Das Interesse am Islam wächst
Der Jahreskongress der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient (DAVO) in Hamburg stand ganz im Zeichen des Irak-Krieges, auch wenn die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den Nachbarstaaten ebenfalls auf der Tagesordnung standen. Denn die Ereignisse in der gesamten Region wirken sich bis nach Europa und Amerika aus. Doch darüber hinaus wiesen die Veranstalter darauf hin, dass seit den Anschlägen vom 11. September nicht nur das öffentliche Interesse am Islam, sondern auch das wissenschaftliche Interesse verschiedenster Disziplinen wie Jura, Soziologie, Geografie und Wirtschaft enorm zugenommen habe.
Berlin musste wegen der riesigen Nachfrage an den Universitäten mittlerweile sogar Zugangsbeschränkungen für das Studium der Islamwissenschaften einführen. Aber auch innenpolitische Diskussionen, wie zum Beispiel der Streit um Kopftuch-tragende Lehrerinnen in Deutschland oder die Frage nach islamischem Religionsunterricht in deutschen Schulen, haben das Interesse befördert und zugleich auch neue, gegensätzliche Fronten errichtet. Fakt ist: Das Thema Islam in Deutschland und Europa wird zunehmend zu politischen Zwecken populistisch angeheizt und instrumentalisiert.
Einseitige Wahrnehmung der Muslime
DAVO betrachtet sich als Plattform, die weit verbreitete Unwissenheit über den Islam abzubauen und auch die Konsequenzen einer starken islamischen Minderheit für Europa aufzuzeigen. Zugleich versteht sich der Verband auch als Lobby für verfolgte Muslime in der islamischen Welt. Mehr als bedenklich stimmt DAVO, dass die Wahrnehmung des Islam in der westlichen Welt besonders seit dem 11. September 2001 immer mehr durch den fundamentalistischen politischen Islam, den Terroranschlägen von Djerba über Bali bis Istanbul und durch den blutigen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern geprägt wird.
Udo Steinbach, Direktor des Orient-Instituts in Hamburg, macht kein Hehl daraus, dass das gewaltige Gewaltpotential der Region - von Afghanistan bis zu den östlichen und südlichen Mittelmeeranrainern - auf längere Sicht die Dialogfähigkeit zwischen der islamischen und nichtislamischen Welt annähernd auf den Nullpunkt hat sinken lassen. Denn es würden die für einen Erfolg versprechenden Dialog notwendigen Partner fehlen: "Ich denke, dass diese Dialog-Idee für den Augenblick tot ist. Davon wird viel gesprochen, weil sie eine so plausible und so schöne Alternative zu sein scheint, eine Alternative zur derzeit brutalen Situation. Aber ich sehe kein wirkliches Interesse an diesem Dialog. Im Augenblick gilt die Sichtweise: die Politik im Nahen Osten und im Nahen Osten herum ist Machtpolitik und Interessenpolitik. All die Friktionen, die kennen wir. Und so denke ich einmal, der Dialog zwischen den Kulturen, Westen/Islam, Christentum/Islam ist eine schöne Idee, an der wir auch festhalten sollten. Nur in der Realität wird dieser Dialog für die nächsten Jahre nichts bewirken."
Öl als treibendes Motiv
Ein vernichtendes Urteil, das sich auch auf die momentan negative Entwicklung in Afghanistan bezieht. Es gibt zwar eine anerkannte Regierung in der Hauptstadt Kabul, aber keine wirkliche Staatsmacht. Die Warlords der Nordallianz und auch die sich neu formierenden versprengten Reste der Taliban beherrschen ganze Provinzen. Und die Opiumproduktion hat mit 4000 Tonnen bereits wieder ein nicht mehr für möglich gehaltenes Niveau erreicht. Gleichzeitig nehmen die bewaffneten Attacken auf Teile der internationalen Einsatztruppe zu.
Udo Steinbach sieht in der jetzigen Konstellation klare Verbindungslinien zwischen den Taliban, den Saddam-Anhängern, dem Iran und letztlich auch Saudi-Arabien, die sich wie ein roter Faden durch die Region zögen. Für ihn steht trotz gegenteiliger Beteuerung der US-Administration fest, dass es letztendlich um ihre dauerhafte Dominanz in der Region geht. Entscheidend sei der einigermaßen gesicherte Zugriff auf die riesigen Öl- und Erdgasreserven für die nächsten 60 bis 80 Jahre. Dafür müsse schon bald ein Mindestmaß an Stabilität hergestellt werten, was aber lediglich Krisenmanagement sei, keine Krisenlösung. Und in diesem regionalen Gewalt-Szenario sei auch ein Kurdenstaat im Irak durchaus denkbar und real, "... wenn es zu einer anhaltenden Destabilisierung des Irak kommt. Und dazu kommt es. Die Zukunft des Irak ist nicht gewaltfrei zu haben. Und wenn diese Gewalttätigkeit unter den Irakern weiter eskaliert, dann würde ich nicht ausschließen, dass die Kurden verführt werden, ihren eigenen Staat zu gründen, von dem jeder kurdische Führer redet. Ich gehe davon aus, dass die Zukunft des Irak für die nächsten zwei, drei Jahre in höchstem Maße gewalttätig sein wird. Die Frage nach der Macht ist zu stellen. Die Frage nach der Religion ist gestellt. Wie viel Religion? Bleibt es ein laizistisches System, wird es eine islamische Republik? Irgendwo dazwischen muss sich dieses Ganze sortieren. Und da gibt es unterschiedliche Antworten auf diese Fragen, und die werden zum Teil - das haben wir in der Vergangenheit gesehen - mit der Waffe in der Hand ausgetragen."
Heinrich Bergstresser, Deutsche Welle/DW-WORLD.de
Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient - kurz DAVO - wurde 1993 als Zusammenschluss von Personen gegründet, die sich mit der gegenwartsbezogenen Forschung zum Vorderen Orient und zu dessen Beziehungen mit anderen Regionen befassen. Unter dem Raum Vorderer Orient werden alle arabischen Staaten und Territorien sowie Afghanistan, Iran, Pakistan, die Türkei, die islamischen Staaten der ehemaligen UdSSR sowie Israel verstanden. Der Vereinigung gehören derzeit mehr als 650 Wissenschaftler, Studierende und andere orientinteressierte Mitglieder überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum an.