Alltag in der Diktatur
Wannous' Protagonisten sind unauffällige Durchschnittsbürger. Keiner von ihnen zeichnet sich durch eine besondere Begabung aus. Es sind Menschen, wie sie überall auf der Welt leben, verstrickt in ihre Alltagssorgen und kleinen Sehnsüchte. Doch das politische System, das sie umgibt und das durch Korruption, Einschüchterung und Ausgrenzung Andersdenkender bestimmt ist, verlangt von ihnen täglich aufs Neue ein hohes Maß an Anpassung und Stillhalten.
In ihrem für die deutsche Ausgabe geschriebenen Vorwort sagt Wannous über die damalige Zeit: "Wir haben vergessen, dass das Leben leer war, dass wir schliefen, um aufzustehen, und aufstanden, um den Tag hinter uns zu bringen … wir lebten, als seien wir angekettet…" Die Revolution vom Frühjahr 2011 habe – so "bitter" die Erfahrungen auch waren und so entsetzlich die Folgen bis heute seien – eine "Mauer des Schweigens" durchbrochen und längst vorhandene "Risse" in der Gesellschaft sichtbar gemacht.
In ihren Geschichten sind bereits "dunkle Wolken" über Damaskus und das Land aufgezogen. Die Bedrohung ist jedoch indirekter Natur, von militärischer Gewalt oder einem blutigen Bürgerkrieg, wie es heute der Fall ist, ist nichts zu spüren. Die Menschen leben vor allem auf sich selbst bezogen "in ihren eigenen vier Wänden, ohne zu wissen, was dahinter vor sich" geht, wie es im Vorwort heißt. Als wollte die Autorin diese – im Kern ungesunde – Normalität betonen, lässt sie ihre Geschichten meist am frühen Morgen beginnen, einer unspektakulären stillen Tageszeit, zu der die Menschen üblicherweise ihr Bett verlassen und sich für die Arbeit rüsten.
Porträts gewissenloser Karrieristen
Doch trotz dieser vorherrschenden Unaufgeregtheit besitzen ihre Helden vom ersten Moment an Farbe und Kontur. Das liegt vor allem daran, dass die Erzählerin sie nicht schont und einen ironisch entlarvenden Blick auf sie richtet, so dass die Porträts oft parodistisch überzeichnet sind, ja mitunter bis zur Groteske verzerrt erscheinen.
Dschaafar, ein treuer Staatsdiener des Assad-Regimes, dem nach jahrzehntelangem Dienst gekündigt wird, muss einsehen, dass seine Machtposition, "die sogar die Staubkörnchen in der Straße dazu zwangen, ehrfürchtig zu erzittern", dahin ist. Doch er ist gerissen und weitsichtig und so beginnt er sich neu zu orientieren und besucht schon am Tag seiner "Absetzung" einen Oppositionellen, um sich für die Zukunft zu rüsten und rechtzeitig auf den fahrenden Zug aufzuspringen.
Auch Maha, eine Zeitungsredakteurin, die eines Morgens zur Abteilungsdirektorin ernannt werden soll, wird uns nicht sympathisch. Sie hat sich ihren Aufstieg durch beharrliches Schweigen und rigorose Anpassung an die Chefetage erkämpft. Die Erzählerin zeichnet – auch äußerlich – ein drastisches Bild von ihr: "Ihre Haut war durchscheinend und weiß wie Schnee, aber mit so groben Poren, dass sie an Bierschaum erinnerte, der beim Hinauspusten Blasen wirft."
Maha muss einsehen, dass sie als Direktorin niemals frei sein wird und dass ihre zukünftige Arbeit "schmerzliche Kompromisse" von ihr verlangen und sie vor allem "die weise Politik der Regierung zu verteidigen" haben werde.
Bekenntnisse über das Elend des Daseins
Wannous versammelt einen ganzen Reigen von Porträts gewissenloser Karrieristen, postengeiler Angestellten, Taktierer und Profiteure. Daneben jedoch stehen Geschichten von Menschen, die keine Macht haben, die die Wirklichkeit aus anderer Perspektive erleben und kein Blatt vor den Mund nehmen müssen. So bekennt Samih, der stets gut gelaunte Taxifahrer, das Elend seines Daseins freimütig und verwickelt seine Kunden gern in heikle politische Gespräche, in denen er sie mit provozierenden Fragen löchert.
Der Chauffeur Mohammed muss in einem Luxus-BMW eine wohlhabende Dame von Damaskus nach Bagdad und wieder zurückfahren, damit sie im Duty-free-Shop für tausend Dollar unsinnig teures Parfüm und Schmuck einkaufen kann. Mohammed gerät auf dieser Fahrt in eine Art Rauschzustand, ihm schwindelt von all den Luxusartikeln und exklusiven Parfümdüften, ehe er am Abend in die fensterlose Baracke zu seiner Frau und seinen sechs hungerleidenden Kindern zurückkehrt.
Dima Wannous ist eine Meisterin der leisen Töne und eine minutiöse Beobachterin unterschwelliger gesellschaftlicher Veränderungen. Sie versteht es, "die Gedankenwelt der Figuren vor uns auszubreiten", wie die Übersetzerin Larissa Bender im Nachwort feststellt.
Es ist vor allem die sinnliche Sprache, die ungewöhnlichen Bilder und neuartigen Vergleiche, die diese stilistisch anspruchsvollen Erzählungen zum Genuss machen. Sie handeln von einer Wirklichkeit, die von "Kälte und Härte" geprägt ist und die jenen "bitteren Erfahrungen" unmittelbar vorausging, die das syrische Volk seitdem erleiden musste.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2015
Dima Wannous: "Dunkle Wolken über Damaskus", Erzählungen, Aus dem Arabischen von Larissa Bender, Edition Nautilus, November 2014, ISBN 978-3-89401-796-5