Nicht verschossene Elfmeter, Rassisten sind das Problem
Gewinnen sie, sind sie Helden. Verlieren sie, sind sie Affen. So einfach ist das für manche. Und so menschenverachtend. Was sich nach den verschossenen Elfmetern von Bukayo Saka, Jadon Sancho und Marcus Rashford in den sozialen Netzwerken entladen hat, ist mehr als nur Frust über ein denkbar knapp verlorenes EM-Finale gegen Italien. Es ist eine Schande für England, die das erneute Scheitern in einem Elfmeterschießen bei weitem in den Schatten stellt.
Man kann verlieren, aber nicht so. Nur Augenblicke nachdem Bukayo Saka den Ball halb hoch aufs rechte Eck geschossen und Italiens Keeper Gianluigi Donnarumma diesen glänzend pariert hatte, poppten sie auf, die Nachrichten des Hasses: Affen-Emojis, dazu Bananen, Gorillas und Schimpansen erschienen in den Kommentaren zu Posts in Sakas Instagram-Account. Es sind unzählige. "Nach Hause nach Afrika" gehe es für Saka nun, schrieb ein Twitter-User. Andere Botschaften sind so widerlich, dass man sie gar nicht wiederholen möchte.
Alte Ressentiments sitzen immer noch tief
Wenn du gewinnst, bist du der Liebling der Nation. Wenn du verlierst, bist du zum Abschuss freigegeben. Der #Rassismus, der den drei englischen Nationalspielern Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho entgegen schlägt, ist ekelhaft. Volle Solidarität! #SayNoToRacism pic.twitter.com/kBoSDDrHrc
— Düzen Tekkal (@DuezenTekkal) July 12, 2021
Selbst mancher Beistand für die drei schwarzen Spieler wirkt seltsam: Man könne die drei doch nicht so angreifen, wo sie doch so viel für ihr Land getan haben, schreibt jemand bei Twitter. Und was ist mit den schwarzen Menschen, die - in wessen Augen auch immer - "weniger" für England getan haben? Dürfen die beleidigt werden?
Rassismus ist, das zeigt diese traumatische Final-Nacht für das Mutterland des Fußballs, immer noch ein Problem in England und im Sport. Trotz aller Appelle, Kampagnen und Dementis. Der Hass ist da. Und wenn es im Angesicht der schmerzlichen Niederlage Sündenböcke braucht, nimmt man halt ein paar junge, schwarze Spieler.
Dass zuvor im Spiel, etwa mit dem chaotischen Abwehrverhalten beim 1:1 durch Leonardo Bonucci, auch andere englischen Spieler Fehler machten - Nebensache. Die selektive Wahrnehmung vieler "Fans" zeigt, wie tief alte Ressentiments immer noch sitzen. Übrigens nicht nur in England, wie der Umgang mit Mesut Özil in Deutschland offenbarte.
Wer mit dem Finger auf England zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück:
„Deutscher, wenn wir gewinnen, aber Immigrant, wenn wir verlieren“ (@MesutOzil1088) #SayNoToRacism #Euro2020Final— Alex Urban (@the_real_urbsi) July 12, 2021
Zwar sind Affenlaute und rassistische Schmähgesänge im Stadion auch dank der Gegenwehr aus der aktiven Fanszene vielerorts selten geworden. Und von breiten Teilen der Gesellschaft erfahren die drei unglücklichen Elfmeterschützen viel Solidarität.
Auch die Jüngsten sind weiterhin betroffen
Doch in der scheinbaren Anonymität der sozialen Netzwerke lebt der Rassismus weiter. Auch, weil er noch immer Teil der britischen Gesellschaft ist, sogar bei den Jüngsten: 95 Prozent der befragten schwarzen Jugendlichen einer Studie von Ende 2020 sagte, dass sie schon rassistische Aussagen in der Schule erlebt haben, 78 Prozent an ihrem Arbeitsplatz.
This England team deserve to be lauded as heroes, not racially abused on social media.
Those responsible for this appalling abuse should be ashamed of themselves.— Boris Johnson (@BorisJohnson) July 12, 2021
Und während fast zwei Drittel der Briten meinen, dass Rassismus im großen oder erheblichen Ausmaß in der Gesellschaft vorkommt, versucht die konservative Regierung das Problem in einem ausführlichen Report herunterzuspielen, wonach Ungleichbehandlung und Diskriminierung mehr auf sozio-ökonomische Nachteile als auf die Hautfarbe zurückzuführen wären. Eine fatale Fehleinschätzung, urteilen auch Experten der Vereinten Nationen.
Wenn jetzt also Premier Boris Johnson die rassistischen Beleidigungen als "beschämend" verurteilt, ist dies ein richtiges und wichtiges Zeichen im Kampf gegen Diskriminierung. Aber es bleibt die Frage, warum er und seine Regierung Rassismus im Alltag nicht stärker bekämpfen. Es wäre bitter nötig. Und nicht nur, wenn es um drei prominente Fußballer geht.
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