Zerplatzte Träume
Die vielen Erinnerungen an 30 Jahre Mauerfall sind gerade ein paar Tage alt. Noch eine andere historische Wegmarke mit weltpolitischer Bedeutung jährte sich 2019: die Islamische Revolution vor 40 Jahren. Jetzt kommt ein Film in die Kinos, der DDR-Historie und die jüngere Geschichte des Iran miteinander verzahnt: "Morgen sind wir frei". Gleichzeitig feiert der Film des seit vielen Jahren in Deutschland lebenden Hossein Pourseifi internationale Premiere beim A-Festival in Tallinn, Estland.
"Morgen sind wir frei" erzählt vom Schicksal einer jungen Familie in der DDR: Beate ist Deutsche und studierte Chemikerin, Omid - Exil-Iraner und seit vielen Jahren in Ost-Deutschland. Die beiden haben eine kleine Tochter. Das Jahr 1979 stellt eine Zäsur in ihrem bisherigen Leben dar: Im Iran wird der Schah gestürzt, der religiöse Führer Ajatollah Khomeini kehrt aus dem Pariser Exil in seine Heimat zurück und wird von Hunderttausenden begeistert empfangen.
Authentische Ereignisse als Grundlage
Er habe die Geschichte für sein Spielfilm-Debüt aufgrund authentischer Ereignisse entwickelt, erzählt Regisseur Hossein Pourseifi: "Die Kernidee beruht auf einer wahren Begebenheit einer Familie, die ich vor zwölf Jahren in Berlin getroffen habe."
Im Film verfolgt Omid die Begeisterung der Massen im Iran und will zurück: "Sobald die Revolution im Gange war, hatte er das Bedürfnis, wieder in seine alte Heimat zurückzukehren. Aus Liebe wagt seine Frau mit der Familie diesen Neuanfang", skizziert Pourseifi die Ausgangslage seines Films, in dem es um den Verlust von Heimat und den gesellschaftlichen und politischen Neuanfang im Iran geht.
"Morgen sind wir frei" war für den Regisseur auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben - auch wenn die Geschichte des Films über Pourseifis Biografie hinausweist: "Ich fand die Idee, daraus einen Film zu machen, spannend, weil in der Geschichte zwei Aspekte aus meiner eigenen Biographie verankert sind: Einmal habe ich die ersten neun Jahre meines Lebens im Iran verbracht, was mit Erinnerungen an meine Familie und an die Zeit nach der Revolution verbunden ist - zum anderen die deutsche Perspektive, da ich ja vor allem in Deutschland aufgewachsen bin."
Pourseifi war neun Jahre alt, als er nach Deutschland kam. Die Jahre, die dann folgten, hätten ihn stark geprägt, so sei er an seinen Stoff gekommen, erzählt er: "Die Kombination aus diesen beiden Teilen meines Lebens - da konnte ich nicht Nein sagen."
Alles scheint möglich
Omid und Beate kommen mit der kleinen Tochter nach Teheran und wagen dort einen Neustart, Beate als Chemikerin, Omid als Journalist. "Morgen sind wir frei" entwirft zu Beginn das Panorama einer Nation im Aufbruch. Der Iran befindet sich in den ersten Monaten nach dem Schah-Sturz in einer Art Euphorie. Alles scheint möglich.
Die Situation sei natürlich nicht zu vergleichen mit den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Ost-Deutschland. Einige Parallelen, die der Film zieht, fallen dann aber auf: "Wenn man nach einer Parallele sucht, dann vielleicht diese: Im Film sieht man, wie sich eine deutsche Frau aus einer anderen Art von Diktatur (also der DDR) in eine Situation (im post-revolutionären Iran) begibt, in der alles möglich sein kann, wo man hineinprojiziert, was man sich wünscht. So eine Art 'Stunde Null' für eine neue Gesellschaft, die man noch nicht so richtig kennt."
Zunächst ist es dann auch die Figur der Beate, die im Mittelpunkt des Films steht - und damit auch die Rolle der Frau. In der DDR fühlt sich Beate gleichberechtigt, dort hatte sie einen Beruf, wurde geachtet, gerade auch als Berufstätige. "Sie ist aufgeschlossen, geht mit offenen Augen durch die Welt, schaut über den Tellerrand hinaus, ist bereit für Neues", charakterisiert der Regisseur seine weibliche Protagonistin.
Der Traum ist aus
Doch für Beate folgt schnell die Ernüchterung: "Diese Neugierde auf die Welt wird ihr dann ja auch im Grunde zum Verhängnis, als sie in den Strudel der Revolution gerät. Da wurden also Hoffnungen enttäuscht. Und darin liegt vielleicht die Parallele zur DDR selbst." Auch dort habe es anfangs "den Traum vom (echten) Sozialismus gegeben, verbunden mit all diesen Hoffnungen, die bei einem Neubeginn vorhanden sind", so der Regisseur: "Diese Träume gab es wahrscheinlich in der DDR genauso, doch auch sie waren irgendwann ausgeträumt."
Welche Rollen spielen die Frauen im Iran heute? Welche Rechte haben sie? "Die Stellung der Frau ist ein Punkt, der uns sehr wichtig war in unserem Film", sagt der Regisseur: "Seit 40 Jahren leben die Frauen in der Islamischen Republik unter einer Art Geschlechter-Apartheid - und das seit der ersten Stunde."
Daran hätten auch geringfügige Verbesserungen in jüngster Zeit nicht viel verändert: "Wenn man sich jetzt vorstellt, dass der Besuch von ein paar Hundert Frauen in einem Fußballstadion (…) international als ein großes Ding gefeiert wird, ist das schon sehr beschämend für die Machthaber einer Gesellschaft, deren Frauen viel freier sein müssten und das natürlich auch sein wollen." Pourseifi sagt, er habe in seinem Film zeigen wollen, "dass die Frauen die ersten und die größten Opfer dieser Revolution waren und das hat sich leider bis heute nicht geändert."
"Morgen sind wir frei" ist ein überzeugend gespielter und inszenierter Film über gesellschaftliche und individuelle Hoffnungen, über zerplatzte Träume einer ganzen Gesellschaft, wobei dem Regisseur das Kunststück gelingt, von zwei ganz unterschiedlichen Kulturen und Nationen zu erzählen. Im Grunde genommen ist die Botschaft des Films so einfach wie klar. Hier wie dort: Die Menschen wollen sich in Freiheit bewegen und sich vom Staat nicht vorschreiben lassen, wie sie leben sollen.
Jochen Kürten
© Deutsche Welle 2019
Der Film "Morgen sind wir frei" von Hossein Pourseifi läuft seit dem 14.11.2019 in den deutschen Kinos an. Gleichzeitig feiert der Film beim renommierten Festival in Tallinn am 15.11. internationale Premiere. Tallinn gehört wie Cannes, Venedig und Berlin zu den 15 A-Festivals weltweit.