Die Perspektive der Anderen

Ein neuer israelischer Dokumentarfilm zeigt zum ersten Mal das Kriegsjahr 1948 aus der Sicht mehrerer Konfliktparteien. In Israel erntet die Filmautorin Lob, aber auch heftige Kritik. Unklar ist, ob der Film im auftraggebenden Staatsfernsehen überhaupt gezeigt wird. Joseph Croitoru berichtet.
Ein neuer israelischer Dokumentarfilm zeigt zum ersten Mal das Kriegsjahr 1948 aus der Sicht mehrerer Konfliktparteien. In Israel erntet die Filmautorin Lob, aber auch heftige Kritik. Unklar ist, ob der Film im auftraggebenden Staatsfernsehen überhaupt gezeigt wird. Joseph Croitoru berichtet.

Ein neuer israelischer Dokumentarfilm zeigt zum ersten Mal das Kriegsjahr 1948 aus der Sicht mehrerer Konfliktparteien. In Israel erntet die Filmautorin Lob, aber auch heftige Kritik. Unklar ist, ob der Film im auftraggebenden Staatsfernsehen überhaupt gezeigt wird. Joseph Croitoru berichtet.

Von Joseph Croitoru

Zum 75. Jubiläum der Staatsgründung schrieb das israelische Staatsfernsehen vor einigen Jahren ein Filmprojekt über das Jahr 1948 aus. Die Ausschreibung gewann die heute 43-jährige israelische Filmautorin Neta Shoshani. In ihrem zweieinhalbstündigen Filmessay "1948 – Erinnern, Nicht-Erinnern“ werden erstmals die Ereignisse des israelisch-arabischen Krieges anhand von Tagebüchern und Briefen sowohl von Israelis als auch von Palästinensern geschildert.



Auch wird unbekanntes Filmmaterial etwa aus westlichen Wochenschauen und farbigen Amateurfilmen gezeigt. Der Film befasst sich aber auch mit der zaghaften israelischen Aufarbeitung der Geschichte des Krieges und der palästinensischen Nakba, des Traumas von Flucht und Vertreibung. 

Mit ihrem Dokumentarfilm will Neta Shoshani gewohnte Sichtweisen in Frage stellen. Im Gespräch mit der Kultursendung des israelischen Staatsfernsehens beklagte sie, dass die vielen Facetten der Geschichte dieses für den langjährigen arabisch-israelischen Konflikt so entscheidenden Krieges in Israel kaum bekannt seien. Es sei ihr außerdem ein Anliegen, möglichst alle am Krieg beteiligten Seiten zu zeigen. 

Poster des Films "1948 - Erinnern, Nicht-erinnern" von Neta Shoshani; Quelle: Verleih
Mit ihrem Dokumentarfilm "1948 – Erinnern, Nicht-Erinnern“ will Neta Shoshani gewohnte Sichtweisen in Frage stellen. Im Gespräch mit der Kultursendung des israelischen Staatsfernsehens beklagte sie, dass die vielen Facetten der Geschichte dieses für den langjährigen arabisch-israelischen Konflikt so entscheidenden Krieges in Israel kaum bekannt seien. Es sei ihr außerdem ein Anliegen, möglichst alle am Krieg beteiligten Seiten zu zeigen.

Ihre Herangehensweise wird schon in der Behandlung der Vorkriegszeit deutlich.



Die Annahme des Teilungsplans für Palästina im November 1947 durch die Vereinten Nationen, so Neta Shoshani, kenne man in Israel nur von den eigenen, damals enthusiastischen Reaktionen. "Die auf der palästinensischen Seite kennt bei uns aber keiner.“



Ein Beispiel dafür liefern im Film die Tagebucheintragungen des Jerusalemer Musikers Wassef Juariya, der über den angenommenen Teilungsplan schockiert ist.



Und nicht nur er: "Auf der Straße“, so die Filmautorin, "trifft Juariya allenthalben Araber, die sich über ihr künftiges Schicksal Sorgen machen.“ 

Schon bald nach dem UN-Beschluss griffen palästinensische Milizionäre jüdische Wohngebiete an.



Als die Juden mit Gegenangriffen antworteten, eskalierte die Lage zu einem Bürgerkrieg, bei dem noch vor der Staatsgründung Israels im Mai 1948 viele tausende Palästinenser in die Flucht getrieben wurden.

Die infolge der Invasion mehrerer arabischer Armeen immer blutiger werdenden Kriegsereignisse werden in dem Film von mehreren beteiligten Seiten geschildert.



Dabei räumt die Regisseurin mit dem in Israel lange gepflegten Mythos eines David gegen Goliath gründlich auf. Die Israelis verfügten nämlich über deutlich mehr Kämpfer, waren auch besser organisiert und ausgerüstet.

 

Verzweiflung und Trauer der Palästinenser

Während sich im Verlauf des Krieges bei den Palästinensern Verzweiflung und Trauer über ihre Entwurzelung und Enteignung breit machen, werden die militärisch erfolgreichen Israelis trotz hoher menschlicher Verluste immer selbstbewusster – und auch hemmungsloser. 

So schreibt im Januar 1948 der spätere israelische Ministerpräsident David Ben Gurion in sein Kriegstagebuch: "Das Sprengen eines Hauses reicht nicht, eine grausame und starke Antwort ist nötig.“ Er fordert sogar, bei Vergeltungsaktionen auch Frauen und Kinder von Kombattanten anzuvisieren. Wenn die erhofften Waffenlieferungen einträfen, notiert er im April, werde man die Syrer wohl auch auf ihrem eigenen Boden bekämpfen können.

Zu diesem Zeitpunkt startet das israelische Militär bereits seinen Plan D (Dalet), der gezielte Vertreibungen der palästinensischen Araber zur Folge haben wird. 

 

 

Im Fernsehen erst einmal verschoben

Auf das immer rücksichtslosere Vorgehen der Israelis gegen die Palästinenser gehen in dem Film Zeitzeugen beider Seiten ein. Neben Siegerstolz kommt bei manch einem israelischen Soldaten auch Empathie für das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge auf. Die Aufarbeitung der israelischen Kriegsgräuel, ebenfalls Thema des Dokumentarfilms, stößt bis heute auf Hindernisse.

Ein einschlägiger Untersuchungsbericht, der Ende 1948 dem israelischen Kabinett vorgelegt wurde, liegt immer noch unter Verschluss. Dafür hat der Staatsarchivar Yoram Rosenzweig persönlich gesorgt, der seine Entscheidung vor der Kamera rechtfertigt: "Die Veröffentlichung dieses Berichts heute kann der Sicherheit des Staates schaden, ebenso seinen Auslandsbeziehungen und auch der öffentlichen Sicherheit.“ 

Neta Shoshanis Filmessay wurde unlängst auf dem Tel Aviver Filmfestival "Docaviv“ ausgezeichnet, erntete im Land aber auch heftige Kritik von rechter Seite, weil er die "Blutlegende von der Nakba“ verbreite. Der ultrarechten israelischen Regierung ist er nicht nur deshalb ein Dorn im Auge.

Für sie ist die israelische Fernseh- und Radioanstalt "Kan“, die den Film in Auftrag gab, wegen ihrer kritischen Berichterstattung ein Störfaktor. Neta Shoshanis Film sollte schon im Juni im israelischen Staatsfernsehen ausgestrahlt werden. Ein weiterer geplanter Sendetermin im Juli wurde erst einmal auf den Herbst verschoben. 

 Joseph Croitoru

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