Rappen für den Frieden?
Anat Halachmi ist müde, sie ist erst seit wenigen Stunden in Amsterdam. Der Flug von Tel Aviv war lang. Auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival im vergangenen Dezember hat sie ihren Film "Channels of Rage" zum ersten Mal einem europäischen Publikum vorgestellt. Vielleicht ist die junge Israelin aber auch erschöpft von ihren vielen Dreharbeiten, die sich über drei Jahre hingezogen haben.
"Channels of Rage" erzählt die Geschichte von Subliminal und Tamer – zwei 24jährigen Musikern in Israel, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt leben, doch durch so vieles getrennt sind: durch den Glauben, die Politik, ihre Herkunft. Subliminal stammt aus einer zionistisch-jüdischen Familie, Tamer ist arabischer Israeli aus Lod.
Doch eines haben beide gemeinsam: ihre Rapmusik. Rhythmische Sprechgesänge, die das Lebensgefühl einer jungen Generation weltweit ausdrücken und dadurch viele Jugendliche miteinander verbinden. Doch bei Tamer und Subliminal wird diese Gemeinsamkeit auf viele Proben gestellt.
Gemeinsame Botschaften
Vor vier Jahren wurde die Israelin Anat Halachmi auf Tamer durch einen Zeitungsartikel aufmerksam. "Ich war sehr überrascht, denn ich hatte noch nie zuvor von arabischen Rappern gehört, dabei bin ich selbst ein Fan von Rap und Hip-Hop."
Daraufhin suchte die Filmemacherin kurzerhand Tamer Nafer im arabischen Teil der israelischen Stadt Lod auf. Tamer, in der Rap-Szene auch als "T.N." bekannt, lebt in einem der heruntergekommenen Wohnblöcke.
Seinen Frust über die Lebensbedingungen der arabischen Bewohner in Israel verleiht er zusammen mit seinen Freunden in seinen Liedern Ausdruck. Doch Tamer bewundert ausgerechnet einen zionistischen Rapper, Subliminal, der seine Botschaften wiederum auf Hebräisch singt. "Da wusste ich, ich habe zwei Protagonisten für einen Film gefunden", sagt Anat Halachmi heute.
Und damit beginnt ihr Film, mit Subliminal und Tamer gemeinsam in einem Bus der Band. Ausgelassen singen sie zusammen vor Halachmis Kamera, lachen und scherzen miteinander. Kurze Zeit später besucht Tamer mit seinen Freunden ein Konzert Subliminals in einem israelischen Nachtclub in Tel-Aviv.
Er ist einer der wenigen arabischen Gäste, doch Subliminal und Tamer wollen an diesem Abend mit dem Lied "Living from day to day" dem Publikum zeigen, dass Israelis und Araber keine Gewalt mehr wollen. Und so heißt es in einem Songtext: "Already a thousand in the field, carry words like weapons, one more page to the paper, when will the struggle end. I have no other land. People, war is outside, only Hip-Hop will bring peace."
Harte Bewährungsproben
Doch der Friede wird brüchig. Im Herbst 2000 beginnt die zweite Intifada. Das Land wird von Gewalt-Demonstrationen und Anschlägen erschüttert – Nahrung für politische Extremisten und das vorläufige Aus jeglicher Friedensbemühungen. So werfen die Ereignisse auch ihre Schatten auf das Verhältnis zwischen Subliminal und Tamer: Ihre Freundschaft hält im Alltag der Intifada nicht stand.
Halachmi dokumentiert ebenfalls erste Antipathien und Beschuldigungen der beiden Protagonisten gegeneinander. So zeigt der Film bei einem Konzert Subliminals seine begeisterten israelischen Fans, die während der Musik "Tod den Arabern!" skandieren. Obwohl Subliminal, der selbst als extremer Zionist gilt, solche Sprüche nicht fördern will, hört Tamer im arabischen Gebiet von dem Konzert. Er wirft Subliminals Musik vor, den Hass gegenüber Araber zu schüren.
Und so verhält sich auch Tamer radikaler, gibt Interviews, in denen er Verständnis für Selbstmordattentäter zeigt und den Vergleich der israelischen Armee mit Verbrechen der Nazis nicht scheut. Anat Halachmi begleitet beide Rapper unabhängig voneinander und skizziert ihren Alltag in Zeiten des Konflikts.
Zu einem gemeinsamen Treffen der beiden kommt es - aufgrund der zunehmenden Gettoisierung und Abschottung der Siedlungen - sowieso nur noch selten. Und die Kamera zeigt zwei junge Musiker, die trotz der Bedingungen zwar noch Respekt voreinander haben, doch nicht mehr zueinander finden können. Es sind die Emotionen und die Ängste, die das Misstrauen schüren. Und Tamer und Subliminal scheinen darin gefangen zu sein.
Eine Art griechische Tragödie
Halachmi zeigt mit ihrem Film Grenzen auf. Sie balanciert zwischen politischen und gesellschaftlich-kulturellen Barrieren, Hoffnungen und Sehnsüchten. Der Fortgang des Films, den die Israelin mit einer Videokamera selbst gedreht hat, war nicht immer einfach – drei Jahre, mit vielen Höhen und Tiefen sowie Ungewissheiten, was aus der Freundschaft zwischen Tamer und Subliminal und damit auch ihrem Film wird.
Aber das Auf und Ab hat Halachmi überzeugend weiter dokumentiert. "Ich liebe komplizierte Filme. Es ist eben eine Liebes- und Hassbeziehung, wie eine griechische Tragödie. Doch sind sie trotzdem sehr miteinander verbunden", meint Halachmi, und das Publikum in Israel hat es ihr gedankt. Für das schwierige Experiment, eine Freundschaft, die sich am Rand der politischen Verhältnisse und des Terrors bewegt, so sensibel zu dokumentieren, hat sie auf dem Jerusalemer Film Festival 2003 den Wolgin Award für den besten Dokumentarfilm gewonnen.
Und Halachmi wird nicht müde, das Experiment weiter zu verfolgen – selbst wenn sie dabei eine "Anschubhilfe" leisten müsste. So hofft sie, die beiden Akteure Subliminal und Tamer wieder zusammenzubringen, vielleicht bei einer nächsten Preisverleihung oder bei einer nächsten Filmaufführung. Wenn das funktioniert, glaubt die junge Israelin, dann haben auch ihr Film und sein internationales Publikum dazu beigetragen.
"Die zentrale Frage im Film ist doch, ob Musik eine Lösung darstellen kann oder nicht. Ich glaube, dass die Frage noch lange nicht beantwortet ist. Ich habe den Film mit einem Song von Subliminal - mit dem Titel "Hoffnung" - beendet. Ein Lied, das jeder in Israel kennt. Ich habe das ganz bewusst gemacht, weil es auch eine Botschaft ist", meint Halachmi.
"Letztendlich wollen doch alle, egal ob Israelis oder Palästinenser, Araber oder Juden und auch Tamer und Subliminal, den Frieden. Sie wollen eine Zukunft, in der auch ihre Kinder und Familien nicht in Angst leben müssen, sondern in gesicherteren Verhältnissen leben als jetzt. Wir müssen daran arbeiten, aber leider haben wir nur schlechte politische Anführer."
Petra Tabeling © Qantara.de 2004
Channels of Rage. Dokumentarfilm (Hebräisch und Arabisch mit engl. Untertiteln) Regie: Anat Halachmi, Israel 2003, Länge: 72 Min.
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