"Ich habe eine multiple kulturelle Identität"
"Musik ist für mich kraftvoller, als eine Waffe zu nehmen und in den Kampf hinaus zu ziehen. Du kannst ohne Worte sprechen und trotzdem Vieles bewirken", so die Überzeugung von Claude Chalhoub. Sein neues Album vertraut deshalb nur auf die Beredsamkeit jenseits von Stimmen, auf die Sprache der Streichinstrumente – und hat trotzdem einen Namen, der normalerweise über einer Gedichtsammlung steht: 'Diwan'."
Den Namen habe ich gewählt, weil es zum einen eine Kollektion verschiedener Stile präsentiert, zum anderen hat die Platte ganz ausgeprägten poetischen Charakter. Denn ich setze die Geige immer so ein, dass sie sehr nahe am Klang der menschlichen Stimme ist."
Musik als Refugium
Dass er seine Geige zu sich sprechen ließ, hat Claude Chalhoub durch etliche dunkle Jahre gerettet. Aufgewachsen ist er im christlichen Viertel von Beirut, mitten im Bürgerkrieg der 1980er. Der Vater hatte einen Friseursalon, doch die ganze Familie war erfüllt von musikalischem Enthusiasmus. Jedes der elf Kinder bekam ein Instrument und für Claude war die Violine vorgesehen. Anders als bei vielen Sprösslingen aus dem Bildungsbürgertum nahm er das Instrument nicht widerwillig an, sondern entwickelte eine ganz innige Beziehung.
"Es ist nicht schön, wenn die ganze Zeit um dein Haus herum Bomben niedergehen", erinnert er sich. "Für mich wurde die Geige zu einem Refugium, um aus dem Alltag zu entfliehen." Viele junge Leute seiner Generation konnten nicht die korrekte musikalische Erziehung genießen, sie waren auf Autodidaktik angewiesen. Das sei eine ganz besondere Herausforderung gewesen, so Chalhoub.
"Man muss akzeptieren, dass man nicht auf ein Konservatorium gehen kann. In sehr kleinen Schritten geht man voran, aber jedes kleine Detail, das man entdeckt, erlangt persönliche Bedeutung."
Bald erhielt er allerdings Unterstützung bei der Detailsuche: Ein Stipendium am renommierten Londoner Royal College of Music katapultierte den jungen Beiruter in eine andere Welt. Mit großer Auffassungsgabe eignete er sich die Musiktheorie und -praxis der westlichen Klassik an und wurde gleich mit einem Preis für eine Komposition bedacht.
Daniel Barenboim engagierte den Nachwuchskünstler 1999 für sein "West-Eastern Divan Orchestra" als Primusgeiger – ein Projekt, das mit jugendlichen Musikern aus drei Weltreligionen ein Friedenszeichen setzte. Ein zweites Okzident-Orient-Orchester in Beirut folgte drei Jahre später.
Natürlicher Multikulturalismus
Der Vermittlung von Ost und West ist er seitdem verpflichtet geblieben, auch wenn er sie nicht mehr explizit formulieren muss. "Mein Hauptziel ist es nicht, nach Parallelen oder auch Paradoxien Ausschau zu halten, ich versuche nicht, meine Musik zu 'multikulturalisieren'. Ich habe nun mal eben diesen multiplen kulturellen Hintergrund durch meine Aufenthalte in Europa und meine Verwurzelung im Nahen Osten, das kommt völlig natürlich."
Zur Reife ist diese Balance auf seinem aktuellen zweiten Werk gelangt. Es spielt in einer völlig anderen Liga als der Erstling, den er mit dem kanadischen Produzenten Michael Brooks 2001 in einem Weltmusiksound mit elektronischen Effekten angesiedelt hatte. Diesmal hält er sich fast ausschließlich in der Sphäre der klassischen Musik auf, sein Soloinstrument übt nicht mit Maschinen, sondern den Streichern des Gewandhausorchesters Leipzig Zwiesprache.
"Sie haben es genossen, diese Musik zu entdecken und trotz der Sprachbarriere konnten wir gut interagieren", begeistert sich Chalhoub. Gruppiert sind die meisten seiner Kompositionen in Suiten, die mal Reminiszenzen an Bartók und Dvořák offenbaren, dann wieder von barockem Vokabular geschwängert sind, natürlich auch orientalische Stimmungen beinhalten. Wo ist da sein eigener Stil erkennbar?
Arabischer Sound und europäische Klassik
"All diese Tönungen ergeben etwas, was ich meinen Stil nenne", erläutert der Komponist. "Das ist ein Prozess, der natürlich noch lange nicht abgeschlossen ist. Ich studiere die Werke anderer und merke, dass ich wie sie meinen vielschichtigen kulturellen Background reflektiere. Ich bin sowohl der Concertgebouw-Saal in Amsterdam als auch der kleine Jazzclub. Und in meinem Violinenspiel versuche ich arabischen Sound und klassische europäische Musik zu etwas Individuellem zu bündeln. Das gelingt mir vor allem durch sehr differenzierte Bogentechnik."
Claude Chalhoub ist nach Beirut zurückgekehrt. Auch wenn er dort nicht die optimalen Ausgangsbedingungen für einen Komponisten finden kann, bleibt er derzeit seiner Heimat verpflichtet.
"Ich habe drei Kriege gesehen, den Krieg der frühen, der späten Achtziger und den Krieg letztes Jahr. Manchmal bin ich niedergeschlagen, denn hier versiegen die Quellen der Inspiration. Wir haben zwar ein Symphonieorchester, aber es gibt wenig Interaktion mit Künstlern aus dem Ausland. Die Leute sind mit dem Überleben beschäftigt, politisch ist es immer noch äußerst unstabil."
"Ja, ich habe Redefreiheit, aber unterschwellig ertappe ich mich bei einer Art Selbstkontrolle, denn man kennt hier seine Grenzen", sagt Chalhoub und man merkt, dass sein Redefluss ins Stocken gerät und er unruhig wird. Das Klima der Angst im Libanon hat viele im Land verunsichert.
Abschließend formuliert er noch einen Satz, der versöhnlich klingt und die Situation relativiert: "Andererseits: Hat man schon mal von einem Komponisten gehört, der ein ausschließlich stabiles und leichtes Leben gehabt hätte?" Wer sich, wie Chalhoub, entschlossen hat, seine Heimat nicht zu verlassen, muss seinen Frieden schließen mit der Bedrohung und der Gewalt.
Stefan Franzen
© Qantara.de 2008
aktuelle CD: "Diwan" (Herzog Records/edel Kultur)
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