Aufruf zum Öko-Dschihad

Auf der Pilgerfahrt nach Mekka; Foto: DW/A. Abubakar
Auf der Pilgerfahrt nach Mekka; Foto: DW/A. Abubakar

Seit Ende der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte sich eine Auseinandersetzung muslimischer Intellektueller mit einer islamischen Umwelt-Theologie. Verschiedene Koranverse werden ökologisch interpretiert und es wird aufgezeigt, dass auch in der Sunna des Propheten Muhammads Hinweise auf die Notwendigkeit einer umweltbewussten Lebensweise zu finden sind. Von Monika Zbidi

Von Monika Zbidi

Der Klimawandel und die globalen Umweltprobleme bringen die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Position in der Umwelt mit sich und erfordern Lösungsansätze zur Erhaltung der Erde, nicht zuletzt, um den eigenen Lebensraum zu schützen und zu erhalten. So begannen auch die verschiedenen Religionsgemeinschaften sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was die eigene Religion zum Thema Umweltschutz zu sagen hat.

Im Jahr 1967 präsentierte der Historiker Lynn White Junior eine kontroverse These bezüglich des Ursprungs der ökologischen Krise. Er behauptete, dass die Wurzeln in den monotheistischen Religionen lägen. Religiöse Reaktionen auf diesen Vorwurf eröffneten den neuen Diskurs einer „Öko-Theologie“.

Zwar ging White in seinen Schriften vorrangig auf das Christentum und Judentum ein, jedoch begann mit der Konfrontation eines solchen Vorwurfs und der Wahrnehmung der ökologischen Krise auch bei den Muslimen die Auseinandersetzung mit dem Thema Ökologie.

Die Strömung einer islamischen Öko-Theologie, die sich aus islamisch-ökologischer Philosophie, Scharia-basiertem Umweltrecht und islamisch-ökologischem Aktivismus zusammensetzt, ging von muslimischen Akademikern und Gelehrten aus, die oftmals in einem mehrheitlich muslimischen Land aufwuchsen und später in westlichen Ländern lebten bzw. leben.

Mit der neuen Konfrontation der Umwelt-Problematik fand eine Auseinandersetzung mit der Position der eigenen Religion im Diskurs statt. Seitdem verbreitete sich die ökologische Dimension des Islams und fand Anwendung in Organisationen und Initiativen von Muslimen weltweit.

Öko-Islam online und offline

Motto am Tag der offenen Moschee 2013; Foto: http://www.tagderoffenenmoschee.de/
Seit 1997 findet am 3. Oktober in vielen deutschen Städten der Tag der offenen Moschee statt. Dieses Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto "Umweltschutz - Moscheen setzen sich ein".

„Green Khutba Campaign“, „Green Guide to Hajj”, „Muslim Green Guide to Reducing Climate Change”, „Greening Ramadan”, „Clean Medina Campaign” – den Namen dieser Initiativen, Projekte und Kampagnen ist auf den ersten Blick anzusehen, dass die Verbindung von Islam und Natur im Zentrum steht. Die Labels eines „grünen“ Islams bzw. eines „Öko-Islams“, in erster Linie im Englischen als „Eco-Islam“ verwendet, haben sich in den letzten Jahren zur Bezeichnung dieser zeitgenössischen Strömung durchgesetzt.

Dies soll jedoch nicht heißen, dass ihre Anhänger von einem gewissermaßen „eigenen“ Islam sprechen, vielmehr soll der Begriff auf die Wertschätzung der Umwelt und Schöpfung Gottes hinweisen und will eine nachhaltige Lebensweise als eine dem Islam inhärente Notwendigkeit verorten. Ein Ziel ist, auch andere Muslime auf das Potential des Islams aufmerksam zu machen.

Für die Promotion dieser Ansichten bieten sich insbesondere wichtige islamische Ereignisse und Stationen des Kalenders an, so zum Beispiel der Fastenmonat Ramadan, der als Monat der Rückbesinnung und Selbstreflexion gilt. Da man im Ramadan zwischen Sonnenauf- und -untergang weder Speis noch Trank zu sich nimmt, werden von vielen Familien nachts zur Essenszeit große Festmahle vorbereitet, was dazu führt, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden müssen.

Verschiedene Blogs, die sich einzig dem Thema Islam und Ökologie widmen, wie z. B. www.theecomuslim.com oder www.khaleafa.com riefen in den letzten Jahren während und vor dem Monat Ramadan in verschiedenen Artikeln zu einem „grünen Ramadan“ und einer nachhaltigen und ökologischen Verhaltensweise auf.

Dies beinhaltet im westlichen Kontext zum Beispiel die Verwendung von Fairtrade-Produkten, den eigenen Anbau von Obst und Gemüse oder, falls dies nicht möglich ist, den Kauf von lokalen Produkten und den sparsamen Umgang mit Wasser bei der rituellen Gebetswaschung.

Auch die Hajj, die Pilgerfahrt nach Mekka, sowie das große und das kleine Fest des Islams, das Opferfest am Ende der Pilgerfahrt nach Mekka und das Fest des Fastenbrechens, bieten Anlass für islamisch-ökologische Organisationen oder Blogs, um an das religiöse und auf diesem Wege auch an das ökologische Gewissen zu appellieren.

Pilgerreise nach Mekka; Foto: picture-alliance/dpa
Pilger erwarten den Sonnenaufgang am Gnadenberg in Arafat auf ihrem Weg nach Mekka. Die islamischen Öko-Kampagnen fordern die Muslime besonders während der Hajj und im Ramdan auf, das eigene Umweltverhalten zu reflektieren.

Die „Green Khutba Campaign“ wurde von Muaz Nasir zum Anlass des internationalen „Earth Day“ 2012 ins Leben gerufen. Für die Kampagne, die bei über 75 Imamen bzw. Organisationen in Nordamerika Unterstützung fand, wurde eine Muster-Freitagspredigt zum Thema Umwelt entworfen. Ziel war es, Moscheen und islamische Institutionen zu ermutigen, die Freitagspredigt am „Earth Day“ dem steigenden Bewusstsein der Herausforderungen der Umwelt für die Menschen zu widmen.

Muaz Nasir ist ein muslimischer Umweltaktivist aus Kanada, lebt in Toronto und engagiert sich im Umweltsektor. Das Prinzip der Statthalterschaft „Khaleafa“, die dem Menschen von Gott übertragen wurde, stellt die Inspiration für den Weblog www.khaleafa.com von Muaz Nasir dar. In seinem Blog verknüpft er die kanadische mit der muslimischen Identität, die nach seiner Meinung beide eine enge Verbindung zur Natur aufweisen.

So nutzt er wichtige Umweltereignisse für die Reflexion einer islamischen Sichtweise, wie zum genannten „Earth Day“ oder zur „International Pollinator Week“, die er zum Anlass nimmt, über die Rolle der Biene im Islam zu schreiben. Auch die kanadische „Waste Reduction Week“ nutzt er dazu, aufzuklären, warum Abfallvermeidung auch im Islam verankert ist.

Der „Green Guide to Hajj“, der von der britischen Alliance of Religions and Conservation (ARC) bei Global One 2015 und EcoMuslim in Auftrag gegeben und 2011 veröffentlicht wurde, soll das ökologische Verhalten der Muslime insbesondere während der Hajj verändern. Die Pilger befinden sich in einem Weihezustand, der ihnen die Jagd, das Töten von Tieren und das Fällen bzw. Zerstören von Bäumen und Pflanzen verbietet.

Da die Pilgerfahrt nach Mekka die fünfte Säule des Islams darstellt und die jährlich rund 2,5 Millionen Pilger meist mit guten Vorsätzen, sich noch besser an die religiösen Vorschriften zu halten, zurück in die Heimat reisen, bietet sich dieses Ereignis an, die Herzen der Pilger zu erreichen und zu einer nachhaltig ökologischeren Lebensweise zu bewegen. Der Guide enthält ein Vorwort des ägyptischen Großmuftis Ali Gomaa und beinhaltet viele Anregungen und Tipps, wie beispielsweise während der Hajj nur umweltfreundliche Produkte und Services in Anspruch zu nehmen, den Müll und Konsum während der Pilgerfahrt zu reduzieren und auch nach der Pilgerfahrt weiterhin nachhaltig zu leben.

Die Pilger sollten bei der Reise auf ein Flugzeug verzichten und, wenn dem Pilger dies nicht möglich ist, für ein Umweltprojekt spenden, um die verbrauchten Karbon-Meilen wiedergutzumachen. Der „Green Guide to Hajj“ ruft des Weiteren dazu auf, auf Plastikflaschen zu verzichten, beim Verkehr auf öffentliche Verkehrsmittel wie die Mekka Metro zurückzugreifen und die Pilgerfahrt nur ein Mal im Leben durchzuführen, so wie es die islamische Pflicht auch vorschreibt.

Iranische Frauen in Teheran; Foto: picture alliance / landov
Aufgrund der hohen Luftverschmutzung in Teheran blieben Anfang Januar 2013 öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Banken und Bürogebäude tagelang geschlossen.

Muslim Green Guide

Eine weitere Broschüre, die bereits 2008 von den Life Makers UK (gegründet von Amr Khaled) und der Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences (IFEES) mit Sitz in Birmingham herausgegeben wurde, ist der „Muslim Green Guide to Reducing Climate Change“. Hierbei handelt es sich um eine praktische Anleitung, wie einzelne Muslime gegen den Klimawandel vorgehen können.

Alltagstipps zu Themen, wie beispielsweise Energiesparen beim Kochen oder Wäsche waschen, Recycling und das Verwenden von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrrädern, wurden mit Koranzitaten versehen. Auf diese Weise wird aufgezeigt, warum Muslime aktiv werden sollten, und dass es in ihrem Glauben verankert ist, die Umwelt zu schützen.

Eine weitere Kampagne der IFEES war die „Clean Medina Campaign“, die ebenfalls im Jahr 2008 in Birmingham durchgeführt wurde. Der Slogan lautete: „It’s a campaign! It’s a film! It’s Jihad!” Muslime hielten auf einem Video fest, wie sie gemeinsam die Straße kehrten und reinigten, und versuchten so, auch andere Muslime zu ähnlichen Aktionen in ihrer Stadt motivieren.

IFEES gilt als Mutter der islamisch-ökologischen Organisationen, führt verschiedene lokale und auch internationale Projekte durch und wurde von Fazlun Khalid in den achtziger Jahren gegründet. Dieser ist in Sri Lanka geboren und aufgewachsen und lebt seit 1953 in England. Er gilt als einer der Mitbegründer des Öko-Islams und zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er sowohl muslimischer Öko-Theologe als auch Umweltaktivist ist.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von internationalen Aktivitäten, die den hier beschriebenen ähneln. Das Medium Internet zur Verbreitung von Ideen und Lösungsansätzen und zur Vernetzung von muslimischen Aktivisten wird in den letzten Jahren immer mehr genutzt.

Fazlun Khalid; foto: Fazlun Khalid
Fazlun Khalid zählt zu den 15 führenden Öko-Theologen der Welt; er stand auf der Liste der "Top 100 Environmentalists in the UK" und auf der Liste "500 Most Influential Muslims in the World". Er hat zahleiche umweltethische Schriften im islamischen Kontext herausgegeben.

Neben Informationswebseiten gibt es Weblogs, aber auch zahlreiche Facebook-Seiten und -Gruppen, die von Personen aus den verschiedensten Ländern geführt und genutzt werden und die zur Diskussion von Umweltthemen anhand von Artikeln, Videos und Links dienen. A. M. Schwencke spricht daher in Anlehnung an Olivier Roy von einem „Globalized Eco-Islam“.

Die Themen reichen beim bereits erwähnten Blog www.theecomuslim.com der Britin Zaufishan Iqbal beispielsweise von ökologischer Halal-Ernährung, inklusive Rezepten, über ethische Mode, Öko-Moscheen bis hin zu Rezensionen von Büchern zu Umwelt-Themen und Berichten zu nationalen und internationalen Entwicklungen.

Ihren Blog betitelt sie mit „the eco-jihadTM Enviro-news, halal living and eco-lifestyle from UK”. Beim so genannten „Öko-Dschihad“ spielt sie im Kampf für eine gesunde Umwelt mit den westlichen Assoziationen zum Begriff „Dschihad“.

Grundlagen des islamisch motivierten ökologischen Verhaltens

Der Gründervater der islamischen Öko-Theologie ist der in Iran geborene Philosoph Seyyed Hossein Nasr, der schon im Jahr 1967 das Werk „Man and Nature. The Spiritual Crisis of Modern Man“ veröffentlichte und damit seiner Zeit weit voraus war.

Der Koran und die Hadith-Werke sind die Grundlagen der islamischen Umweltethik. Die Bewahrung von Natur und Schöpfung, das heißt insbesondere der Flora, Fauna und des Wassers, stellt bei dieser Auslegung eine der wichtigsten Pflichten der Muslime dar. Dem Wasser wird im Islam eine sehr große Rolle beigemessen, da es als Ursprung allen Lebens gilt, die Grundlage des Lebens darstellt und darüber hinaus von wichtiger Bedeutung für die rituelle Reinigung der Muslime ist.

Es gibt mehrere Überlieferungen des Propheten Muhammads, die belegen, dass er zur Sparsamkeit mit Wasser mahnte und die Verschmutzung von Wasser verbot. Die Schöpfung dient in ihrer Gesamtheit dazu, Gott zu preisen, und alle Einzelteile der Erde werden als Zeichen Gottes (arab. ayat) wahrgenommen.

Dies bedeutet, dass die Präsenz Gottes allgegenwärtig ist, was impliziert, dass die Natur allein um Gottes Willen geschützt werden sollte. Zudem wird die Natur als Gesamtheit sich gegenseitig ergänzender Elemente gesehen.

Neben der Lobpreisung Gottes hat also jeder einzelne Bestandteil der Natur eine Rolle und Aufgabe innerhalb der Schöpfung, die für das Funktionieren der Erde von Bedeutung ist, was zu einer gegenseitigen Abhängigkeit aller Dinge führt.

Gläubige lesen im Koran; Foto: picture-alliance/dpa
Der Koran und die Hadith-Werke des Propheten Mohammad fordern die Gläubigen auf, verantwortungsbewusst mit der Schöpfung umzugehen.

Die Tiere stehen in der islamischen Schöpfungsordnung unter dem Menschen, da dieser im Gegensatz zum Tier über einen Verstand verfügt und zwischen Glauben und Unglauben unterscheiden kann.

Der Schutz von Tieren ist im Islam von großer Bedeutung, was eine Zahl von Hadithen belegt. Ein geliebtes Tier des Propheten Muhammads war insbesondere die Katze. Eine Überlieferung besagt, der Prophet habe seinen Ärmel abgeschnitten, als ein Kätzchen darauf schlief, da er sich zum Gebet erheben wollte.

Auch die Pflanzen spielen eine wichtige Rolle im Islam. Sie sind Nahrung für die Menschen und Tiere (Sure 80, Vers 24-32) und dienen dem Menschen für die notwendige Sauerstoffbildung. Das Pflanzen eines Baumes gilt als besonders verdienstvoll im Islam und so gibt es einen Hadith, der aussagt, dass jeder Muslim, der einen Baum pflanzt, für jedes Tier oder jeden Menschen im Jenseits belohnt wird, der von diesem Baum isst.

Zudem gibt es Institutionen des islamischen Rechts, die den Naturschutz in bestimmten Gebieten sicherstellen, so z. B. in den harim und hima Gebieten, bei denen es sich um Schutzzonen, ähnlich Naturschutzgebieten, handelt, die Wasserressourcen, Waldflächen und Weideland schützen.

Im islamischen Weltbild steht der Mensch im Mittelpunkt der Schöpfung, was gemäß einer islamischen Umweltethik zwar bestimmte Rechte, jedoch gleichermaßen Pflichten mit sich führt. Wenn man von einem Konzept der islamischen Umweltethik sprechen möchte, so basiert dieses meist auf verschiedenen koranischen Prinzipien, die im ökologischen Sinne interpretiert werden.

Die sechs folgenden Prinzipien gehören neben dem Prinzip der Genügsamkeit und Enthaltung und dem der Gerechtigkeit (arab. ‘adl) zu den am häufigsten angeführten Prinzipien und dienen dazu, das menschliche Handeln in Grenzen zu halten:

1. Einheitsprinzip(tauhid): Das Prinzip des tauhids weist im Rahmen der islamischen Öko-Theologie drei Bedeutungsebenen auf. Zum einen bezeichnet es die monotheistische Einheit Gottes im Vergleich zum Polytheismus und der Götzenanbetung in vorislamischer Zeit, zum anderen die Eineinigkeit Gottes im Gegensatz zur christlichen Trinitätslehre, gegen die sich der Koran ausspricht, und drittens drückt es die Einheit Gottes mit der gesamten Schöpfung aus.

Blume sprießt aus einem Baumstamm; Foto: FARS
Das Schöpfungsprinzip (fitra) ist eines der koranischen Prinzipien, welches im ökologischen Sinne interpretiert wird: "Im islamisch-ökologischen Diskurs wird unter der fitra der ursprüngliche Zustand der Schöpfung bzw. die ursprüngliche Natur der Dinge verstanden. In erster Linie beinhaltet dies den natürlichen Zustand des Menschen in Harmonie mit der Natur. Daraus wird die Notwendigkeit und Pflicht des Menschen für Umweltschutz abgeleitet."

Diese Einheit der Schöpfung bringt zum Ausdruck, dass alle Dinge der Welt ein Teil der Schöpfung sind und miteinander in Beziehung stehen, wodurch die gesamte Welt bedeutsam, wertvoll und schützenswert wird. Zudem lautet die Argumentation, dass der tauhid die Anerkennung Gottes als einzigen und alleinigen Herrn allen geschaffenen Seins ausdrücke, was dazu führt, dass jedes einzelne Geschöpf mit Gottesfurcht behandelt werden müsse.

2. Schöpfungsprinzip(fitra): Im islamisch-ökologischen Diskurs wird unter der fitra der ursprüngliche Zustand der Schöpfung bzw. die ursprüngliche Natur der Dinge verstanden. In erster Linie beinhaltet dies den natürlichen Zustand des Menschen in Harmonie mit der Natur. Daraus wird die Notwendigkeit und Pflicht des Menschen für Umweltschutz abgeleitet.

Fazlun Khalid argumentiert beispielsweise, dass die Menschen früher in einem natürlichen Zustand der fitra gelebt hätten und ganz unbewusst innerhalb der natürlichen ungeschriebenen Grenzen gelebt hätten. Dies habe sich aber im Rahmen der Industrialisierung geändert. Zwar hatten die Menschen früher die gleichen negativen und positiven Attribute wie heute, jedoch sei die Neigung zu guten oder schlechten Handlungen von der natürlichen Ordnung in Grenzen gehalten worden.

So hinterließen die früheren Zivilisationen keine endgültige Spur, wie Schadstoffe, zerstörende Gifte oder radioaktiven Müll. Dies zeigt, dass die Verantwortung der Menschen in der heutigen Zeit noch größer ist als früher, da die Möglichkeit zu einer wahrhaftigen Zerstörung der Natur in Vielzahl gegeben sei. Ein Ziel ist es also, den Zustand der fitra wieder herzustellen und die Erde zu erhalten.

3. Statthalterschaftsprinzip(khilafa): Der Mensch nimmt auf der Erde die Rolle des Statthalters bzw. Treuhänders (arab. khalifa) ein. Dies beinhaltet, dass dem Menschen von Gott die Verantwortung für die Schöpfung übertragen und ihm die Erde anvertraut wurde, in deren Dienst Gott ihn stellte.

Er ist also nicht Besitzer oder Herr der Erde, da diese Position Gott vorbehalten ist, er nimmt jedoch trotzdem einen wichtigen Platz in der Schöpfungsordnung ein. Die islamisch-ökologische Bewegung ruft dazu auf, die Rolle des Statthalters zu erfüllen und sich nicht länger die Natur zu unterwerfen.

4. Verantwortungsprinzip(amana): Sehr eng mit dem Prinzip der khilafa verbunden, ist die amana, die für die Erfüllung der Verantwortung in allen Dimensionen des Lebens steht. Es handelt sich um die Verantwortung, die der Rolle des Statthalters innewohnt und die der Mensch annahm, als Gott ihm diese anbot. Typischerweise wird hier die Koranstelle herangezogen, die beinhaltet, dass Gott den Himmeln, der Erde und den Bergen die Verantwortung anbot, jedoch weigerten sich diese und fürchteten sich davor, sie auf sich zu nehmen.

Daraufhin willigte der Mensch in die Übernahme der Verantwortung ein (Sure 33, Vers 72). Gewissermaßen ist die amana eine Einschränkung der Statthalterschaft und eine moralische Bürde. Die erhöhte Position des Menschen liegt demnach im Rahmen einer islamischen Umweltethik nicht in höherer Macht und Herrschaft über die Geschöpfe, sondern vielmehr in der Rechenschaftspflicht, die allein der Mensch vor Gott hat.

5. Dienerschaftsprinzip(‘ubudiyya):Das Prinzip der Dienerschaft drückt den Status des Menschen als Diener Gottes (arab. ‘abd Allah) aus und komplettiert das Statthalterschafts- und Verantwortungsprinzip. Die Rolle des Sklaven schränkt die Macht des Menschen ein.

Regenwald im westlichen Kongobecken; Foto: picture alliance/ WILDLIFE
Die Folgen der globalen Konsum- und Vernutzungslogik auf Kosten der Umwelt: "All der Tee, den wir in der Welt trinken, kommt aus Gegenden, die einst unberührter Regenwald gewesen sind. Wie konnten wir das tun?", fragt Fazlun Khalid.

Die muslimischen Öko-Theologen verstehen darunter, dass die Muslime, in der Rolle der Diener Gottes, Gesetze einhalten müssen, einschließlich der Fürsorge für die Natur und das Ökosystem und dessen richtigen Umgang mit seinen Ressourcen.

6. Ausgewogenheitsprinzip(mizan): Der arabische Begriff mizan bedeutet Balance, Ausgewogenheit oder Waage, und in der islamischen Umweltethik wird er auch mit ökologischem Gleichgewicht oder einem Weg der Mitte übersetzt.

Das Prinzip fordert den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Balance auf der Erde, sowohl hinsichtlich der Harmonie in der Natur als auch im Bereich menschlicher Gerechtigkeit und Moralität im täglichen Handeln. Gott schuf die Erde und alles auf ihr perfekt und fehlerfrei und im Gleichgewicht, doch die Aufgabe der Menschen ist es, dieses aufrechtzuerhalten.

Probleme, wie beispielsweise die globale Erwärmung, Erdbeben oder der steigende Meeresspiegel, zeigen nach Ansicht der muslimischen Öko-Theologen, dass die Erde aus dem göttlichen Gleichgewicht geraten sei.

Ein islamischer Weg aus der Sackgasse Klimawandel?

Die Lösung für die Umweltprobleme liegt gemäß der islamischen Umweltethik in der Wiederbelebung von Spiritualität und Glaube. Dies heißt nicht, dass sie sich von Wissenschaft und Entwicklung distanziert, jedoch stellt sie sich gegen die Konsumgesellschaft und maßloses Verhalten.

Eine islamische Öko-Theologie ist kein monolithisches Gefüge und in Anbetracht dessen, dass der so genannte „Öko-Islam“ noch eine sehr junge Strömung ist, gibt es eine Vielzahl von Dimensionen und Interpretationen, die aber alle das Ziel des Umweltschutzes und der Bewahrung der Schöpfung gemeinsam haben.

Letztendlich vereint das Thema Umwelt und der Schutz der Erde auch die Anhänger verschiedener Religionen im gemeinsamen Kampf zur Erhaltung der Lebensgrundlage aller Lebewesen und erwies sich bereits als wichtiger Pfeiler in der interreligiösen Debatte. Zwar ist eine religiöse Herangehensweise alleine nicht in der Lage, die Probleme des Klimawandels zu lösen, sie kann jedoch zu einem Bewusstseinswandel beitragen.

Vor allem im Internet lässt sich ein wachsender islamisch-ökologischer Diskurs feststellen und es scheint, dass sich viele Muslime von der Tatsache inspirieren lassen, dass ihre eigene Religion umweltfreundliches Verhalten fordert und fördert.

Monika Zbidi

© Goethe-Institut e. V. Fikrun wa Fann 2013

Monika Zbidi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg und Promotionsstipendiatin der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit dem Thema Islam und Ökologie. Sie studierte Islamwissenschaft, Politische Wissenschaft und Semitische Philologie.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de