wäre."

Nach dem Putschversuch von 2016 hatte die Le-Man-Redaktion ein Titelbild veröffentlicht, das die Anhänger Erdoğans erzürnte. Zur gleichen Zeit, als diese Gruppe versuchte, das Büro von Le Man in Brand zu setzen, führte die Polizei in der Druckerei eine Razzia durch, um die Verbreitung des Magazins zu unterbinden.

In diesem Klima der Angst gibt Aksoy zu bedenken: "Man zensiert sich selbst, ohne es zu merken. Eine ganze Weile lang habe ich aufgehört, Leitartikel zu schreiben. Wenn man etwas schreibt, das als beleidigend empfunden wird, kann man dafür ins Gefängnis kommen." Güver erinnert sich, dass sie eine Karikatur der Frau des Präsidenten, Emine Erdoğan, gezeichnet hatte. Zuerst dachte sie daran, sie zu "entschärfen", aber dann entschied sie sich, sie gar nicht erst zu veröffentlichen.

Bayan Yanı hat eine treue Stammleserschaft und über 360.000 Fans auf Facebook. "Zu vielen unserer Leserinnen haben wir eine sehr starke Verbindung. Bayan Yanı ist ein Teil ihres Lebens. Wenn sich beispielsweise die Herausgabe einet Nummer etwas verzögert, werden wir stets ungeduldig gefragt, wann sie denn nun endlich erscheint", erzählt Aksoy.

Clément Girardot

© Babelmed 2017

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff