Ein Leben für die Politik

Eigentlich hat Fatima Ahmed Ibrahim nicht das Naturell einer Politikerin. Die Kommunistin sagt immer offen und geradeaus, was sie denkt - ohne Rücksicht auf die Folgen. Sie war eine der ersten Frauen im Sudan, die eine höhere Schulbildung erwerben durfte.
Obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie kommt, entschied sie sich früh, ihr Leben der Politik zu widmen, statt in Luxus zu leben. Dafür gründete sie eine mächtige Frauenorganisation als Sammelbewegung für Gleichgesinnte aller Parteien, Religionen und ethnischen Gruppierungen.
Die Rolle des Islam
"Als wir 1954 politische Rechte forderten, behauptete die Islamische Front, das sei gegen den Islam", erzählt Fatima Ahmad Ibrahim. "Frauen dürfen keine politischen Rechte oder Gleichberechtigung mit Männern verlangen. Deshalb traten zwei Muslimschwestern aus dem Exekutivrat unserer Frauenunion
wieder aus."
Der Islam spielt eine wichtige Rolle in der sudanesischen Gesellschaft, doch viele Menschen können den Koran nicht lesen. Als Tochter eines Imams begann Fatima Achmed Ibrahim deshalb, die heilige Schrift selbst zu interpretieren. Die Kommunistin griff die islamischen Fundamentalisten mit ihren eigenen Waffen an, mit den Versen des Korans, gelesen aus weiblicher Sicht.
Als 1964 das Frauenwahlrecht im Sudan eingeführt wurde, kandidierte sie und trat gegen die von der Islamischen Front aufgestellte Muslimschwester an, die noch 1954 behauptet hatte, politische Rechte für Frauen verstießen gegen den Islam.
"Wir fragten, hat Gott seine Meinung geändert? Hat er ihnen einen anderen Propheten geschickt, der sagte, ich war dagegen, aber jetzt ist es erlaubt? Das heißt, sie missinterpretieren den Islam zu ihren eigenen Gunsten. Wir kandidierten beide, aber ich gewann und ging ins Parlament", berichtet die Aktivistin.
Politische Veränderung
Viele der von Fatima Achmed Ibrahim und ihrer Frauenorganisation eingebrachten Gesetzesvorlagen wurden in die Verfassung übernommen. So forderten sie etwa die volle Gleichberechtigung für arbeitende Frauen, und bereits 1969 wurden Frauen die gleichen Rechte bei Löhnen, Renten und allen Arbeitsbedingungen zuerkannt.
"Wir verlangten außerdem, dass Frauen Richterinnen der islamischen Gesetze werden", erzählt sie, und der Sudan wurde das einzige islamische Land, in dem Richterinnen nach dem islamischen Gesetz urteilten "Frauen wurden Diplomatinnen, gingen in die Armee, in die Polizei."
Fatima Ahmad Ibrahim engagierte sich gegen Zwangsehen, Verheiratung Minderjähriger und Polygamie. Ihre Organisation wurde als erste Frauenorganisation weltweit 1993 mit dem UNO-Menschenrechtspreis ausgezeichnet.
Haft und Exil
Doch Fatima Achmed Ibrahim wurde nicht nur Ehre zuteil. Als nach einem Staatstreich alle Parteien und politischen Institutionen aufgelöst wurden, musste sie wiederholt wegen ihres politischen Engagements ins Gefängnis. Noch heute leidet sie unter starken Depressionen.
Ihr Mann, El Shafia Achmed El Scheich, war Generalsekretär aller Gewerkschaftsverbände und Vizepräsident des internationalen Gewerkschaftsbundes. "Er wurde zu Tode gefoltert und dann aufgehängt. Nur weil er sich weigerte, Minister in der Militärregierung Numeiris zu werden. Er wurde im Juli 1971 hingerichtet. In der gleichen Minute verhafteten sie mich und sperrten mich für zweieinhalb Jahre ein."
Auch nach ihrer Freilassung blieb sie politisch aktiv und entkam einer lebenslangen Haft nur dank der aufgebrachten Massen und weltweiter Proteste. 1990 ging sie ins Exil nach London.
Nach 16 Jahren Exil lebt sie nun seit einem Jahr wieder im Sudan. Die Kommunistische Partei sandte sie erneut als Abgeordnete ins Parlament. Mit über 80 Jahren ist ihre Erinnerung teilweise schon etwas getrübt. Doch flammende Reden gegen die Herrschenden hält sie immer noch.
Am 8. Dezember wird sie in Berlin mit dem Ibn-Rushd-Preis für freies Denken ausgezeichnet.
Jutta Schwengsbier
© DEUTSCHE WELLE 2006