''Angebote von Übersetzern sind mir willkommen!''
Herr Fähndrich, Sie haben Ihre Übersetzerlaufbahn in den 80er Jahren mit den Übersetzungen des palästinensischen Schriftstellers Ghassan Kanafani begonnen. Warum ausgerechnet mit diesem Autor?
Hartmut Fähndrich: Zu Beginn der achtziger Jahre gab es in Europa ein Interesse für die palästinensische Sache. Zum ersten Mal begannen sich einige deutsche Orientalisten mit der zeitgenössischen arabischen und insbesondere der palästinensischen Literatur zu beschäftigen. Daher rührt auch mein Interesse für die palästinensische Literatur und für Ghassan Kanafani, der als deren wichtigster Vertreter gilt.
Das führt uns gleich zu der traditionellen Frage, die man jedem Übersetzer stellen kann, ganz besonders aber einem herausragenden Übersetzer arabischer Romane und Kurzgeschichten wie Ihnen: Wie wählen Sie die Werke aus, welches ist dabei der entscheidende Faktor? Richten Sie sich nach dem deutschen Geschmack oder nach dem Erfolg des Textes in der arabischen Welt?
Fähndrich: Ich entscheide auf mehreren Ebenen. Ich reise häufig in die arabische Welt und spreche mit den Experten der zeitgenössischen arabischen Literatur. Ich frage sie nach Neuveröffentlichungen, nach wichtigen modernen Werken. Wenn man mir einige neue Titel genannt hat, gehe ich in die nächste Buchhandlung, kaufe die Bücher und beginne zu lesen. Dann überlege ich, ob sich das eine oder andere Werk zum Übersetzen eignet und vom deutschen Leser verstanden wird oder nicht.
Treffen Sie die Wahl ganz allein? Gibt es keine Expertenkomitees, die auf das Lesen literarischer Arbeiten spezialisiert sind?
Fähndrich: Nein, überhaupt nicht. In der Reihe, für die ich verantwortlich bin, wähle ich alles selbst aus.
Das heißt also, dass Sie nach dem Lesen des Textes entscheiden, ob er dem deutschen Geschmack entgegen kommt. Ist das der entscheidende Faktor? Hartmut Fähndrich ist verantwortlich für die arabische Reihe im dem kleinen Schweizer Lenos Verlag. Er übersetzte bisher mehr als dreißig Romane und Kurzgeschichten der wichtigsten arabischen Autoren ins Deutsche. 1995 erhielt er für seine Übersetzungen den Hieronymus-Ring des Verbands deutscher Schriftsteller, 1988 und 1996 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Stadt Bern ausgezeichnet.
Fähndrich: Nicht der entscheidende. Für mich ist für die Auswahl genauso entscheidend, was in der arabischen Welt diskutiert wird, welchem literarischen Werk Bedeutung zugemessen wird. Das ist sogar sehr wichtig für mich. Dann kommt der andere Punkt: Wird dieses Werk, das in seinem Ursprungsland von Bedeutung ist, auch in Deutschland auf Interesse stoßen? Das ist dann natürlich der Idealfall.
Spielt nicht die Vermarktung auch eine Rolle bei der Auswahl? Das Buch ist letzten Endes eine Ware, müssen Sie das nicht auch in Betracht ziehen?
Fähndrich: Natürlich, das ist für einen Verlag ein ganz wichtiger Aspekt. Immer wenn ich ein Buch ausgewählt habe, muss ich es dem Verlag vorstellen, bevor ich mit der Übersetzung beginne. Und da befand ich mich oft in einem Dilemma, wenn ich zum Beispiel ein Buch mochte, die Verantwortlichen im Verlag aber eine andere Meinung vertraten, da sie es nicht für den deutschen Markt geeignet fanden. Dann kann ich das Buch nicht übersetzen oder ich muss einen anderen Verlag suchen.
Sie sind verantwortlich für die arabische Reihe im Lenos Verlag sowie für die Reihe ‚Zeugnisse vom Mittelmeer’, in der manche Bücher in bis zu sieben Sprachen übersetzt wurden. In der arabischen Welt wird viel diskutiert über die Auswahl, die Sie treffen. Man blickt dort sehr kritisch auf den Westen. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?
Fähndrich: Bei der Reihe ‚Zeugnisse vom Mittelmeer’ hat nicht immer die literarische Qualität eine Rolle gespielt. Das sollte man bedenken. Alle Texte, die für diese Reihe übersetzt wurden, sollten subjektive Texte sein.
Biographien?
Fähndrich: Ja, Biographien. In dieser Reihe wollten wir dem Leser das Alltagsleben in der arabischen Welt näher bringen. Das ist für mich als Orientalist sehr wichtig, denn in Deutschland kursieren sehr seltsame Ansichten über das Leben in der arabischen Welt. Wir wählten Texte über die Kindheit in verschiedenen arabischen Ländern aus, und das war der entscheidende Faktor, nicht die literarische Qualität des Textes.
An dieser Reihe und auch an der Reihe im Lenos Verlag wird kritisiert, dass von den großen arabischen Autoren, wie etwa Abdassalam al-Udschaili, Ghaib Ta’ma Farman, Hana Mina, Hani al-Rahib und vielen anderen nichts übersetzt wurde. Stattdessen haben Sie Werke von weniger bedeutenden Autoren übersetzt, was dazu geführt hat, dass diese Autoren aufgrund der Übersetzungen bedeutend und bekannt wurden?
Fähndrich: Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß, dass es sehr viele arabische Schriftsteller gibt, und ich bin als Übersetzer nahezu allein. Wenn ein Übersetzer mir eine Übersetzung von Ismail Fahd Ismail oder von Haidar Haidar anbietet, werde ich ihm dankbar sein. Ich werde selbst bald ein Buch von Haidar Haidar übersetzen.
Wegen des Skandals, den es vor nicht allzu langer Zeit um eines seiner Bücher gegeben hat?
Fähndrich: Nein, nein, sondern weil Haidar Haidar ein Autor ist, der mir etwas bedeutet. Ich weiß sehr wohl, dass es sehr viele arabische Schriftsteller gibt und dass man nicht alles übersetzen kann. Ich frage mich aber auch: Sind die Werke, die ich bisher übersetzt habe, etwa unbedeutend?
Nein, nicht unbedeutend. Aber es drängt sich die Frage auf, warum Autoren, die für die arabische Kultur von grundlegendem Wert sind, übergangen werden. Sie haben zum Beispiel zwei Romane von Salwa Bakr übersetzt – ich will natürlich nicht den Wert von Salwa Bakr schmälern - , aber es gibt Größen in der arabischen Literatur, die bisher überhaupt nicht beachtet wurden.
Fähndrich: Wenn man ein Werk von einem Autor oder einer Autorin übersetzt, liest man viel von ihm oder von ihr. Dann ist es auch besser, mehr als einen Roman zu übersetzen, da ich seine oder ihre Werke gelesen habe und mich an seinen oder ihren Stil gewöhnt habe.
Aber Sie sind verantwortlich für eine Reihe und entscheiden damit auch über die Auswahl von anderen Übersetzern. Außerdem verlange ich ja nicht, dass Sie alles selbst übersetzen.
Fähndrich: Ich fordere immer dazu auf, mir Übersetzungen zu schicken. Und wie ich schon gesagt habe, wenn ich einen Übersetzer finde, der Abdassalam al-Udschaili oder Ismail Fahd Ismail übersetzt – herzlich willkommen.
Lassen Sie uns zum Übersetzen zurückkommen. Sie haben bisher mehr als 30 Werke aus dem Arabischen übersetzt. Wie sehen Sie die Rolle des Übersetzers? Betrachten Sie sich selbst als eine Brücke zwischen den Kulturen?
Fähndrich: Literatur ist meiner Meinung nach ein Ausdruck von Visionen und Fantasien anderer Teile der Welt, und mich interessiert die arabische Welt. Übersetzen ist meiner Ansicht nach wichtig, denn durch die arabische Literatur, die ich übersetze, übertrage ich diese Visionen und Gedanken aus jenem Fleck der Erde in meine Sprache. Das ist alles. In diesem Sinn betrachte ich mich selbst als Brücke zwischen zwei Welten, zwischen zwei Kulturen, nämlich der arabischen und der deutschen.
Wie sind Sie zum Übersetzen gekommen?
Fähndrich: Ich war ein ganz normaler Orientalist. Irgendwann habe ich mich gefragt: Ist all das, was ich in der Universität tue, wirklich von Nutzen, um die arabische Welt in Europa, und besonders in Deutschland und in der Schweiz, zu verstehen? Da wurde mir bewusst, dass das Übersetzen besser geeignet ist, die arabische Gedankenwelt nach Europa zu tragen. Und ‚Zeugnisse vom Mittelmeer’ ist die Fortführung dieses Interesses.
Wo steht Ihrer Meinung nach die arabische Literatur auf der Landkarte der Weltliteratur?
Fähndrich: Ich spreche in Wirklichkeit nicht von der arabischen Literatur im allgemeinen, sondern ich spreche über einzelne Autoren, so wie es auch in der deutschen Literatur üblich ist, wo wir wichtige und unwichtige Autoren finden. Ich halte einige arabische Autoren für sehr wichtig, weil sie tatsächlich beschreiben, was in ihren Ländern geschieht.
Es gibt derzeit eine beachtliche Übersetzertätigkeit aus dem Arabischen ins Deutsche. Glauben Sie, dass es eine Entwicklung beim deutschen Leser bezüglich arabischer Literatur gibt? Hat das Interesse an dieser Literatur zugenommen?
Fähndrich: Den deutschen Leser gibt es nicht. Es gibt nur einige Lesergruppen, die sich für die Literatur der Dritten Welt und damit für die arabische Literatur interessieren. Unter diesen hat das Interesse für die arabische Kultur meiner Meinung nach zugenommen, und das ist natürlich, denn die Werke sind jetzt erhältlich. Wie kann man sich für die arabische Literatur interessieren, wenn sie nicht in Ihre Sprache übersetzt sind?
Aber es gibt viel weniger Übersetzungen aus dem Arabischen ins Deutsche als in andere europäische Sprachen wie Englisch, Französisch oder auch Spanisch, obwohl doch der deutschen Orientalistik in der arabischen Welt großer Respekt gezollt wird.
Fähndrich: Das ist wahr und ein ganz altes Thema. Es gibt nur sehr wenige deutsche Übersetzer für Arabisch, im Vergleich zu den anderen Sprachen, die Sie erwähnt haben. Außerdem gibt es zwischen diesen Ländern und der arabischen Welt einen historischen und kulturellen Kontakt über das Mittelmeer hinweg.
Spielt nicht der Kolonialismus dabei auch eine Rolle?
Fähndrich: Dieser Kontakt ist schon älter als der Kolonialismus.
Wie beurteilen Sie nach dieser langen Erfahrung mit dem Übersetzen Ihre Anfänge? Beschreiten Sie noch immer den gleichen Weg oder hat es in Ihrem Stil eine Entwicklung gegeben?
Fähndrich: Ich hoffe, dass sich mein Stil verbessert hat. Meine lange Erfahrung befähigt mich jetzt, die verschiedenen Stile der Autoren zu unterscheiden. Ich kenne viele arabische Autoren und ihren Stil, und ich kann leichter als früher die verschiedenen Charakteristika eines Textes erkennen.
Und geben Sie diese Charakteristika, d.h. die Seele des Textes in der Übersetzung an den deutschen Leser weiter?
Fähndrich: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Das ist ja allgemein das Problem beim Übersetzen. Jedes Wort steht in jeder Sprache in einem unterschiedlichen Bedeutungszusammenhang. Selbst innerhalb der europäischen Sprachen ist das so. Nehmen wir zum Beispiel das deutsche Wort ‚Haus’. Es hat eine andere Bedeutung als das französische ‚Maison’. Im Arabischen ist der Unterschied noch größer.
Beeinflusst denn die im Arabischen und im Deutschen sehr unterschiedliche Syntax die Übertragung des Textes? Oder kümmern Sie sich gar nicht darum, sondern denken nur an das Endprodukt?
Fähndrich: Beides. Natürlich hat die deutsche Sprache sehr genaue Syntaxregeln, die ich nicht übergehen kann. Gleichzeitig aber versuche ich soweit wie möglich, den arabischen Text nachzuahmen. Letzten Endes erwartet aber der deutsche Leser, ein deutsches Buch zu lesen.
Haben Sie nie daran gedacht, Poesie zu übersetzen?
Fähndrich: Nein, absolut nie.
Sie und Ibrahim al-Koni bilden ein schönes Gespann. Sie haben bisher vier seiner wichtigsten Romane übersetzt, und diese Werke haben in Deutschland ein sehr positives Echo gefunden. Was ist es, was Sie an diesem Autor und seinem Werk fasziniert?
Fähndrich: Ich habe zum ersten Mal 1994 in Paris von Ibrahim al-Koni gehört. Ich hatte dort einige arabische Intellektuelle getroffen, Journalisten und Schriftsteller, und sie fragten mich, ob ich al-Koni kennen gelernt hätte, da er auch in der Schweiz wohne. Ich hatte vorher noch nie von diesem Autor gehört, aber ihre Diskussion über ihn weckte meine Neugier. Am nächsten Tag ging ich zur Buchhandlung ‚Ibn Sina’ in Paris und kaufte einige seiner Bücher. Auf dem Rückweg in die Schweiz begann ich den Kurzgeschichtenband ‚Der Käfig’ im Zug zu lesen und beschloss, etwas von ihm zu übersetzen. Dann rief ich ihn an, und so begannen wir zusammen zu arbeiten und wurden zu diesem Gespann, wie Sie sich ausdrückten.
Interview: Ahmad Hissou; © 2001 Ahmad Hissou