Prozess gegen Mada Masr-Journalistinnen
Der ägyptische Staat gegen Mada Masr: An diesem Dienstag (07.03.) soll in Kairo der Prozess gegen drei Journalistinnen des Online-Magazins beginnen. Mada Masr ist eine der letzten unabhängigen Nachrichtenseiten und zugleich eines der bekanntesten ägyptischen Magazine: Für seine investigative Berichterstattung ist Mada Masr auch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt.
"Wir wissen nicht, was uns erwartet", sagt die Chefredakteurin von Mada Masr, Lina Attalah, vor dem Prozess im Interview mit der Deutschen Welle (DW). Die betroffenen Teammitglieder seien "ruhig und gelassen, zugleich aber auch in Sorge. Noch bevor das Urteil gefallen ist, werden wir von unserer Arbeit in der Redaktion abgehalten", sagt sie. Mada Masr wolle eigentlich nur berichten, gar nicht selbst Gegenstand von Berichterstattung sein - doch dieses Prinzip werde durch den Prozess faktisch verändert. "Dabei wollen wir einfach nur unsere Arbeit machen können."
Missliebige Recherche über Korruption
Der Fall geht zurück auf den August vergangenen Jahres. Damals hatte Mada Masr eine Geschichte über Korruption in einer ägyptischen politischen Partei ("Zukunft der Nation") veröffentlicht. Die Partei unterstützt den seit 2014 amtierenden Staatschef Präsident Abdel-Fattah al-Sisi.
Three Mada Masr journalists are to face trial in early March on charges of “offense against MPs” from the state-aligned Nation’s Future Party and of “misusing communications channels.” [1/5] pic.twitter.com/aAa7fIlNsV
— Mada Masr مدى مصر (@MadaMasr) February 28, 2023
Mitglieder der Partei wären durch "grobes finanzielles Fehlverhalten" in einen staatlichen Korruptionsfall verwickelt, hieß es in dem damals veröffentlichten Text. Parteimitglieder und -anhänger legten daraufhin Hunderte von Beschwerden ein. Daraufhin luden ägyptische Staatsanwälte die vier Journalistinnen von Mada Masr zum Verhör.
Attalah und drei der Autorinnen des Artikels - Rana Mamdouh, Sara Seif Eddin und Beesan Kassab - wurden wegen Verleumdung und Diffamierung von Parteimitgliedern angeklagt. Nach einem ersten Verhör wurden die vier Journalistinnen zunächst auf Kaution freigelassen.
Kurze Zeit später sah sich Attalah einer weiteren Anklage gegenüber, sie hätte ohne Genehmigung eine Webseite betrieben. Dabei habe sie bereits 2018 einen entsprechenden Antrag gestellt, jedoch nie eine Antwort von den zuständigen Behörden erhalten, so Attalah. Das ägyptische Gesetz sieht vor, dass die Regulierungsbehörden einen Antragsteller kontaktieren müssen, wenn seine Lizenz abgelehnt wird.
Reporter ohne Grenzen besorgt
"Al-Sisis Regierung hat keine Mühen gescheut, um Mada Masr zum Schweigen zu bringen", sagt Jonathan Dagher, Leiter der Nahost-Abteilung der Medienrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG), gegenüber der DW. Die Journalistinnen von Mada Masr hätten weder verhört noch verhaftet werden dürfen, so Dagher. "Und sie sollten nicht dafür angeklagt werden, dass sie ihre Arbeit machen, die Öffentlichkeit zu informieren."
Die Organisation sei äußerst besorgt, wie der Prozess in der nächsten Woche ausgeht, sagt Dagher. Sollten die Journalistinnen für schuldig befunden werden, könnten sie im schlimmsten Fall zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 ägyptischen Pfund (knapp 9200 Euro) verurteilt werden.
"Prozesse gegen Journalisten in Ägypten entsprechen in der Regel nicht den internationalen Justizstandards ", betont Dagher. "Deshalb sitzen derzeit 25 Journalisten in Ägypten hinter Gittern. Mehrere von ihnen wurden in politisierten Prozessen verurteilt und später wegen lächerlicher Anschuldigungen für schuldig befunden."
Im jährlichen Index von Reporter ohne Grenzen über Pressefreiheit steht Ägypten derzeit nur auf Platz 168 - von 180 Plätzen insgesamt.
Praktisch alle Medien stünden unter direkter Kontrolle des Staates, der Geheimdienste oder einer Handvoll millionenschwerer und einflussreicher Geschäftsleute mit Verbindungen zur politischen Elite, heißt es in einem Dossier der Organisation zu Ägypten aus dem Jahr 2022. "Unabhängige Medien werden zensiert und von Staatsanwälten ins Visier genommen. Medien, die sich weigern, sich der Zensur zu unterwerfen, werden blockiert, wie im Fall der unabhängigen Nachrichtenseite Mada Masr, die seit 2017 in Ägypten nicht mehr zugänglich ist." Nur jenseits der Landesgrenzen ist die Seite abrufbar.
Allerdings sind Beträge von Mada Masr in Ägypten trotz der Sperrung teils über andere Kanäle und soziale Medien abrufbar. In Ägypten ist das Magazin auch mit Hilfe von spezieller Anti-Zensur-Software erreichbar.
Menschenrechtler in Haft
Der Prozess gegen Mada Masr sei nur das jüngste Beispiel für gerichtliche Schikane, sagte Hossam Baghat, Exekutivdirektor der Menschenrechtsorganisation "Egyptian Initiative for Personal Rights“ (EIPR). Der Aktivist und Journalist weiß, wovon er spricht: Er selbst wurde auf Grundlage der gleichen Gesetze verfolgt, die die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Mada Masr bemüht. Seit 2016 ist es Baghat untersagt, das Land zu verlassen. EIPR selbst sehe sich derzeit drei Strafverfahren gegenüber, so Baghat.
Die Menschenrechtslage in Ägypten verschlechte sich unterdessen weiter, sagt Baghat. Dies sei auch eine Folge der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27) vom November letzten Jahres.
Während der Klimakonferenz im ägyptischen Urlaubsort Sharm El-Sheikh hatten europäische Diplomaten bessere Menschenrechte und größere Pressefreiheit in Ägypten gefordert. Während der Konferenz trat einer der bekanntesten Aktivisten des Landes, Alaa Abdel-Fattah, in den Hungerstreik. Hoffnungen auf seine Freilassung wurden jedoch enttäuscht: Abdel-Fattah blieb in Haft. Engagement und internationaler Druck reichten nicht aus, um seine Freilassung zu bewirken.
Die Regierungen weltweit hätten mehr tun können, um Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben, damit sie ihn freilässt", sagte Dagher von Reporter ohne Grenzen. "Wir sind enttäuscht, dass die internationale Gemeinschaft nicht alles getan hat, um seine Freilassung zu erreichen."
Insgesamt habe sich Situation nach der COP27 sogar noch verschlechtert, sagt Baghat. "Mehr Menschen werden verhaftet, mehr Webseiten blockiert, und es gibt jetzt auch noch mehr juristische Schikanen", so Baghat. Bereits zuvor waren auch Blogger verhaftet worden.
Deutschland könnte mehr tun
Auch deutsche Regierungsvertreter, die an der COP27 teilnahmen, hatten sich seinerzeit kritisch zur Menschenrechtslage in Ägypten geäußert. Im vergangenen Dezember ernannte das deutsche Auswärtige Amt Lina Attalah zudem zu einer der Preisträgerinnen des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreises 2022.
Die ägyptische Regierung hat Deutschland deshalb Einmischung in die inneren Angelegenheiten vorgeworfen. Im vergangenen Monat erhielt Luise Amtsberg, die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, seitens Ägypten die Mitteilung, dass ihr kein Visum für einen geplanten Besuch in dem Land erteilt werde.
"Deutschland nimmt das alles hin", klagt Baghat. Dabei ist Deutschland der zweitgrößte Handelspartner Ägyptens in Europa mit einem Handelsvolumen von rund fünf Milliarden Euro, Tendenz steigend. Zudem existieren viele weitere Beziehungen zwischen den beiden Ländern, unter anderem in Form von Krediten und umfangreichen, wenn auch umstrittenen deutschen Waffenverkäufen.
"Die deutsche Regierung könnte sehr viel mehr tun, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten vorzugehen", meint Baghat. Wenn Deutschland zudem Preise wie den Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis an die bald vor Gericht stehende Redakteurin Attalah vergebe, stehe es in noch größerer Verantwortung, sich gegen Menschenrechtsverstöße auszusprechen", so Baghat.
Wenn das Gerichtsverfahren beginnt, hofft Attalah auf mehr Unterstützung, sowohl lokal als auch international. "Ich wünsche mir einfach, dass jeder, der das Privileg hat, sich äußern zu können, und den nötigen Einfluss, sich gegen einen Prozess ausspricht, der die Pressefreiheit gefährdet", sagte sie.
Die DW hat die ägyptischen Behörden um eine offizielle Stellungnahme gebeten, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort erhalten.
© Deutsche Welle 2023
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.