Verstörender irakisch-jüdischer Schwanengesang
Schon der Untertitel dieser Sammlung stiftet bewusst einige Verwirrung: arabische Kurzprosa irakisch-jüdischer Autoren in Israel. Sprachliche, ethnische, nationale und religiöse Begrifflichkeit geht hier durcheinander und führt sich letztlich ad absurdum, da sie mehr verschleiert als erklärt.
Fünf Erzählungen, zwei von Shalom Darwish, drei von dem eine Generation jüngeren Samir Naqqash, stellt der von Angelika Neuwirth und Nesrine Jamoud herausgegebene Band vor. Beide Autoren wurden in Bagdad geboren und emigrierten 1950 bzw. 1951 nach Israel.
Nachdem es bereits 1941 im Irak zu anti-jüdischen Pogromen gekommen war, wurden nach der israelischen Staatsgründung 1948 die irakischen Juden endgültig als potenzielle Feinde angesehen. Die meisten verließen das Land im Zuge der großen Auswanderungswelle 1950.
Jüdisch-arabisch sein: eine "Krankheit"?
Als arabisch schreibende Autoren fanden sich Darwish und Naqqash zwischen allen Stühlen wieder. Da dem vorherrschenden Paradigma der Nationalstaatlichkeit entsprechend die israelische Literatur nur eine hebräische, die arabische Literatur wiederum keine jüdische sein durfte, erreichten sie weder das arabische noch das israelische Publikum.
"Beide kanonischen kulturellen und nationalen Systeme", so Reuven Snir, der arabische Literatur an der Universität Haifa lehrt, "das muslimisch-arabische und das jüdisch-zionistische, haben die hybride arabisch-jüdische Identität wie einen Fremdkörper abgestoßen und spielen nun eine so genannte 'reine' jüdisch-zionistische Identität gegen eine 'reine' arabisch-muslimische aus.
Jüdisch-arabische Kultur ist in diesem Szenario eine Krankheit, die unter Kontrolle gebracht werden muss, die wenigen noch infizierten Individuen müssen aus Furcht vor Ansteckung unter Quarantäne gestellt werden."
Damit werde, so Snir, eine anderthalb Jahrtausende währende Tradition "unter unseren Augen vernichtet".
Zynismus lindert Schmerz und Wahnsinn
Vor allem die Texte von Samir Naqqash entfalten eine derartige erzählerische Wucht und atmosphärische Dichte, dass sie sich wie der Schwanengesang dieser Tradition lesen.
Für den damals 13-jährigen Naqqash war die Übersiedelung nach Israel ein traumatisches Erlebnis, die Position als Außenseiter, die er Zeit seines Lebens nicht verlassen hat, äußerte sich in einem grenzenlosen Pessimismus, mit dem er in seinen Texten jedem Sinn, sobald er am Horizont erscheint, durch immer neue Wendungen entkommt.
Es geht um Macht und ihren Missbrauch, um Willkür und die Unmöglichkeit, ihr zu entkommen. Immer siegt der Stärkere, dem Schwachen bleibt das Hadern mit Gott, das jedoch unter den Bedingungen der Moderne mit ihrer transzendentalen Obdachlosigkeit auch längst zur leeren Geste verkommen ist. Zuletzt ist auch Gott nur noch ratlos.
Grundgefühle dieser Prosa sind Ekel und Leid. Nicht zufällig verweisen gleich zwei der Erzählungen auf Abu l-Ala al-Ma'arri, den großen Schwarzseher der arabische Klassik. Und dennoch sind Naqqashs Texte alles andere als zynisch-nihilistisch.
Nur wer tief glaubt, kann auf solche Art enttäuscht werden, und nur wer Werte hat, kann sie derart schmerzlich vermissen. Als letzte Würde und Zuflucht des Schwachen bleibt der Wahnsinn.
"Weissagungen eines Wahnsinnigen in einer verfluchten Stadt" lautet denn auch der Titel von Naqqashs letzter, 1995 erschienener Sammlung mit Erzählungen, der die drei Texte des Bandes entnommen sind.
Mut erhält Tradition
Düster, surreal und immer etwas unheimlich geht es in Naqqashs Texten zu. Zugleich aber bewahrt sie ihre lakonische Grundhaltung vor pathetischen Überspanntheiten. Es ist diese Mischung aus Leichtem und Schwerem, die ihren besonderen Reiz ausmacht und die in ihrer Präzision und Knappheit an Aphorismen erinnert:
"Ich fasste kurz meine Schwächen zusammen, bis ich dem Verschwinden nahe kam." Immer wieder kippt die Stimmung. Dann blitzt hinter der Verzweiflung eine leise Hoffnung auf und im Pessimismus scheint doch noch eine Erwartung verborgen zu sein. "Was auch immer geschieht, alles wird verschwinden, schließlich sogar der Wahn!"
Mit großer sprachlicher Spielfreude und einer gehörigen Portion Mut sind die Übersetzer an die schwierigen, stellenweise hermetischen Texte herangegangen. Der spürbare übersetzerische Elan hat den Texten gut getan.
"Ganze Literaturen", schreibt Angelika Neuwirth in ihrem Nachwort, "fallen ins Leere", wenn sie den gängigen Kriterien nationaler Zugehörigkeit nicht entsprächen. Der vorliegende Band rettet wenigstens einen kleinen, beeindruckenden Ausschnitt dieser fast untergegangenen Tradition.
Andreas Pflitsch
© Qantara.de 2007
Shalom Darwish, Samir Naqqash: Zieh fort aus der Heimat, dem Land deiner Väter... Arabische Kurzprosa irakisch-jüdischer Autoren in Israel. Hg. von Angelika Neuwirth und Nesrine Jamoud. Berlin: Schiler 2007, 122 S.
Qantara.de
"Baghdad, Yesterday - The Making of an Arab Jew"
Über den Tigris nach Galiläa
Die Juden im Irak bildeten einst die älteste jüdische Diaspora. 1950/51 wanderten die meisten von ihnen nach Israel aus. Was unmittelbar davor lag, beschreibt Sasson Somekh in seinem Buch "Baghdad, Yesterday - The Making of an Arab Jew". Von Beate Hinrichs
"Forget Baghdad"
Irakische Juden in Israel
Vier in Israel lebende irakische Juden läßt der in der Schweiz lebende Filmemacher Samir in seinem Dokumentarfilm "Forget Baghdad" zu Wort kommen. Sie beschreiben den schwierigen Prozess der Integration in ihrer neuen Heimat und die Entfremdung von ihrer alten. Zurzeit läuft der Film in bundesdeutschen Kinos. Silke Bartlick berichtet.
Dossier: Deutsch-arabischer Literaturaustausch
Die Literatur ist immer ein zentrales Medium des Kulturdialogs. Dabei sind es oft Aktivitäten, die im Kleinen, ja Verborgenen stattfinden: Übersetzer und Verleger, die sich am Rande des Existenzminimums um die geliebte fremde Kultur verdient machen. Wir präsentieren deutsche und arabische Initiativen.