Eine Friedensalternative für Syrien
Die Organisation "Adopt a Revolution" hält sich bedeckt, vor allem in Berlin, wo die syrische Regierung eine Botschaft unterhält. Nicht ohne Grund: "Syrische Aktivisten, die hier leben, wurden in ihren eigenen Wohnungen bereits mehrfach brutal zusammengeschlagen", erklärt André Find, ein höflicher, leise sprechender Deutscher um die dreißig, der für "Adopt a Revolution" arbeitet.
Obwohl es keine Verhaftungen gab, sind politische Beobachter davon überzeugt, dass diese Angriffe das Werk syrischer Geheimdienste waren. Nicht weit entfernt von dem Berliner Stadtteil, in dem die NGO ihren Sitz hat, gibt es außerdem Clubs, in denen sich regelmäßig Anhänger der Hisbollah versammeln. Freunde des Assadregimes, sagt Find.
Darum bekomme ich erst einmal nur eine Telefonnummer und eine Adresse von "Adopt a Revolution" zugemailt, um mich mit den Organisatoren zu verabreden. Als ich André Find schließlich treffe, gehen wir gemeinsam in ein marodes Hinterhofbüro, wo mehrere junge Männer eifrig über ihre Laptops gebeugt sitzen.
Gewaltfreier Widerstand als Leitmotiv
Obwohl "Adopt a Revolution" die Lage ihrer Büros nicht öffentlich macht, arbeitet die Gruppe nicht im Geheimen. Auch unterstützt sie keine bestimmte politische Gruppierung, die heute in Syrien das Sagen haben. Nach ihrem Selbstverständnis befürwortet "Adopt a Revolution" den gewaltlosen Widerstand in Syrien, ganz im Geist der Opposition zu Beginn des Arabischen Frühlings in Syrien. Menschen wie Find – ein Onlineaktivist, der im kurdischen Nordirak gearbeitet hat – wurden vom Arabischen Frühling und anderen erfolgreichen, pazifistischen Revolutionen inspiriert, von Osteuropa bis hin zur "Occupy-Bewegung".
Wie, so frage ich ihn, kann es inmitten eines der konfliktreichsten Länder der Welt überhaupt gewaltfreien Widerstand geben? "Am Anfang waren Zehntausende gegen das Assadregime friedlich auf die Straße gegangen – ob Studenten, Intellektuelle und Familien", erklärt Find. "Das mag in der Medienberichterstattung über den Krieg inzwischen völlig untergegangen zu sein."
Anfang 2011 bildeten sich in fast jeder Stadt in Syrien örtliche Bürgerkomitees gegen das Regime. Ihr Ziel, erläutert Find, war die Etablierung eines säkularen, demokratischen Staates auf der Grundlage von Menschenrechten und rechtsstaatlicher Gesetze – ganz so, wie es auch ihre Gesinnungsgenossen vom Tahrirplatz in Ägypten forderten. "Aber es hat in Syrien seit 42 Jahren keine Zivilgesellschaft mehr gegeben", so Find. Diese Strukturen waren zu fragil und wurden laut Find durch den bewaffneten Kampf an den Rande gedrängt.
"Aber die Komitees und andere gewaltlose zivilgesellschaftliche Gruppen existieren bis heute und sind nach wie vor aktiv", sagt Find. "Ihre Streiks, Demonstrationen und kreativen Proteste sind äußerst wertvoll. Sie wollen ihr Land davor bewahren, dass es in Folge von sektiererischen Kleinkriegen verfällt. Unsere Organisation "Adopt a Revolution" unterstützt all jene Kräfte, die eine Vertiefung des Bürgerkriegs nach dem Sturz des Regimes zu verhindern sucht."
Nach Darstellung Finds beteiligten sie sich auch an lokalen demokratischen Reformen, der Verteilung humanitärer Hilfe, der Bereitstellung medizinischer Angebote und der Förderung des Bürgerjournalismus.
Gegen radikal-islamische Strömungen
Zudem sind seit kurzem in Syriens nördlichsten Regionen Komitees gegen den wachsenden Einfluss radikaler Islamisten und Dschihadisten aktiv. In der Provinzhauptstadt Raqqa gibt es inzwischen Proteste gegen die Anwendung des islamischen Rechts. Und in Menbej, in der Provinz Aleppo, entwickeln Aktivisten Bildungsprogramme für Kinder, um sie von radikal-islamistischen Strömungen fernzuhalten.
Die Idee für "Adopt a Revolution" geht auf den deutschen Politikwissenschaftler Elias Perabos zurück, der durch das Land reiste, als im April 2011 der "Syrische Frühling" ausbrach, wie er ihn bezeichnet. Perabo entschied sich zu bleiben und den Aktivisten beim Aufbau eines Netzwerks von Kontakten in alle Welt zu helfen.
Im Herbst 2011 gründete Perabo zusammen mit syrischen und deutschen Aktivisten die Organisation. Ihr Ziel: die Unterstützung des gewaltlosen Widerstands und die Planung für eine demokratische Zukunft Syriens. Und dieses Ziel versucht "Adopt a Revolution" auch der internationalen Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Organisation sammelt im Ausland Gelder, um damit die lokalen Komitees in Syrien zu fördern.
Auf der Webseite von "Adopt a Revolution" kann man Lokalkomitees von Derlik im äußersten Nordosten des Landes bis nach al-Yadudah an der jordanischen Grenze auswählen, um sie mit Spenden finanziell zu unterstützen, aber auch Organisationen wie die "Union Freier Syrischer Studenten" in den Universitätsstädten Aleppo, Damaskus, Homs und Deir ez-Zor.
Jede Organisation erhält von "Adopt a Revolution" monatlich zwischen 650 und 950 Euro. Die Spender erhalten regelmäßig detaillierte Berichte über die Aktionen der von ihnen geförderten Gruppen.
Spenden für Graswurzelrevolutionäre
"Alle unsere Spender sind Privatleute", sagt Find. "Wir wollen den Vorwürfen der syrischen Regierung keinen Vorschub leisten, dass der Aufstand von irgendwelchen ausländischen Regierungen finanziert wird."
Die Gelder werden hauptsächlich für IT- und Kommunikationsausrüstungen verwendet, in einem Vorort von Damaskus wurde eine kommunale Suppenküche finanziert. Kuriere bringen die Gelder zu den Aktivisten, die vor Ort die nötigen Einkäufe tätigen.
Die positive Resonanz auf die Initiativen der Organisation in Syrien überraschte sogar ihre Gründer selbst. Zurzeit gibt es 2.500 regelmäßige Spender, die im vergangenen Jahr rund 500.000 Euro an die Graswurzelrevolutionäre geschickt haben sollen.
Angesichts der eskalierenden Gewalt im syrischen Bürgerkrieg kämpfen viele Bürgerkomitees ums nackte Überleben. "Manche von ihnen arbeiten am Limit, weil inzwischen so viele Menschen das Land verlassen haben", erklärt die Anwältin Christine Schweizer von der Hamburger Friedensorganisation "Bund für soziale Verteidigung", die auch im Beirat von "Adopt a Revolution" vertreten ist. "Wir versuchen ständig neu zu beurteilen, was funktioniert, was nicht, und wie wir weiterkommen können."
Fairer Umgang mit Aktivisten und Flüchtlingen gefordert
André Find, der kürzlich von einer Reise aus Syrien und der türkisch-syrischen Grenzregion zurückgekehrt ist, glaubt, dass "die EU-Mitgliedstaaten wesentlich bessere Möglichkeiten hätten, den Aufstand zu unterstützen, anstatt die Oppositionskräfte mit Waffen zu versorgen." Vor allem sollten sie sich auf "die Verbesserung humanitärer Hilfe und insbesondere auf Hilfeleistungen für die Binnenflüchtlinge" konzentrieren. Es gebe noch viele Wege, um "unbewaffnete Aktivisten zu fördern – sowohl in Europa als auch in Syrien", so Find.
Kritisch sieht die Organisation "Adopt a Revolution" auch, wie in Deutschland mit syrischen Aktivisten und Flüchtlingen umgegangen wird. Um in Deutschland bleiben zu können, müssen sie ein langwieriges Bewerbungsverfahren für politisches Asyl durchlaufen und dann mindestens sechs Monate lang in einem Asylbewerberheim wohnen. Syrische Studenten, deren Antrag auf Verlängerung ihres Ausweises von der syrischen Botschaft in Berlin abgelehnt wird, müssen ebenfalls an diesem Asylverfahren teilnehmen, um sich weiterhin im Land aufhalten zu dürfen.
"In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen ist es dringend nötig, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Das ist etwas, was die deutsche Regierung leicht bewerkstelligen könnte", findet Find.
"Wir möchten den Menschen helfen, die sich für eine säkulare Zivilgesellschaft in ihrer Heimat einsetzen, eines Tages ihren eigenen Staat gründen zu können", fährt Find fort. "Sie haben so viel riskiert, dass es kein Zurück mehr für sie gibt. Sie sind die Zukunft eines demokratischen Syriens."
Paul Hockenos
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Übersetzung aus dem Englischen von Jonas Berninger