Gemeinsam tanzen
Die Musik pumpt, der Schnaps fließt und die syrischen Flüchtlinge versuchen, die Vergangenheit für einen Moment aus den Köpfen zu bekommen. Im Rhythmus arabischer Beats tanzen sie einen traditionellen Kreistanz aus dem Nahen Osten. Einer von ihnen stützt sich auf Krücken, weil ihm ein Bein fehlt - er ist ein Kriegsopfer. Viele hier haben großes Leid gesehen und lange Fußmärsche hinter sich gebracht. Jetzt, da sie ihre Reise beendet haben, ist es Zeit zum Feiern.
"Ich fühle mich hier wirklich sicher", sagt der Syrer Ali vor dem Berliner Nachtclub Bi Nuu, in dem die Arab-Beats-Partys veranstaltet werden. "Aus Syrien kam ich nach Istanbul – und ich kannte dort niemanden. Dann kam ich hierher - und jetzt das alles", sagt er mit Blick auf die Feier. "Ich will nur Sicherheit. Ich bin ein friedlicher Kerl und mache keine Probleme."
Kriegstraumata vergessen
Die Atmosphäre bei Arab Beats erinnert an Berlin in den 1990er Jahren, als sich eine andere Gruppe von Geflüchteten in den Clubs und Bars der Stadt versammelte, um ihre Kriegstraumata mit Musik und Tanz zu vergessen: Bosnier aus Ex-Jugoslawien. Wie damals die Bosnier, treten heute die Syrer an, das Nachtleben Berlins zu verändern.
Kein Wunder, dass mit Robert Soko ein Mitorganisator der Arab Beats damals auch Schöpfer von Balkan Beats war. 1990, zwei Jahre vor dem Krieg in Bosnien, war der heute 49-Jährige im Alter von 19 Jahren nach Berlin gezogen. Er wurde Taxifahrer, mit anderen Ex-Jugoslawen hing er damals in einer Kreuzberger Punkbar ab - einem beliebten Treffpunkt "von Linken, Hausbesetzern, wenig beachteten Künstlern, Alkoholikern und anderen Wahnsinnigen", wie er sich erinnert.
Dort spielte Soko Kassetten mit "Jugo-Punk" und New Wave ab und musste im Gegenzug nicht fürs Bier zahlen. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda wurden die Partys bald immer größer. Robert Soko fügte "Gypsy-Musik" hinzu, und bald tauchten auch immer mehr Deutsche auf, bis er irgendwann im Kreuzberger Lido vor Hunderten Menschen spielte und seine Partyreihe bald in die ganze Welt exportierte – von London bis Tokio.
Ein menschlicher Impuls
Inzwischen arbeitet Robert Soko mit dem aus Sarajevo stammenden niederländischen Filmemacher Sergej Kreso an einem Film, für den Kreso Aufnahmen bei Arab Beats macht und DJs sowie Tänzer filmt. Während er an dem Projekt gearbeitet habe, hätten sich die Umstände in Berlin und Europa verändert, sagt Kreso. "Als ich anfing, gab es das große Problem mit den Flüchtlingen. Viele Leute liefen buchstäblich durch den Balkan, auf der gleichen Route wie Robert Soko und ich damals."
Robert Soko sagt, er identifiziere sich mit Menschen in schwierigen Situationen, "mit Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und auf der Suche nach einer besseren Zukunft sind". Das sei der natürlichste menschliche Impuls. "Und ich heiße diese Menschen willkommen, all diese Menschen", so Soko.
"Achtung Hafla"
Seit etwa vier Jahren gibt es in Berlin eine Vielzahl von arabischen Partys, sie heißen "Achtung Hafla", "Flying Arabs" oder "Arab Song Jam" - eine wöchentliche, sehr beliebte arabische Jamsession in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln.
Arab Beats ist die jüngste Partyreihe, die sich nicht nur an syrische und arabische Flüchtlinge richtet, sondern auch das deutsche und internationale Publikum ansprechen soll. Uros Petkovic ist einer der DJs bei Arab Beats. Der gebürtige Serbe kam 2016 aus Belgrad nach Berlin und ist Sokos Partner beim Balkan Beats Sound System.
Kein Kitsch, sondern modern und cool zugleich
"Wir wollen elektronische, Berliner DJ-Sets mit eindeutig arabischem Schwerpunkt machen", sagt Petkovic. "Nicht diese kitschige arabische Disco, sondern wirklich im Berlin-Stil, modern und cool." Petkovics Partner an der DJ-Konsole ist Rafi Gazani, ein extravaganter, halb-syrischer, halb-palästinensischer Ingenieur, der nun in Berlin als DJ lebt und arbeitet. "Ich kam aus der Golfregion und entdeckte meine kreative Seite", sagt Gazani. "Also fing ich an, in meiner Seele zu graben." Arabische Musik sei der vom Balkan sehr ähnlich. "Es ist, als ob beide irgendwie miteinander verbunden sind."
Eine weitere Parallele zum Beginn der 1990er Jahre ist das politische Klima: Wie damals, als rechte Parteien wie die Republikaner durch das Schüren von Ängsten vor Flüchtlingen Erfolge in der Öffentlichkeit erzielten, zieht heute die AfD Profit aus dem Schicksal der größtenteils syrischen Menschen.
"Es geht immer nur um die Migration auf diesem Planeten", meint Soko. "Wir alle migrieren ständig, so ist Menschheit auf diesem Planeten nun mal definiert. Das ist eine unendliche Geschichte." Veränderungen seien dabei ganz normal. "Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Wir tanzen."
Robert Rigney
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