Von Pinochet zu Saddam Hussein

Ariel Dorfmans Theaterstück "Der Tod und das Mädchen" behandelt Folter, Schuld und Vergeltung unter Chiles Militärregierung. Ein Berliner Theater hat es im Irak aufgeführt.

Von Eduardo Fernández-Tenllado

Ariel Dorfmanns Theaterstück "Der Tod und das Mädchen" beschäftigt sich zentral mit Verfolgung und Folter während der chilenischen Militärdiktatur sowie der Frage nach Vergeltung und Bewältigung solcher Erlebnisse. Im Stück werden diese anhand der persönlichen Situation des Ehepaares Salas und des Arztes Miranda verhandelt. Die Ehefrau, Paulina Salas, war während der Diktatur entführt und gefoltert worden. Nach ihrer Freilassung findet sie ihren Freund in den Armen einer anderen Frau. Sie heiraten trotzdem.

Einige Jahre später: Während Paulina immer noch unter den Erfahrungen ihrer Haft leidet und deshalb ihr Medizinstudium nicht fortsetzen kann, ist aus Ehemann Gerardo ein angesehener Jurist geworden. Nach einem Termin bleibt er wegen einer Reifenpanne auf der Landstraße liegen. Ein Fremder bietet Hilfe an, die beiden kommen miteinander ins Gespräch und Gerardo lädt den Fremden zu sich nach Hause ein.

Kaum angekommen, wird im Radio die Ernennung Gerardos zum Mitglied einer Untersuchungskommission, die der Bewältigung der Vergangenheit dienen und sich mit Todesfällen unter Folter beschäftigen soll, bekannt gegeben.

Diktatur und Schuld

​​Der Fremde gratuliert. Paulina, Gerardo und der Fremde (Dr. Miranda) stoßen gemeinsam an, dabei erkennt Paulina in Dr. Miranda ihren mutmaßlichen Folterer wieder. Aus einer Einladung zum Übernachten wird dadurch im Handumdrehen eine Geiselnahme. Paulina nimmt Dr. Miranda gefangen und möchte ihm den Prozess machen. Er soll spüren, wie es ist gefoltert und vergewaltigt zu werden. Gerardo ist entsetzt. Und Dr. Miranda bestreitet die Tatbeteiligung.

Die spannungsgeladene Dreierkonstellation der Figuren stellt die Frage nach Schuld und Vergeltung auf eindringliche Weise. Wie sollen sich Täter und Opfer in der Zeit nach einer Diktatur begegnen? Welchen Weg schlagen sie ein: Rache und Selbstjustiz oder ein Gerichtsverfahren nach rechtstaatlichen Grundsätzen? Gibt es in einer Diktatur überhaupt Menschen ohne Schuld? Fragen zu denen es oft keine einfachen Antworten gibt. Aber gerade für Menschen aus dem Irak sind diese Fragen von aktueller Bedeutung.

Aufbruchstimmung in den Städten

Über die Einladung unsere Arbeit im Nordirak zeigen zu dürfen, freuten wir uns sehr. Obwohl wir natürlich auch Bedenken hatten – schließlich sind die Berichte aus dem Irak nicht gerade vertrauenerweckend. Kaum eine Woche in der nicht über Entführungen, Selbstmordanschläge, Bürgerkrieg und weitere Schrecken berichtet wird. Auch unsere Eltern, Verwandte und Freunde waren besorgt. Der Einzige, der uns beruhigte, war Ihsan Othmann, der irakische Regisseur unseres Ensembles.

Aber auch zusätzliche Recherchen vermittelten uns ein ermutigendes Bild: Im Gebiet der nordirakischen Regionalregierung ist die Sicherheitslage erheblich stabiler als in anderen Landesteilen. Tatsächlich glauben konnten wir diese Aussagen allerdings erst einige Tage nach unserer Ankunft in Dohuk.

Kaum über der Grenze, wurden wir überaus freundlich empfangen. Die Herzlichkeit, Offenheit und Neugier der Menschen, die uns während unserer gesamten Reise begegneten, berührte uns sehr. Ebenso wie die allgemeine Aufbruchstimmung in den Städten, die wir besuchten.

Austausch über kulturelle Grenzen hinweg

Das Festival – der eigentliche Grund unserer Reise – begann am 29. Juni mit einer Ausstellungseröffnung. Neben den Bildern von über 100 kurdischen Künstlern wurde das Stück in vier verschiedenen Inszenierungen in drei Sprachen ausgeführt: als Performance der österreichischen Künstlerin Ulrike Düregger, als Schauspiel vom Shorashvan-Ensemble Dohuk in kurdischer Sprache, vom Nationaltheater Bagdad in arabischer Sprache und vom I.-O.-Theater Berlin in deutscher Sprache.

​​Die Vorstellungen der Ensembles fanden an drei hintereinander folgenden Abenden statt und waren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Nach jeder Vorstellung gab es ein Publikumsgespräch, das immer großen Zuspruch fand. Besonders die Rolle der Paulina Salas und die Interpretation durch die jeweilige Schauspielerin wurden breit und kontrovers diskutiert.

Das Echo war so enorm, so dass wir nach Abschluss des Festivals vom Gouverneur der Stadt Sulaimaniyya zu einer Aufführung im dortigen Institut of Fine Arts eingeladen wurden.

In diese Region und ihre Menschen haben wir uns verliebt. Der Austausch über kulturelle Grenzen hinweg, kann dringend notwendige Brücken zwischen Ost und West schlagen und bereichert damit das Leben aller Beteiligten. Wir freuen uns deshalb auf weitere Festivals in Berlin und Erbil, im Herbst dieses Jahres.

Antje C. Hobucher, Eduardo Fernández-Tenllado

© Antje C. Hobucher, Eduardo Fernández-Tenllado / Qantara.de 2008

Das I.-O.-Theater Berlin wurde im Juni 2005 von dem irakischen Regisseur Ihsan Othmann und der Schauspielerin Antje C. Hobucher gegründet. Das Ensemble setzt sich aus Künstlern unterschiedlicher Nationen und Kulturen zusammen – der volle Name des Ensembles lautet "Internationales Offenes Theater". Die Aufführungen im Irak kamen durch das Berliner Festival "Iraqi Theatre at Home and Away" zustande, das im März diesen Jahres vom Theaterhaus Mitte, dem Verein "Förderband" und dem I.-O.-Theater bereits zum zweiten mal veranstaltet worden war.

Qantara.de

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