"Die Europäer sind mutlos"
Herr Nouripour, die Proteste im Iran haben sich an Benzinpreiserhöhungen entzündet. Wieviel davon geht auf die wirtschaftliche Not durch die US-Sanktionen zurück?
Omid Nouripour: Die Menschen sind eingeklemmt zwischen Korruption und Missmanagement vom eigenen System auf der einen und maximalem amerikanischen Druck auf der anderen Seite. Das bringt sie zur Verzweiflung und auf die Straße.
Sieht man daran nicht auch die ganze Machtlosigkeit der Europäer, die das Atomabkommen nicht aufrechterhalten konnten?
Nouripour: Die Europäer sind nicht machtlos, sie sind mutlos. Man hat versprochen, ein funktionierendes Instrument für Finanztransaktionen zu schaffen, und das schon im September vergangenen Jahres. Das ist bis heute nicht passiert, denn es hat an Mut gefehlt. Aber so rettet man nicht das Atomabkommen, auch nicht die eigenen Sicherheitsinteressen. Und man tut auch nichts gegen die Notlage der Menschen im Iran, die darunter leiden, dass es in den Apotheken kein Verbandsmaterial mehr gibt, geschweige denn Krebsmedikamente für Kinder.
Erläutern Sie bitte noch einmal, was es mit INSTEX, dem Finanzinstrument der Europäer, für den Iran-Handel auf sich hat.
Nouripour: Man hat versprochen, über INSTEX Zwischenfinanzierungen für Transaktionen zu stellen. Ich habe in meinem Wahlkreis eine mittelständische Firma, die medizinische Güter herstellt und seit Jahren mit dem Iran Handel treibt. Allein diese eine Firma hat ein Handelsvolumen von 60 Millionen Euro. Wenn ich zwischenfinanzieren will, heißt das: Jemand kommt zu mir, gibt mir das Geld, ich gebe das Geld den Iranern, und andersherum. So läuft Zwischenfinanzierung. Das gesamte Geld, was INSTEX bisher für Finanztransaktionen mit dem Iran einschließlich Ölhandel zur Verfügung gestellt hat, sind 5 Millionen Euro. Mit Verlaub, das ist lächerlich. Und deshalb funktioniert es auch nicht.
Das heißt, es funktioniert nicht, weil die Europäer nicht genug Geld lockermachen wollten?
Nouripour: Richtig, wobei es bei den Protesten wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Amerikaner die eine Hälfte des Problems sind. Die andere Hälfte des Problems ist die Korruption im Iran selbst. Die Leute gehen nicht nur wegen der Benzinpreise auf die Straße, sondern auch wegen fehlender politischer Freiheiten.
Welche Rolle sollten jetzt Deutschland und die EU spielen?
Nouripour: Erstens müssen wir alles dafür tun, um das Atomabkommen zu retten, und das geht nur mit Mut. Das ist unser oberstes Interesse, weil eine Nuklearisierung des Irans gleichbedeutend mit einer Nuklearisierung des Nahen Ostens wäre - mit unabsehbaren Folgen für unsere unmittelbare Nachbarschaft.
Das heißt, die Europäer sollten Druck auf die Amerikaner ausüben, damit sie beim Atomabkommen doch wieder mitmachen?
Nouripour: Nein, ich glaube das wird nicht funktionieren. Dazu ist das Thema innenpolitisch zu sehr aufgeladen. Aber sie sollen selbst etwas dafür tun, damit die amerikanische Politik nicht so durchschlägt. Wenn es ein Finanztransaktionsinstrument gäbe, mit dem der Iran Handel betreiben könnte - iranische Geschäftsleute, der iranische Mittelstand, ich rede nicht über das Regime -, wären wir schon einen Riesenschritt weiter.
Zweitens muss man über die Menschenrechte im Land und über die soziale Repression sprechen, ohne dieses Thema als Entschuldigung zu verwenden. Drittens muss man den Amerikanern deutlich machen, dass ihre Politik des maximalen Drucks, in diesem Fall gleichbedeutend mit regime change [englisch für Regimewechsel, Anm. d. Red.], durch Verelendung der gesamten Bevölkerung einfach nicht funktioniert und auch mit uns nicht machbar ist. Und als Letztes: Die Amerikaner wollen jetzt Hilfe beim Internet anbieten, weil das Internet jetzt mehr oder minder abgestellt ist. Das kommt im Iran teilweise als vergiftet an, weil die Amerikaner Teil des Problems sind. Aber wo bleibt der europäische Beitrag dazu, damit die Iraner im Internet bleiben können? Ich sehe da nichts.
Hilft es oder ist es kontraproduktiv, wenn ausländische Regierungen, zum Beispiel die deutsche, die Bevölkerung in friedlichen Protesten unterstützen?
Nouripour: Erstens muss klar sein, dass es hier nicht um regime change geht. Zweitens geht es darum, dass man nicht Proteste gegen die Regierung unterstützt, sondern das Anliegen dieser Leute. Das Anliegen sind politische Freiheiten und die Chance, nicht zu verelenden. Sonst ist man auch in den Augen dieser Leute nicht glaubwürdig.
Die Fragen stellte Christoph Hasselbach.
© Deutsche Welle 2019
Omid Nouripour ist seit 2006 Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.