Eine Frau an der Spitze des Wandels im Jemen
Nachdem bereits zwei arabische Präsidenten im Verlauf des Arabischen Frühlings gestürzt wurden und nach den Protesten in Libyen, sind es nun neuerliche Demonstrationen im Jemen, die die Welt in Atem halten. Die eskalierende Gewalt ist besorgniserregend. Und noch ist nicht abzusehen, ob auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh bald seinen Stuhl räumen muss – oder ob er sich noch länger wird im Amt halten können.
In einem aber unterscheidet sich der Jemen deutlich von den anderen arabischen Ländern: Das internationale Gesicht der jemenitischen Demokratiebewegung ist eine Frau.
Nachdem sie bereits in einigen großen Zeitungen und Zeitschriften, wie der Washington Post, dem Toronto Star und dem Time Magazine vorgestellt worden war, verkörpert die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman das positive Bild der Frauen im Jemen. Lange bevor sie im Februar an der Spitze der Proteste gegen die Regierung fotografiert wurde, wurde sie als mutige Verteidigerin der Meinungsfreiheit und der Menschenrechte im Jemen bezeichnet.
In einem Interview, das sie im Januar 2010 dem Sender Al-Jazeera gab, erzählte sie von inhaftierten Journalisten, von der Schreckensherrschaft eines Scheichs gegen die Dorfbewohner in Ibb, einem Regierungsbezirk im Süden der Hauptstadt Sana'a, vom Unrecht, dem die Familie eines ermordeten Arztes ausgesetzt ist. Und sie beschuldigte sogar – lange vor den Enthüllungen durch WikiLeaks vom vergangenen Januar – die Regierung einer "Allianz" mit Al-Qaida. Bis heute setzt sie ihren Protest fort und fordert einen friedlichen Wandel im Land.
Frauen im politischen und gesellschaftlichen Abseits
Bis heute sieht es nicht rosig aus für die Frauen im Jemen. Die Parlamentarier (unter den 301 Abgeordeneten ist nur eine weiblich) konnten sich noch immer nicht auf ein Gesetz einigen, das verhindern würde, dass Mädchen bereits verheiratet werden, bevor sie die Schule beendet haben. Eine erschreckend hohe Zahl von 67 Prozent der Frauen kann nicht lesen und schreiben. Auch sind Frauen meist eher von Lebensmittelknappheit betroffen als Männer (ein Drittel der Jemeniten leidet nach Angaben der UN unter Mangelernährung) und viele von ihnen haben nur einen schwierigen und eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Eine weibliche Partizipation an politischen Entscheidungsfindungen ist praktisch nicht vorhanden und das trotz zweier Ministerinnen im Kabinett. Seitdem das arabische Land im Jahr 2006 in den Global Gender Gap Index aufgenommen wurde, rangiert der Jemen in diesem Bericht zur Geschlechtergleichheit beständig an letzter Stelle.
Aber es gibt Hoffnung: Karman und andere weibliche Menschenrechtsaktivisten, wie die Journalistin Samia al-Aghbari kämpfen bei den Protesten in der jemenitischen Hauptstadt an vorderster Front. Mögen sie auch die Frauen im Land nicht in Gänze repräsentieren, so ändert es nichts daran, dass sie das Land zu inspirieren vermögen.
Tatsächlich war ein jemenitischer Mann so beeindruckt von al-Aghbaris Mut während der Proteste vom 13. Februar, als sie von einem Mitglied der Sicherheitskräfte niedergeschlagen wurde und sie aufs Straßenpflaster fiel, dass er ihr ein Gedicht schrieb: Unter dem Titel "Die Revolution des grünen Hijab ... Für Samia al-Aghbari und alle anderen Revolutionäre" erschien es am folgenden Tag auf der Website der Nashan News.
Obwohl sie nicht alle auf die Straße gehen, gibt es viele solcher inspirierender Frauen im Jemen. Abgesehen von Karman und al-Aghbari finden wir unter den Frauen im Jemen Menschenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen, Doktorinnen, Pädagoginnen, Mitglieder der Zivilgesellschaft, Akademikerinnen, Frauen politischer Häftlinge, Fotografinnen. Und einige von ihnen twittern sogar regelmäßig.
Dutzende dieser mutigen Frauen stemmten sich gegen ihr Schicksal und verloren in lokalen Abstimmungen und Parlamentswahlen. Laut Nadia al-Sakkaf, Chefredakteurin der unabhängigen Yemen Times, ist es schwer, ohne die Unterstützung einer politischen Partei bei Wahlen zu gewinnen und die meisten politisch ambitionierten Frauen warten im Moment darauf, in welche Richtung sich die gegenwärtige Situation entwickelt.
Und dann gibt es noch die Frauen, die in aller Stille ihre eigenen Revolutionen in Angriff nehmen. Im Mai 2010 hatten Frauen bei einer Alphabetisierungsmaßnahme im ländlichen Dhamar, einem Regierungsbezirk im Süden Sana'as, die Idee, nach Hause zu gehen und von ihren Männern und Brüdern das Recht auf Bildung, das Recht zu erben und mehr politische Partizipation einzufordern.
Die Verantwortlichen des Kurses erhielten daraufhin Anrufe verstörter männlicher Familienmitglieder, die wissen wollten, worüber in dem Kurs diskutiert worden war. Die Teilnehmerinnen versammelten sich auch danach und hinderten einen Mann daran, seine zwölfjährige Tochter zu verheiraten.
Als Karman von Sicherheitskräften verhaftet wurde, weil sie die Proteste des 12. Januar mitorganisiert hatte, machte sie das Beste aus der Situation, indem sie mit ihren weiblichen Mithäftlingen über deren Rechte sprach. "Ich war glücklich, einmal das Gefängnis zu entdecken und mit den Gefangenen sprechen zu können", sagte sie der Yemen Times nach ihrer Freilassung.
Was aber wohl am meisten ermutigt, ist die Tatsache, dass Karman nicht nur für die Frauen im Jemen ihre Stimme erhebt, sondern sich für die Gesellschaft als Ganzes einsetzt und sich auch nationalen Missständen wie der Arbeitslosigkeit und der Korruption annimmt.
Es mag zwar noch zu früh für einen weiblichen Präsidenten im Jemen sein, doch Karman trägt mit ihrer Person dazu bei, dass die Berichterstattung über das Land, das in westlichen Augen allzu häufig nur mit Al-Qaida, Armut und unterdrückten Frauen assoziiert wird, um eine neue, willkommene Dimension bereichert wird.
Alice Hackman
© Common Ground News Service 2011
Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de