"Den arabischen Rassismus überwinden"
Seit 36 Jahren ist Sklaverei in Mauretanien offiziell verboten. Seit 2007 gibt es ein zusätzliches Gesetz, laut dem Sklavenhalter gerichtlich verfolgt werden. Welche Formen von Sklaverei existieren trotzdem noch?
Biram Dah Abeid: Noch heute kommen in Mauretanien Menschen als das Eigentum eines Anderen auf die Welt. Laut "Global Slavery Index" leben bis zu 160.000 Menschen im Land unter sklavenähnlichen Bedingungen. Es sind Schwarzafrikaner, genannt Haratin, die sich im Besitz von Menschen aus der arabisch-berberischen Elite des Landes befinden, den Mauren, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Die Haratin sind an die Familie ihres Herrn gebunden; sie haben kein Recht auf Bildung, keine Bürgerrechte, sie verdienen kein Geld und müssen teilweise besonders harte Arbeiten verrichten.
Wie wird diese Tradition weitergegeben?
Dah Abeid: Traditionell werden diese Sklaven nicht verkauft, sondern als Kinder verschenkt, wenn der Nachwuchs der Herrschaft heiratet und eine eigene Familie gründet. Die Frauen gehören qua Geburt dem Meister, der sie für seine sexuellen Begierden benutzt. Sie dürfen sich nicht verweigern. Neben dieser traditionellen Form der Leibeigenschaft gibt es aber auch moderne Formen von Sklaverei.
Worin liegt der Unterschied?
Dah Abeid: Hier handelt es sich um schwarze Mauretanier oder Migranten aus anderen afrikanischen Ländern, die harte Arbeiten verrichten und von ihren arabisch-berberischen Arbeitgebern schlecht bezahlt und schlecht behandelt werden. Männer und Kinder hüten Tiere, und Frauen arbeiten als Hausangestellte unter sehr harten Bedingungen.
Die Regierung Mauretaniens behauptet, die traditionelle Leibeigenschaft käme nur noch vereinzelt in abgelegenen Regionen vor.
Dah Abeid: Das stimmt nicht. Die Regierung will das Phänomen kleinreden. Unsere Organisation "Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolutioniste en Mauritanie" (IRA) hat in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen aus der Sklaverei befreit. Wir haben auch Fälle, in denen Haratins in den schicken Stadtvierteln der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott als Sklaven gehalten wurden – also dort, wo die regierende Elite lebt.
Im gesamten Sahel, an der Nahtstelle zwischen arabischem Nordafrika und Schwarzafrika, gibt es diesen arabischen Rassismus gegenüber Schwarzen. Aber nirgends ist er so ausgeprägt wie in Mauretanien. Woran liegt das?
Dah Abeid: Der Lebensstil der Mauren ist seit jeher eng mit der Sklaverei verbunden. Nach ihrem Einsickern in das Gebiet Mauretaniens im 14. bis 18. Jahrhundert haben sie die ursprüngliche Bevölkerung entweder in Richtung Süden vertrieben oder versklavt. Seitdem hat sich die Gewohnheit etabliert, bestimmte als minderwertig betrachtete Arbeiten an Schwarze zu delegieren.
Und das wirkt sich bis heute aus?
Dah Abeid: Genau. Heute wollen die Mauren ihre Privilegien erhalten, indem sie alle Anstrengungen zur tatsächlichen Abschaffung der Sklaverei erschweren oder verschleppen. Der ganze Staatsapparat, vom Präsidenten über das Justizsystem bis zum Parlament ist in der Hand dieser arabisch-berberischen Führungsschicht, die hartnäckig an ihrem traditionellen Lebensstil festhält.
Können Sie in Mauretanien dann überhaupt offen für Ihre Ziele kämpfen?
Dah Abeid: 2014 wurde ich festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt, nachdem ich eine landesweite Protest-Karawane für die endgültige Abschaffung aller Formen der Sklaverei organisiert hatte. Ich wurde zwar vorzeitig freigelassen, aber Aktionen oder Versammlungen konnte ich nicht mehr organisieren. Immer wieder werden Menschenrechtler angeklagt oder landen im Gefängnis. Deshalb bin ich von Nouakchott nach Dakar im Senegal gezogen und führe meinen Kampf von dort aus.
Erhalten Sie Unterstützung von islamischen Autoritäten?
Dah Abeid: Die religiösen Führer in Mauretanien verurteilen die Sklaverei leider nicht. Denn auch sie zählen zur arabisch-berberischen Elite. Jahrelang habe ich den Obersten Rat für Fatwas und Beschwerden aufgefordert, ein islamisches Verbot der Sklaverei auszusprechen; irgendwann habe ich damit aufgehört, weil es aussichtslos war. Die herrschende Elite hat den Islam dazu benutzt, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Für sie gilt das Versklaven von Menschen als sechster Pfeiler des Islam – neben den fünf Pfeilern, die für alle Muslime gelten.
[embed:render:embedded:node:16981]Was bedeutet das für die Gegner der Sklaverei?
Dah Abeid: Sie gelten als anti-islamisch, weil die Sklaverei als ein heiliger, von Gott angeordneter Akt betrachtet wird. Meine Mitstreiter und ich wurden von den religiösen Autoritäten exkommuniziert und auch vom Staat als außerhalb des Islam stehend bezeichnet, also als Apostaten, die den Tod verdienen. Das ist ihre Sicht des Islam. Ich bin bekennender Muslim, ich komme gerade von der Pilgerfahrt in Mekka, aber ich verfolge die Vision eines Islam, der auf der Gleichheit aller Menschen aufbaut und sich daher klar gegen die Sklaverei ausspricht.
Sehen Sie in der arabischen Welt eine Diskussion über diesen Rassismus gegenüber Schwarzen?
Dah Abeid: Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat die arabische Welt ihre Sicht auf Schwarzafrika noch nicht hinterfragt. Für Araber gelten Schwarze als minderwertig. Die arabischen Gesellschaften bestreiten damit die Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Ethnie. Diese rassistische Wahrnehmung geht auf die Zeit des Sklavenhandels zurück.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurden ja nicht nur Millionen Afrikaner von europäischen Mächten zur Zwangsarbeit nach Lateinamerika verschifft. Es gab genauso einen arabischen Sklavenhandel, der Afrika ausgeblutet hat. Die arabische Welt hat ihn bisher noch kaum aufgearbeitet, und ich sehe bisher keine bedeutende Entwicklung hin zu einer Überwindung des Rassismus gegenüber Schwarzen.
Immerhin fordern einzelne Stimmen eine Aufarbeitung. Wir hoffen, dass sie mehr Gewicht bekommen und den Anfang einer Auseinandersetzung markieren, an deren Ende der arabische Rassismus Geschichte ist.
Wie sehen Sie denn die inner-afrikanische Verantwortung für Sklaverei und Menschenhandel?
Dah Abeid: Afrikaner müssen aufhören zu behaupten, dass Sklavenhandel ein rein weißes Phänomen war. Es gibt den arabischen Sklavenhandel, aber es waren auch Ethnien wie die Fulbe oder Tuareg beteiligt. Letzten Endes müssen die afrikanischen Eliten die eigene Verantwortung in diesem dunklen Kapitel zur Kenntnis nehmen.
Das Interview führte Claudia Mende.
© Qantara.de 2017
Biram Dah Abeid ist selbst ein Sohn befreiter Sklaven. Er setzt sich seit langem für die Rechte der Haratins ein. Für sein Engagement erhielt er 2013 den Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen.