Zeit zum Handeln
Die syrischen Sicherheitskräfte, die das Land militärisch noch immer fest im Griff haben, haben meinen Bruder fast 72 Tage lang gefangen gehalten. Er hatte sich nicht an Demonstrationen gegen die Regierung von Baschar al-Assad beteiligt. Trotzdem wurde er unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und gefoltert – in einer Garage auf dem Gelände des Militärflughafens von al-Mezzeh, einem westlichen Vorort von Damaskus.
Die Gefängnisse des Landes sind überfüllt: Über 50.000 Menschen sind inhaftiert, darunter auch Tausende von Kindern, wie im Fall meines 16jährigen Cousins Jihad, der von den Sicherheitsorganen der Luftwaffe gefangen genommen wurde, als sie nach seinem Bruder suchten. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß, doch bis heute hat seine Familie keine Informationen zu seinem Verbleib.
Dies ist nur eine von vielen Geschichten, die sich gegenwärtig in Syrien abspielen. In Homs und anderen Städten ist die Situation sogar noch weitaus schlimmer.
In den letzten beiden Wochen eskalierte die Gewalt in Syrien in bisher nicht dagewesener Weise: mehr als 400 Menschen starben, darunter 24 Kinder, was die Gesamtzahl der Toten auf mehr als 6.000 erhöht. Zudem ist mit etwa 25.000 Flüchtlingen zu rechnen und mit weiteren 60.000 Menschen, die an andere Orte im Land gebracht wurden.
Das Zaudern der US-Amerikaner
Während die internationale Gemeinschaft noch immer zögert, in das Geschehen einzugreifen, gehen die Grausamkeiten unvermindert weiter und das in noch rascherem Tempo als zuvor. Es ist daher an den USA, sich endlich aus der Deckung zu wagen und entschiedene Schritte zu unternehmen, um eine gemeinsame Aktion gegen die Verletzung der Menschenrechte in Syrien zu initiieren.
Die internationale Staatengemeinschaft hat es bisher nicht geschafft, das syrische Volk vor den Angriffen ihres eigenen, brutalen Regimes zu schützen. Nur das letzte Glied in einer ganzen Kette von Versäumnissen ist hierbei das Veto von Russland und China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als es um eine Resolution ging, die einen Ausweg aus der dramatischen Situation in Syrien geboten hätte.
Während Russland es auf einen Machtkampf anzulegen scheint, der an die Zeit des Kalten Krieges erinnert, zaudern die USA weiterhin und verlegen sich darauf, aus dem Hintergrund zu agieren. Doch dieses diplomatische Hickhack und die gegenwärtige Pattsituation haben für das syrische Volk verheerende humanitäre Konsequenzen.
Zwar verhängten die USA Sanktionen gegen das Assad-Regime, die die Einnahmen Syriens durch Öl- und Gasverkäufe schmälerten. Die Regierung Obama hat auch wiederholt den Rücktritt Assads verlangt und das amerikanische Außenministerium hat seine Botschaft in Syrien geschlossen.
Und doch waren diese vorsichtigen Schritte keine, die zu einer entscheidenden, vom syrischen Volk so dringend benötigten Rettungsaktion geführt hätten. Die militärischen Auseinandersetzungen werden immer intensiver geführt. Und bis heute deutet nichts darauf hin, dass sich diese abschwächen könnten, solange Assad nicht bereit ist, endlich nachzugeben.
Das Blutbad von Homs, bei dem Mitte Februar 200 Menschen getötet wurden, beweist, dass die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft Assad nur zu weiteren Gräueltaten ermutigt. Es ist an der Zeit, dass die USA ihre Anstrengungen zum Schutz des syrischen Volkes wesentlich ausweiten.
Die USA können und müssen das syrische Volk an der humanitären Front unterstützen – nicht nur ökonomisch und politisch. Vor kurzem schlug US-Außenministerin Hillary Clinton eine internationale Koalition außerhalb der UN vor, die von "Freunden des demokratischen Syriens" gebildet werden und "das Recht des syrischen Volkes auf eine bessere Zukunft" durchsetzen soll.
Eine neue "Koalition der Willigen"
Der Syrische Nationalrat hatte bereits zuvor eine Intervention der internationalen Gemeinschaft gefordert und es wäre nicht das erste Mal, dass eine solche Forderung Gehör findet. Als Russland seinerzeit drohte, gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrates zu stimmen, mit der die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt werden sollte, umging Präsident Bush den Sicherheitsrat und schloss eine Allianz aus Staaten, die sich ebenfalls für die Unabhängigkeit des Landes einsetzten. Die USA sollten nun eine ähnliche Koalition bilden, die es endlich unternimmt, die lange überfälligen Schritte zu unternehmen, um syrische Zivilisten zu schützen.
Präsident Obama sagte, dass der Rücktritt Assads nicht eine Frage des "ob", sondern lediglich des "wann" sei. Angesichts täglich neuer Gewalttaten müssen die Vereinigten Staaten aber alles daran setzen, um den Sturz des syrischen Regimes zu beschleunigen.
Auch wenn die amerikanische Regierung eine militärische Intervention ausgeschlossen hat, könnte eine Koalition aus Staaten für ein demokratisches Syrien dafür sorgen, Sicherheitszonen einzurichten, die als Zuflucht für bedrohte Zivilisten dienen könnten. Auch könnte diese Koalition eine Flugverbotszone durchsetzen, die sicher auch von Syriens Nachbarn, der Türkei und Jordanien, begrüßt würde.
Doch für Millionen von Syrer, die in ständiger Angst leben und ihre Häuser nicht verlassen können sowie ihrer Liebsten beraubt werden, kommt all dies zu spät. Sollte sich die internationale Gemeinschaft nicht endlich zu einem gemeinsamen, entschlossenen Handeln durchringen können, werden die Folgen dieser Untätigkeit nicht auf die Region beschränkt bleiben, sondern die Ehre derer, die die syrischen Rufe nach Hilfe ignorieren, auf ewig beflecken.
Radwan Ziadeh
© Qantara.de 2012
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de