Kritik an der DiTiB läuft ins Leere

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer kritisiert die öffentliche Aufregung um die Abhängigkeit der DiTiB von der türkischen Regierung. Im Interview mit Jannik Deckers warnt er davor, den türkischen Moscheenverband als Ansprechpartner zu verlieren.

Von Jannik Deckers

In den letzten Wochen warfen zahlreiche deutsche Politiker der DiTiB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) vor, ein Sprachrohr der türkischen Regierung zu sein. Ist dieser Vorwurf aus Ihrer Sicht berechtigt?

Michael Kiefer: Diese Behauptung ist etwas übertrieben. Die DiTiB als Sprachrohr der türkischen Regierung zu bezeichnen trifft die Sache nicht ganz. Der Moscheenverband wird natürlich durch die türkische Regierung beeinflusst. Das ist jedoch kein neues Phänomen, sondern eines, das seit der Organisationsgründung Anfang der 1980er Jahre besteht. Seitdem wird die DiTiB zum Teil von türkischen Botschaftsräten gelenkt und Religionsattachés nehmen Einfluss auf die konkrete "Außenpolitik" von DiTiB.

Das war aber wie gesagt schon immer so. Unter dem Militärregime in den 1980ern sowie unter diversen anderen türkischen Regierungen und ebenso jetzt unter der AKP-Regierung. Mich wundert, dass diese Thematik jetzt erst aufgegriffen wird, zumal man mit der DiTiB schon in einigen Bundesländern in Bezug auf den Religionsunterricht gut kooperiert und die Zusammenarbeit meist reibungslos stattgefunden hat. Daher finde ich es unersichtlich, warum man meint, all dies überprüfen zu müssen.

Könnte es daran liegen, dass in einigen DiTiB-Moscheen Stimmung gegen Putschisten und die Gülen-Bewegung gemacht worden ist?

Kiefer: Es wird sicherlich so gewesen sein, dass in einigen Moscheen auch Anwürfe gegen Gülen-Aktivisten erhoben worden sind, und es hat eine kritische Predigt kurz nach dem Putsch gegeben. Das ist natürlich zu bedauern, jedoch muss man bedenken, dass dies nicht repräsentativ für knapp 1.000 Moscheegemeinden und deren Mitglieder ist.

Ich habe auch in der letzten Woche mit einer ganzen Reihe von DiTiB-Mitgliedern gesprochen – also Menschen, die in Moscheegemeinden engagiert sind. Ich habe erlebt, dass die Gemengelage hier nicht ganz eindeutig ist.

Es ist keineswegs so, dass alle nur die Vorgehensweise der türkischen Regierung nach dem Putsch derzeit richtig finden, manche sehen das auch durchaus kritisch. Diese Zwischentöne sind in der jetzigen Auseinandersetzung leider etwas verloren gegangen.

Die DiTiB-Zentralmoschee in Köln; Foto:Getty Images/AFP/M. Hitij
DiTiB ist die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion". Der Moscheenverband mit Sitz in Köln dient als bundesweiter Dachverband für die Koordinierung religiöser, sozialer und kultureller Tätigkeiten der rund 1000 angeschlossenen Moscheegemeinden.

Beobachten Sie eine gesteigerte Abhängigkeit der DiTiB von der türkischen Religionsbehörde?

Kiefer: Nein, diese Abhängigkeit ist kontinuierlich gleich. Sie besteht in erster Linie darin, dass die Imame, die in diesen Gemeinden tätig sind, aus der Türkei entsandt und finanziert werden. Es ist ferner so, dass in den Regionalverbänden die Imame und Religionsattachés schon eine wichtige Position inne haben. Dass es jedoch in den letzten beiden Jahren eine Verschärfung gegeben haben soll, kann man nicht sagen.

Dieser Sachverhalt war beispielweise den Gutachtern auch bekannt, die z.B. in Hessen befunden haben, dass die DiTiB eine Religionsgemeinschaft ist. Diese Feststellung aufgrund der Instrumentalisierung von Ditib nun in Zweifel zu ziehen, ist verständlich. Jedoch muss man beachten, dass DiTiB mit rund 1.000 Gemeinden eine Größe darstellt, wenn man von den Muslimen in Deutschland spricht. Man ist gut beraten, hier weiter das Gespräch und den Kontakt zu suchen.

Beschränkt sich diese Abhängigkeit nur auf den finanziellen Bereich?

Kiefer: Nicht nur, ebenso im Bezug auf die Imame, welche professionelle Theologen sind, die nach Deutschland geschickt werden. Die DiTiB hat sich jedoch schon darum bemüht, an diesem Zustand etwas zu verändern, indem sie Deutschkurse für die Imame auf den Weg gebracht und junge Menschen aus Deutschland in der Türkei fortgebildet hat, um sie in Deutschland wiederrum als Imame einzusetzen.

Somit kann man nicht behaupten, dass Forderungen an DiTiB unbeachtet geblieben sind. Außerdem warne ich davor, die Organisation und die Leistungen, die sie erbringt, nur im Hinblick auf die gegenwärtigen Äußerungen eines türkischen Präsidenten zu beschränken.

Würden Sie der Forderung des religionspolitischen Sprechers der Grünen im Bundestag, Volker Beck, zustimmen, dass sich die DiTiB bekenntnismäßig neu organisieren sollte?

Kiefer: Das ist deren Angelegenheit. Wir haben ein Grundgesetz in Deutschland und darin steht geschrieben, dass sich der Staat im Bezug auf Religionsgemeinschaften gefälligst neutral zu verhalten hat. Herr Beck weiß das eigentlich.

Als Politiker ist man ganz schlecht beraten, wenn man auf Religionsgemeinschaften zugeht, indem man ihnen vorschreibt, wie sie sich organisieren sollten. Wünsche kann man haben, aber die Nichteinmischung des Staates ist hier doch deutlich festgeschrieben.

In der letzten Woche sind einige Landesregierungen bezüglich des islamischen Religionsunterrichts und der Islamverträge auf Distanz zu DiTiB gegangen. Sehen Sie hierdurch den islamischen Religionsunterricht in Deutschland gefährdet?

Kiefer: Wenn man so weiter macht schon. Nehmen wir das Beispiel Nordrhein-Westfalen: Dort hat man derzeit eine Beiratsregelung, die aber nur noch bis 2019 gilt. Danach läuft das Schulgesetz aus, aber der Religionsunterricht ist schon längst eingeführt worden. Mit dem Beirat hat man in der Vergangenheit aber auch heute keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich frage mich, warum hier ohne Not bestehende und funktionierende Kooperationsverhältnisse nun in Frage gestellt werden.

Islamischer Religionsunterricht in deutschen Schulen; Foto: picture-alliance/dpa/R. Holschneider
Im Schulajhr 2012/13 führte das rot-grüne NRW den islamischen Religionsunterricht ein. Seitdem wurde er auch in Bayern, Baden-Würtemberg, Niedersachen, Rheinland-Pfals und im Saarland eingeführt. Auf dem Bild sieht man den Lehrer Timur Kumlu, der an der Henri-Dunant-Schule in Frankfurt (Hessen) Mädchen und Jungen aus drei ersten Klassen in islamischer Religion unterrichtet.

Die Forderungen nach finanzieller Unabhängigkeit der DiTiB sind ebenfalls letztlich lauter geworden. Welche Alternativmodelle bestehen derzeit? Wäre z.B. eine Art "Kirchensteuer" für die Muslime eine geeignete Alternative?

Kiefer: Das würde nicht funktionieren, denn der Islam als Religion ist so bestimmt, dass zwischen Gott und dem einzelnen Gläubigen keine Priesterkaste, keine kooperierte Kirche und keine kooperierte Religionsgemeinschaft steht. Das wird an dieser Stelle gerne vergessen.

Folglich gibt es auch in den islamischen Ländern keinen institutionalisierten Islam oder Islambehörden, die von den Gläubigen Geld erheben, um dann damit die Angelegenheiten der Moscheen zu bestreiten oder Ausbildungsstätten zu gründen. Das ist hier nicht so.

Die Problematik, die wir in Deutschland sehen müssen, besteht darin, dass wir die DiTiB im Hinblick auf die Entsendung von Imamen kritisieren – jedoch zielt diese Kritik ins Leere, weil man keine Ansätze hat, die alternative Finanzierungsmodelle zum Gegenstand haben.

Deshalb müsste man von den Gemeindemitgliedern viel höhere Beiträge verlangen. Jedoch ist es im Islam so, dass die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nicht vorgeschrieben ist. Es ist die Ausnahme. Dass man in Vereinen kooperiert wie hier in Deutschland, ist nicht der Regelfall. Insofern stellt dies ein wichtiges Problem dar, das nicht so schnell gelöst werden kann.

Interview: Jannik Deckers

© Qantara.de 2016

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer lehrt am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Er beschäftigt sich mit den Themenfeldern Migration und Rassismus. Er ist auch Geschäftsführer der Agentur für partizipative Integration in Düsseldorf.