Der weite Weg zur rechtlichen Anerkennung
Gehört der Islam zu Deutschland? Kaum eine Frage wird hierzulande wohl so kontrovers und polemisch diskutiert, wie diese. Seit Jahren steht sie im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte, werden die verschiedensten Antworten gesucht, ringen Muslime um Anerkennung. Doch was heißt das eigentlich, "zu Deutschland zu gehören", "anerkannt zu sein"? Ob sich der Islam als Religion mit der deutschen Rechts- und Werteordnung verträgt? Oder ob eine gewöhnliche Muslimin hier ihren Glauben und ihre Kultur im öffentlichen Raum stets frei praktizieren kann?
Dass es so einfach nicht ist, zeigen zahlreiche Beispiele aus dem Alltag, etwa beim Thema Feiertage: Dass in Deutschland "vollkommene Religionsfreiheit" herrsche und jeder Gläubige berechtigt sei, an seinen religiösen Feiertagen Urlaub zu nehmen, davon ist die Schriftstellerin Monika Maron vollkommen überzeugt. In einer unsachlichen Polemik wendet sie sich daher gegen die deutsche Islamintegrationspolitik und den Anspruch von Islamverbänden, einen gesetzlichen muslimischen Feiertag für alle einzuführen.
Doch von diesem Ziel sind die Verbände ohnehin weit entfernt. Tatsächlich forderten sie, dass Muslime sich an wichtigen Feiertagen – das Opferfest, das Fest des Fastenbrechens, das Aschurafest – frei nehmen dürfen, wohlgemerkt auf eigene Kosten. Das können ihnen Arbeitgeber oder Schulen nämlich bisher verwehren. Dass Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert ist, heißt also noch lange nicht, dass sie folglich auch gewährt wird. Islamische Organisationen beschränken sich daher bislang auf Minimalforderungen.
Rechtliche Anerkennung unumgänglich
Wie wichtig vor diesem Hintergrund nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die rechtliche Anerkennung des Islam in Deutschland ist, zeigt ein neues Gutachten der Islamwissenschaftlerin Dr. Riem Spielhaus und des Juristen Martin Herzog im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Demnach geht es darum, Muslimen überhaupt erst einmal den gleichen Zugang zu Ressourcen zu gewähren wie anderen Religionsgemeinschaften: die Finanzierung von Projekten, der Schutz vor Ungleichbehandlung und das Recht auf Glaubenspraxis sowie die Möglichkeit, es auch umzusetzen. Und genau das wird gerade zwischen politischen Akteuren und Interessenvertretern der Islamverbände ausgehandelt.
Dabei muss über jedes einzelne Detail islamischer Religionspraxis gesondert eine Übereinkunft mit jedem Bundesland, jeder Gemeinde oder Kommune erzielt werden – im Dialog, der über viele Jahre geführt wird. Mit einem einfachen Islamgesetz wie in Österreich ist es in Deutschland nicht getan.
Der Weg zur rechtlichen Gleichstellung bei ritueller Glaubensausübung, im Bildungsbereich, beim sozialen Engagement islamischer Gemeinschaften ist weit: eigene Friedhöfe und Bestattungen nach islamischem Ritus, der Bau von Moscheen, die rituelle Schlachtung, Feiertage, bekenntnisgebundener Religionsunterricht, islamische Theologie an Hochschulen, Jugendfürsorge, Wohlfahrtspflege, Seelsorge in Gefängnissen, Krankenhäusern oder bei der Bundeswehr. Das alles scheint bis heute keine Selbstverständlichkeit in Deutschland zu sein.
Bislang konnten nur in einzelnen Bundesländern rechtliche Übereinkünfte mit muslimischen Gemeinden oder Verbänden erzielt werden. Die Ahmadiyya-Gemeinde ist beispielsweise als einzige Körperschaft des öffentlichen Rechts in Hessen und Hamburg anerkannt, hat aber nicht mal einen eigenen Friedhof.
Große Verbände wie die DİTİB sind hingegen nicht anerkannt, genießen de facto aber mehr Rechte. In Niedersachsen erwirkte deren Landesverband nach drei Jahren Verhandlung 2012 eine Vereinbarung zur Gefängnisseelsorge, den islamischen Religionsunterricht an Schulen gibt es hingegen schon seit 2003/4. In Berlin ist eine Feiertagsregelung und Bestattungsverordnung in Kraft, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten wird gerade auf den Weg gebracht.
Zwischen Anerkennung, Regulierung und Generalverdacht
Ein teilweise islamskeptisches oder sogar -feindliches Meinungsklima erschwert die langsam voranschreitenden Verhandlungsrunden zusätzlich. Außerdem müssen Muslime sich organisieren, um gehört zu werden, und zum Beispiel Landesverbände oder Schura-Ratsversammlungen zu gründen, Mitgliedschaftskonzepte zu erarbeiten, transparente Ansprechpartner zu stellen und grundsätzlich Strukturen zu entwickeln, die den Kriterien für rechtliche Anerkennung und Kooperationen entsprechen.
Aber nicht nur die Religionsgemeinschaften müssen sich an die Erfordernisse deutschen Rechts anpassen. "Es ändert sich auch etwas im Rechtsverständnis", gibt Riem Spielhaus im Gespräch zu bedenken. Sie beobachtet derzeit eine "gegenseitige Annäherung auf Grundlage einer (verfassungs-)rechtlichen Gleichrangigkeit".
Den Anpassungsdruck und den Zwang zur Vereinheitlichung, die mit der staatlichen Anerkennungspolitik gegenüber Muslimen verbunden sind, kritisiert die Islamwissenschaftlerin Anne Schönfeld: "Anerkennungspolitik hat nicht nur eine affirmative Wirkung auf diejenigen, die anerkannt werden wollen. Sie verändert diese auch in ihrem Selbstverständnis. Dabei geht es immer auch um die Regulierung und Verwaltung von Religion und Religiosität durch den Staat. Das muss man sich klar machen", so Schönfeld. Das heißt, dass sich Vielfalt und Unabhängigkeit des muslimischen religiösen Lebens in Deutschland für die Anerkennung eben einer gewissen Standardisierung beugen müssen.
Maas will Staatsvertrag mit Muslimen
Wie sich die Politik das vorstellt, verdeutlicht eine kürzlich gehaltene Vorlesung von Heiko Maas (SPD) an der Berliner Humboldt-Universität, in der sich der Bundesjustizminister für einen Staatsvertrag mit muslimischen Gemeinschaften in Deutschland aussprach. Hierin sieht Maas einen wichtigen Schritt, "die muslimischen Gemeinschaften enger an den Verfassungsstaat und seine Werte heranzuführen" und einen deutschen Islam zu entwickeln. Im Gegenzug aber seien die Muslime aufgefordert, ihren Teil zu einer Anerkennung durch Staat und Gesellschaft beizutragen. Sie müssten sich noch besser mitgliedschaftlich organisieren, außerdem seien die Verbände in der Pflicht, sich regelmäßig von Extremismus und Antisemitismus unter Muslimen zu distanzieren.
Für die Islamverbände hängt viel von der rechtlichen Anerkennung ihrer Organisationen ab. Oftmals verbinden sie auch die Hoffnung, dass dadurch automatisch auch eine gesellschaftliche Aufwertung erfolgt – eine Einschätzung, die Riem Spielhaus zum Teil anzweifelt. Dennoch geht es am Ende natürlich auch um Wertschätzung: Wie wichtig sie für die Arbeit der Verbände ist und wie eng sie manchmal auch mit rechtlicher Würdigung einher geht, zeigt das Beispiel der Jugendarbeit.
Jahrelang gab es Vorbehalte, dass die Moscheeverbände Sozialarbeit mit jugendlichen Muslimen durchführten. Oftmals standen sie unter Generalverdacht. Die Jugendarbeit wurde nicht selten als Rekrutierungsinstrument des Islamismus begriffen und skeptisch beäugt. "Es gab daher auch kein Interesse an einer Aufwertung und qualitativen Verbesserung der Jugendarbeit islamischer Gemeinden und schon gar keine Finanzierung dafür", wie Spielhaus erläutert. Solche Vorbehalte stehen in einigen Fällen bis heute der Anerkennung von Vereinen als Träger der Jugendhilfe im Wege. "Rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung bedingen sich gegenseitig", so Spielhaus.
Susanne Kaiser
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