Im deutschen Denken zuhause

Fuad Rifka arbeitet zurzeit an einer zweisprachigen Anthologie deutscher Lyrik in Berlin. Über seine Liebe zur deutschen Kultur und die Schwierigkeiten des Übersetzens.

Interview von Youssef Hijazi

Herr Rifka, von Ihnen stammt der Ausdruck "Zuhause im deutschen Denken". Was meinen Sie damit?

Fuad Rifka: In meinem Leben habe ich unterschiedliche Kulturen kennen gelernt. Aber in der deutschen Denkkultur fühle ich mich viel mehr zuhause als in anderen Kulturen. Es ist sehr schwierig für mich, diese Tatsache zu erklären, aber ich versuche es mal so: Von Natur aus bin ich philosophisch und poetisch orientiert. Als Dichter habe ich mehrere Gedichtbände veröffentlicht, als Philosoph habe ich an der Universität Tübingen über die Ästhetik Heideggers promoviert. Beide Kulturzweige, der poetische und der philosophische, sind in meinem Geist vereint. Meine Gedichte sind von der Philosophie inspiriert und mein Denken von der Dichtung. Diese beiden Zweige, die Poesie und das Denken, haben glücklicherweise ihren Platz in der deutschen Kultur.

Philosophie und Dichtung existieren auch in anderen Kulturen. Was ist für Sie das Besondere im Deutschen?

Rifka: Im Deutschen überschneiden sich das Denken und die Dichtung. Nietzsche war beispielsweise Philosoph, aber auch Dichter. Schelling, Heidegger, Dilthey und viele weitere Philosophen haben sich auf das poetische Wort gestützt, um ihre Positionen zu verstärken. Des Weiteren bemerken wir das philosophische Element in der Dichtung von Novalis, Goethe, Hölderlin, Trakl und noch vieler anderer. Ich will damit sagen, dass die deutsche Kultur meine Sehnsucht, meinen Geist und meine Seele viel mehr erfüllt als andere Kulturen.

Sie haben eine weitere Leidenschaft: die Übersetzung. Namhafte Dichter wie Goethe, Rilke, Hölderlin haben Sie ins Arabische übertragen. Was hat Sie dazu bewegt?

Rifka: Aus meiner Überzeugung heraus, dass die deutsche Dichtung meiner Natur und vielleicht dem arabischen Geschmack überhaupt entspricht, habe ich versucht, klassische deutsche Lyrik ins Arabische zu übersetzen. Ich bin wirklich sehr froh und auch stolz darauf, unter den wenigen zu sein, die begonnen haben, deutsche Lyrik ins Arabische zu übersetzen. Zunächst habe ich Rilkes "Duineser Elegien" und "Die Sonette an Orpheus", dann ausgewählte Gedichte von Hölderlin, Trakl, Novalis und später einige Gedichte von Goethe übersetzt. Das war wirklich mein Traum, von dem Moment an, als ich die deutsche Sprache zu erlernen begann. Ich wollte die Sprache hauptsächlich deshalb lernen, um deutsche Lyrik ins Arabische zu übersetzen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, deutsche Lyrik zu übersetzen, bevor Sie die Sprache beherrschten?

Rifka: Den ersten Kontakt mit der deutschen Philosophie und Lyrik hatte ich während meines Studiums an der American University of Beirut in den 1950er Jahren. Obwohl meine Kenntnisse der deutschen Philosophie minimal waren, hatte ich den Traum, sie in Deutschland, am Ort ihrer Entstehung, intensiver zu studieren. Ein weiteres prägendes Erlebnis hatte ich, als ich einmal in Beirut ins Goethe-Institut ging. Dort habe ich zufällig nach einem Buch gegriffen. Dieses Buch war zweisprachig, Englisch und Deutsch. Ich habe den englischen Text gelesen. Das Buch hat mich dermaßen gepackt, dass ich nicht mehr wusste, wie lange ich da gestanden und im Buch gelesen habe. Es handelte sich um die "Duineser Elegien". Dieses Buch hat meine Entscheidung bestärkt, Deutsch zu lernen, um die Elegien aus der Originalsprache zu übersetzen.

Wie konnten Sie Ihren Traum realisieren?

Rifka: Es war sehr schwer für mich, diesen Traum in die Realität umzusetzen, hauptsächlich aus finanziellen Gründen. Die Rettung kam dann vom DAAD, der mir im Jahre 1961 ein Stipendium gewährte. So habe ich am Goethe-Institut vier Monate lang Deutsch gelernt, dann ein Jahr in Göttingen verbracht und dann ging ich nach Tübingen, wo ich mein Philosophiestudium abgeschlossen habe. Meine Erfahrung mit der deutschen Poesie und Philosophie in Tübingen wirkte wie ein Erdbeben auf mein Leben. Dort habe ich mein Selbst entdeckt. In Tübingen habe ich meinen Weg allmählich gespürt. Ich habe als junger Dichter durch tiefe Beschäftigung mit der deutschen Lyrik, nicht nur mit der deutschen Philosophie, begonnen, meinen Weg zu finden. Da Heidegger selbst sich sehr intensiv mit der deutschen Dichtung beschäftigt hat, musste ich das in meiner Doktorarbeit ebenfalls tun. Dadurch ergab sich eine glänzende Gelegenheit für mich, mich mit der deutschen Lyrik tiefgehend zu befassen, und je mehr ich das getan habe, desto mehr fühlte ich die Notwendigkeit, deutsche Lyrik ins Arabische zu übertragen.

Sie haben mit Ihren Übersetzungen der deutschen Lyrik ins Arabische gegen Mitte der 1960er Jahre begonnen. Damals haben Sie auch die Literaturzeitschrift "Shi'r" mit Adonis und Yusuf Al-Khal gegründet, die sich mit der modernen Lyrik befasste. In jenen Jahren war das Interesse der arabischen Leser an internationaler Lyrik sehr groß. Wie sieht das Interesse an der deutschen Literatur heute aus?

Rifka: Eine gute Frage! In der arabischen Welt sprechen und verstehen wir englisch bzw. französisch. Die deutsche Sprache blieb dabei irgendwie im Schatten. Erst seit kurzer Zeit haben die Araber ein Interesse an der deutschen Sprache und Kultur entwickelt. Der arabische Leser möchte nun das Wesen der deutschen Literatur kennen lernen. Daher rührt auch der Erfolg meiner Übersetzungen, sie sind längst vergriffen.

Sie sind zurzeit Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und arbeiten an einer neuen Anthologie deutscher Lyrik. Können Sie uns etwas über Ihr Vorhaben erzählen?

Rifka: Es handelt sich um die Herausgabe einer Anthologie moderner deutscher Lyrik. Mein Projekt bezieht sich hauptsächlich auf Gedichte, die zwischen 1930 und 1970 entstanden sind. Ich versuche zunächst, Gedichte auszuwählen, die ich übersetzen könnte, und natürlich auch solche, die dem Geschmack des arabischen Lesers entsprechen.

Können Sie uns schon verraten, welche Dichter in der Anthologie vorkommen werden?

Rifka: Ich übersetze u.a. Hans Magnus Enzensberger, Sarah Kirsch, Durs Grünbein, Michael Krüger, Joachim Sartorius, Harald Hartung, Johannes Bobrowski. Es werden insgesamt ca. 35 Dichter sein, und falls alles gut klappt, wird die zweisprachige Anthologie ca. 250 Seiten umfassen.

Warum wird die Anthologie zweisprachig sein?

Rifka: Es gibt keine Eins-zu-Eins Übersetzung. Es gibt nur eine Übertragung, oder besser ausgedrückt, es gibt nur eine Interpretation des Gedichtes. Ich möchte den Leuten, die die Übersetzung überprüfen wollen, die Gelegenheit bieten, dies zu tun. Und ich bin immer froh, wenn jemand einen Hinweis auf die Übersetzung eines bestimmten Ausdrucks macht, die nicht ganz richtig ist.

Sie sagten, dass Sie selber die Gedichte übersetzen. Welche konkreten Hürden müssen Sie beim Übersetzen überwinden?

Rifka: Es gibt viele Probleme technischer und kreativer Natur. Zum Beispiel, dass wir manchmal in der arabischen Sprache kein Äquivalent für ein bestimmtes deutsches Wort finden. Ein Beispiel: Am Ende des Gedichts "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin kommt das Wort "Klirren" vor, es war sehr schwer für mich ein Wort zu finden, das den Laut, den Klang des Wortes wiedergibt, so habe ich mir mit dem Wort "zaizaqa" aus der Umgangsprache geholfen. Zweitens benutzen manche Dichter alte Wörter, und man findet keine Entsprechung für sie in den Wörterbüchern. Drittens muss man die Originalsprache richtig beherrschen, erleben, fühlen, das ist eine andere Schwierigkeit, besonders für einen Ausländer wie ich, der außerhalb des Landes wohnt und lebt. Es gibt einige wenige Dichter aus arabischen Ländern, die in Deutschland leben und auf Deutsch dichten.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese den Sinn eines Wortes so tief und genau spüren und verstehen wie ein deutscher Dichter. Hier stellt sich die Frage nach dem Sinn von Übersetzung überhaupt. Was heißt übersetzen? Es bedeutet nicht weniger als die Übertragung einer bestimmten Kultur in eine andere. Das Gedicht besteht nicht nur aus grammatischen Strukturen, Wörtern usw. Das Gedicht reflektiert und verkörpert, bewusst oder unbewusst, eine bestimmte Kultur, und das Schwierige ist, diese Kultur in eine andere zu übertragen.

Interview: Youssef Hijazi

© Qantara.de 2007

Professor Fuad Rifka wurde 1930 in Syrien geboren. Als Kind ging er mit seiner Familie nach Libanon, wo er aufgewachsen ist. Er studierte in Beirut Philosophie und promovierte in Tübingen über die Ästhetik bei Heidegger. Auf Deutsch liegt von ihm das zweisprachige Gedichtband "Die Reihe der Tage Ein einziger Tag" (2006 Hans Schiler Verlag). "Das Tal der Rituale", Gedichte, arabisch-deutsch (2002, Straelener Manuskripte-Verlag. "Geschichte eines Indianers" (1994, Heiderhoff). "Tagebuch eines Holzsammlers", Gedichte (1990, Heiderhoff). Rifka erhielt er im Herbst 2001 den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.