"Assad will mit Gewalt an der Macht bleiben"
Stimmt es, dass der Syrische Nationalrat nur an der von der internationalen Gemeinschaft geplanten Friedenskonferenz teilnehmen wird, wenn der syrische Präsident Baschar al-Assad zurücktritt?
Georges Sabra: Ja, das stimmt. Niemand kann davon ausgehen, dass sich das politische System in Syrien ändern wird, wenn Baschar al-Assad an der Macht bleibt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat der Welt gesagt, dass Assad Menschenrechte verletzt. Wie kann da jemand glauben, dass dieser Mörder noch Präsident sein kann?
Glauben Sie, dass Assad ernsthaft am Frieden interessiert ist oder steht er nur unter Druck?
Sabra: Ich glaube ihm ganz und gar nicht. Niemand kann das ernsthaft glauben. In Städten in der Nähe von Damaskus, zum Beispiel in Duma, verhungern Menschen. Assad hat seine eigene Bevölkerung mit Chemiewaffen angegriffen und Tausende getötet. Wer so handelt, kann nicht ernsthaft an einer friedlichen Lösung interessiert sein.
Die Syrische Nationale Koalition (SNC) will sich in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie Vertreter zu den Friedensgesprächen nach Genf schickt. Wie ist die Haltung des Syrischen Nationalrates dazu?
Sabra: Wir als Nationalrat haben uns bereits entschieden: Unter den jetzigen Bedingungen werden wir nicht nach Genf reisen. Wir verlangen, dass sich etwas bewegt, dass etwas Neues passiert. Aber die Syrische Nationale Koalition - zu der wir auch gehören - will sich am 1. und 2. November versammeln und endgültig entscheiden, ob wir an der Konferenz teilnehmen.
Sie sagen, die Voraussetzungen müssten sich ändern. Was genau meinen Sie damit?
Sabra: Als erstes muss das syrische Regime aufhören, die eigene Bevölkerung zu töten. Seit zwei Jahren sterben nicht nur täglich, sondern stündlich Menschen. Unsere zweite Bedingung ist, dass sich die libanesische Hisbollah-Miliz aus Syrien zurückzieht. Drittens verlangen wir eine Garantie vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dass Baschar al-Assad keinen Posten in der Übergangsregierung bekommen und auch anschließend nicht mehr an die Macht kommen wird.
Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Bedingungen erfüllt werden?
Sabra: Wir glauben nicht daran. Denn Baschar al-Assad hat sich dafür entschieden, mit Gewalt an der Macht zu bleiben. Er will dieses Spiel nur mit Krieg gewinnen. Soweit wir wissen, ist er nicht ernsthaft an einer friedlichen Lösung interessiert. Wenn das so bleibt, werden wir nicht an den Friedensgesprächen teilnehmen.
Glauben Sie denn noch an eine diplomatische Lösung in absehbarer Zeit?
Sabra: Daran habe ich keine Zweifel. Wir müssen weiter an eine politische Lösung glauben und am Ende werden wir diese auch erreichen. Aber wir bitten unsere Freunde und die internationale Gemeinschaft, die Voraussetzungen für diese Lösung zu schaffen. Wir bitten sie, Syrien zu helfen, sich selbst gegen Assad zu verteidigen. Wir müssen Assad klarmachen, dass er den Krieg in Syrien nicht gewinnen kann. Der einzige Weg, das zu erreichen, ist, die Freie Syrische Armee und das syrische Volk darin zu unterstützen, sich zu verteidigen.
Das wäre allerdings keine diplomatische Lösung. Sie sprechen ja davon, die Freie Syrische Armee mit Waffen oder Geld zu unterstützen. Das wäre eine militärische Lösung.
Sabra: Ja, das weiß ich. Aber leider müssen wir manchmal Gewalt anwenden, um zu einer politischen Lösung zu kommen.
Präsident Assad hat in einem Interview im libanesischen Fernsehen gesagt, er würde möglicherweise 2014 erneut bei der Präsidentschaftswahl kandidieren. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für den Friedensprozess?
Sabra: Das ist unglaublich. Dass jemand, der in zweieinhalb Jahren mehr als 120.000 Menschen getötet hat, der sein Land zerstört, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, überlegt, noch einmal Präsident zu werden, macht das Gerede des syrischen Regimes über die Friedensgespräche unglaubwürdig.
Im selben Interview sagte Assad, er traue der Opposition nicht zu, Syrien zu regieren, da viele Oppositionspolitiker im Exil leben. Wie sehen Sie das?
Sabra: Das ist eine große Lüge. Ich zum Beispiel habe mich mehr als 40 Jahre meines Lebens für Demokratie in Syrien eingesetzt. Ich bin seit 1970 in der Opposition gegen Baschar al-Assad und zuvor gegen seinen Vater. Mehrmals musste ich dafür ins Gefängnis. Einmal verbrachte ich acht Jahre in Gefangenschaft. Erst 2012 musste ich mein Land verlassen. Niemand kann behaupten, ich sei ein Exilpolitiker.
Glauben Sie, es wird jemals Friedensgespräche zwischen der Opposition und dem Assad-Regime geben oder ist das nur eine Vision des Westens?
Sabra: Ich glaube, wir verlieren nur Zeit damit und geben Assad mehr Zeit, das Spiel zu gewinnen, indem er Gewalt gegen das syrische Volk anwendet. Die internationale Gemeinschaft sollte sehen, dass es im Nahen Osten zunehmend Probleme geben wird, solange Assad an der Macht ist. Er versucht, den Syrien-Konflikt auf Länder wie den Libanon, die Türkei und den Irak auszuweiten. Das ist gefährlich für die gesamte Region.
Interview: Najima El Moussaoui
© Deutsche Welle 2013
Der syrische Politiker Georges Sabra wurde 2012 in Doha zum Präsidenten des Syrischen Nationalrates gewählt - der größten Vereinigung innerhalb der Syrischen Nationalen Koalition. Seit den 1970er Jahren ist er in der syrischen Opposition aktiv.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de