Back to the Roots

Junge Künstler aus zehn Ländern verbindet Ihre gemeinsame Leidenschaft für Musik, Tanz, Graffiti oder Medien. In Köln liefern sie unter dem Titel "Old School" eine fantastische, multikulturelle Musik-Show ab.

Von Naima El Moussaoui

​​Drei maskierte, schwarz gekleidete Gestalten springen auf die Bühne. Sie bewegen sich schnell. Es ist dunkel. Nur eine Seitenwand ist hell beleuchtet. Sie müssen noch da sein. Drei Schatten an der weißen Wand. Sprühgeräusche. Kurz. Dann ist niemand mehr da. Die Wand trägt ein schwarzes Abendkleid.

Plötzlich tauchen die Graffiti-Künstler von der anderen Seite der Bühne wieder auf. Ihre Gesichter sind jetzt nackt. Sie sind jung. Rap-Musik erschallt. Sie tanzen ein paar Schritte. Kurz darauf ist die Bühne voll. Rund 40 Tänzer führen eine Hip-Hop-Choreografie auf, die bewirkt, dass die Zuschauer immer näher an die Bühne rücken.

Fasziniert von der kreativen Performance folgen alle der Aufforderung "Put your hands up in the air!", sie springen und tanzen. Die Musik geht aus. Aus dem Off ist eine Beatbox zu hören. Sie wird lauter, macht verrückte Geräusche, gibt den Tänzern den Beat vor. Geräuschvoll erscheint er auf der Bühne: Mani Moeinolsadat aka "Money". Er ist 18 Jahre alt.

Der "Godfather of Noise", "King der Beatboxer"

"Ich hab mit elf Jahren im Internet eine Freestyle-Beatbox von Rahzel entdeckt. Rahzel ist der Godfather of Noise, der King bei den Beatboxern", erklärt Mani. "Da hab’ ich einfach versucht, ihn nachzumachen und seitdem gibt es kein zurück mehr." Er lebt in Pulheim und macht momentan sein Abitur.

"Ich bezeichne mich gern auch als Deutscher mit persischem Background. Meine Eltern sind vor 20 Jahren hierhin gekommen." Er hat ein Plakat des europaweit agierenden Förderprojektes "Roots & Routes" – Wurzeln und Wege – in einer Musikschule gesehen und sich sofort beworben. Und er ist zufrieden: "Ich habe viele Connections geknüpft und wir sind so etwas wie eine große Familie geworden. Ich habe viel gelernt, musikalisch, aber auch einfach dadurch, dass ich diese vielen coolen Menschen kennen gelernt habe."

Den Berufseinstieg erleichtern

Das Ziel des 2001 in den Niederlanden gestarteten Projektes ist es, Nachwuchskünstlern mit verschiedenen "Roots" mit Tanz-, Musik- und Medienprofis zusammenzubringen und zu coachen, um ihnen so neue "Routes" in Künstlerkarrieren oder Medienberufen zu eröffnen.

Das Projekt ermöglicht es jungen Menschen, ihr Können zu zeigen und weiterzuentwickeln. Es gehe darum, Jugendliche mit einer außergewöhnlichen Begabung in den Bereichen Musik, Tanz, Graffiti oder Medien zu entdecken und zu fördern, erläutert Lisette Reuter vom JFC Medienzentrum in Köln, das in Deutschland die Roots & Routes-Organisation übernommen hat. Gefördert wird das Ganze unter anderem durch EU-Mittel.

"Roots & Routes" ist eine Bewegung und ein Netzwerk, an dem sich inzwischen zehn europäische Länder beteiligen“, so Reuter weiter. "Wir wollen Jugendliche dort abholen, wo sie stehen und ihnen neue Perspektiven aufzeigen."

Abgeholt hat Roots & Routes mittlerweile über 4.000 junge Künstler in ganz Europa. Das Projekt sucht gezielt in europäischen Großstadtvierteln mit einem hohen Migrantenanteil, "wo es viele Jugendliche mit Begabungen gibt, die in der Schule oft nicht hinreichend erkannt werden."

Nur zwei Wochen lang haben die Jugendlichen in Remscheid für ihren Auftritt im Kölner Gloria-Theater geprobt. Angeleitet von 25 professionellen Trainern haben sie von morgens bis abends in Intensivkursen gearbeitet.

Der 19-jährige Puyan Ataherian hat an dem Rap-Workshop teilgenommen: "Was ich daran besonders toll fand, ist, dass wir Künstler selbst Songs produzieren durften, vom Song-Writing bis zur Beat-Production."

Neben den Gesangs- und Tanzarbeitsgruppen gab es auch einen Medienworkshop, in dem die Jugendlichen multimediale Techniken erlernt und schließlich auch Kurzfilme und Musikvideos produziert haben. Alle Teilnehmer mussten sich vorher in einem Casting durchsetzen. 30 Nachwuchskünstler schafften es aus Deutschland ins Team, Verstärkung kam aus den neun Partnerländern.

Mediale Kunst bildet den Rahmen

Die gelungene Symbiose aller Arbeitsgruppen zeigt sich dann bei der Bühnenshow. Auf der Leinwand erscheinen Kurzfilme, die den von den Teilnehmern selbst ausgewählten Titel der Show künstlerisch aufarbeiten: "Old School". Der visuelle Rahmen verstärkt die Ausdruckskraft der Tänzer und Sänger.

"Schluss mit Bling Bling und fetten Goldketten", verkündet ein Rapper. "Wir haben Visionen, Träume und Ziele. Zurück zu den Anfängen von Hip-Hop. Wir wollen etwas bewegen." Die Show ist eine Manifestation gegen den fortschreitenden Werteverfall in modernen Gesellschaften und gegen die Kommerzialisierung des Hip-Hops.

Sie ist ein "Schaut her – das ist unsere Street Culture" und verdeutlicht, was die Künstler unter urbaner Jugendkultur verstehen. Sie bringen Hip-Hop samt aller Urelemente auf die Bühne zurück: Rap, DJing, Breaks und Writing (Graffiti). Verpackt in eine Botschaft: "Revolution" steht groß auf der Leinwand. 100 Jugendliche rufen dazu auf, in eine vergangene Ära zurückzukehren, um anknüpfend an alte Ideale die Zukunft zu gestalten. Die Zuschauer sind sofort dabei.

Die interaktive Musik-, Tanz- und Medienshow vereint zudem die verschiedenen kulturellen und musikalischen Strömungen und Stile der Teilnehmer. Die Jugendlichen kommen aus zehn europäischen Ländern, doch es sind weitaus mehr als zehn Nationen auf der Bühne vertreten. Alle Kontinente finden sich hier wieder.

Die meisten haben eine multikulturelle Herkunft und bringen ihre Wurzeln und eigenen Geschichten stolz zum Vorschein. So führen zwei junge Künstlerinnen einen traditionell afrikanischen Tanz auf, die Musik macht Afrika spürbar, an der Leinwand ein Kurzfilm über das Leben dort.

Traditionell ist der Tanz zumindest im ersten Moment, denn in dieser Show macht es der Mix aus verschiedenen Sprachen, Kulturen und Genres. Hip-Hop, Reggae und Soul treffen auf Funk, Latin und Folklore. Street Dance, Break Dance und Modern Dance verschmelzen zu einer neuen Einheit.

Am Ende stehen die Künstler gesammelt auf der Bühne, umarmen sich, genießen das Feedback des Publikums. "Wir haben so etwas wie eine Gemeinschaft aufgestellt. 'Old School Unity' haben wir sie genannt", sagt Puyan, "und ich denk' mir, wir haben damit ein großes Element des Hip-Hops wieder zum Leben erweckt: die Brotherhood – die Bruderschaft. Das war ein einmaliges Erlebnis."

Naima El Moussaoui

© Qantara.de 2009

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