Ein interner Kampf der Kulturen?

Kein Fernsehsender ist mit so viel Medienaufmerksamkeit auf Sendung gegangen wie im November 2006 die englische Variante von Al-Dschasira. Hat der Sender die Erwartungen erfüllt?

Von Stephanie Doetzer

​​Auch ein Jahr nach dem Start kommen fast täglich Journalisten aus der ganzen Welt angereist und betrachten, meist mit unverhohlener Bewunderung, den modernsten Newsroom der Welt.

Die erste Bilanz kann sich sehen lassen: Allein in der Zentrale in Doha arbeiten über 40 Nationalitäten. Rund 100 Millionen Haushalte werden erreicht. Das Feedback der Zuschauer, von Malaysia bis Mexiko, fällt überwältigend positiv aus – nur unter manchen Muslimen ist die Enttäuschung groß.

Denn Al-Dschasira auf Englisch ist anders als erwartet: International, aber kein bisschen islamisch. Kritisch, aber nicht wirklich kontrovers. Während der arabische Schwesterkanal gerade durch seine ungezähmte Berichterstattung zum Mythos wurde, will Al-Dschasira Englisch vor allem gefallen, am besten jedem.

Das könnte dem Sender zum Verhängnis werden, denn noch immer ist die Grundsatzfrage ungeklärt: Soll der englische Sender dem Westen die arabische Sicht auf die Welt erklären? Soll er das Sprachrohr des Südens sein? Soll er auf den Ruf des arabischen Senders aufbauen – oder lieber beweisen, dass Al-Dschasira nicht so schlimm ist wie die amerikanische Regierung behauptet?

Zwei Fraktionen

Al-Dschasira Englisch soll all das gleichzeitig, nur was davon am wichtigsten ist, darum wird hinter den Kulissen hart gekämpft.

Zwei Parteien stehen sich gegenüber: Für die erste ist Al-Dschasira Englisch in erster Linie ein internationaler Nachrichtensender, der sich an BBC und CNN orientiert, aber mehr als diese aus Ländern berichtet, die sonst oft vergessen werden. Das Ziel sind hohe Zuschauerquoten in Asien und Afrika.

Für die zweite Fraktion geht es um mehr: Al-Dschasira verkörpert für sie die Hoffnung, Menschen aufrütteln zu können, vor allem jene im Westen, deren Aufmerksamkeit durch die Mainstream-Medien von den wirklichen Themen weg hin zu Scheindebatten gelenkt würde.

Statt Stereotype zu bedienen, möchten sie Menschen aus Gaza, Beirut und Bagdad eine Stimme geben, Ursachen und Zusammenhänge erklären und damit die Welt ein bisschen besser machen.

Wer zu welcher Gruppe gehört, ist leicht herauszufinden, denn die Zugehörigkeit fällt oft mit der Herkunft der Mitarbeiter zusammen: Die Briten, die in Doha die Mehrheit stellen, fühlen sich von den Konflikten im Nahen Osten persönlich nicht betroffen und deshalb auch selten zur Weltverbesserung berufen.

Viele Araber dagegen sind angetreten mit dem Ziel, ihre Perspektive endlich auch denen zu erklären, die angesichts des Chaos im Nahen Osten nur den Kopf schütteln können.

Interne Kontroversen

Das deckt sich mit der Idee derer, die während der zweiten Intifada und des Irak-Kriegs eine englische Übersetzung des arabischen Programms gefordert hatten, damit die westliche Welt versteht, was unter Muslimen für so viel Wut sorgt. Doch mit einer einfachen Übersetzung ist es nicht getan:

"Um das Gleiche auszudrücken, braucht man andere Worte" sagt Ibrahim Helal, einer der Direktoren von Al-Dschasira Englisch. Deshalb verwendet der englischsprachige Sender ein anderes Vokabular als das Original – und stößt dadurch oft auf Ablehnung beim arabischen Sender von gegenüber, wo manche ihre Ideale verraten sehen und den englischsprachigen Kanal heute mit Misstrauen betrachten.

Dem Journalismus könnte die Kontroverse dennoch gut tun, denn in keiner Kantine wird unter Kollegen so leidenschaftlich diskutiert wie bei Al-Dschasira: Was ist islamistisch? Wer ist ein Widerstandskämpfer, wer ein Extremist oder gar Terrorist? Und wird man zum Märtyrer, weil ein Schuss daneben ging?

Kritik aus Ost und West

Die Definitionshoheit liegt allein in der Hand der Journalisten, der Emir von Katar ist zwar der einzige Geldgeber, hält sich aber inhaltlich heraus – vermutlich hoffend, der englische Sender möge Al-Dschasira von dem ebenso haltlosen wie hartnäckigen Vorwurf befreien, ein Sprachrohr der Terrorszene zu sein.

Bei diesem Thema echauffieren sich übrigens auch die Briten: Bush bekäme schließlich ungleich mehr Sendezeit als Bin Laden und Kritik hagele es komischerweise von der amerikanischen Regierung und Al Qaida gleichermaßen.

Steve Clark, Chefredakteur bei den Nachrichten, fällt die Verteidigung seines Senders nicht schwer: "Ich habe zwanzig Jahre lang fürs westliche Fernsehen gearbeitet, aber so freien Journalismus wie hier habe ich noch nie erlebt."

Journalistische Gratwanderung

Die journalistische Freiheit bewahrt Al-Dschasira Englisch jedoch nicht vor anderen Zwängen: Orientiert sich der Sender stärker an seiner legendären Schwester, liefert er zwar vielleicht das, worauf viele nicht arabisch sprechende Muslime warten, wird aber Schwierigkeiten haben, sich den nordamerikanischen Fernsehmarkt zu erschließen. Dort wagt bisher kein Kabelnetzbetreiber Al-Dschasira Englisch in sein Angebot aufzunehmen.

Setzt er sich noch stärker vom arabischen Sender ab als ohnehin schon, verliert er seine Glaubwürdigkeit bei all den Zuschauern, die einschalten, weil sie im Einheitsbrei der Massenmedien nach etwas Bissfestem suchen.

Erfolg bedeutet hier eine journalistische Gratwanderung – doch wenn sie irgendwo gelingen kann, dann bei Al-Dschasira.

Stephanie Dötzer

© Stephanie Dötzer

Qantara.de

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