Wütende Vögel singen nicht
Sie schreiben seit Jahren als Autorenduo Angry Birds zusammen Texte.
Hört sich nach einem Bandnamen an. Ist das ein Hinweis auf Beat oder Popkulturelles?
Marianna Salzmann: Wir hören keinen Pop.
Deniz Utlu: Das ist eine Punkband.
Salzmann: Wir schreiben seit zehn Jahren zusammen und haben uns eigentlich immer als Band verstanden. Als dann als Reaktion auf die erstarkenden Rechtstendenzen in der sogenannten deutschen Mitte das "Manifest der Vielen" herauskam, haben wir auf der Loungeparty zu einer ziemlich seltsamen Musik getanzt, von der eine Freundin meinte: "Mensch, das klingt ja wie Angry Birds!" Deniz und ich fanden den Namen gut: Wutvögel.
Klingt militant.
Utlu: Unser Kollege und Mitstreiter Mutlu Ergün Aka Sesperado nennt das "Lyrical Guerilla".
Als Sie sich kennenlernten, sollen Sie 16, bzw. 18 Jahre alt gewesen sein.
Was hat Sie aneinander interessiert?
Utlu: Marianna stand alleine auf einer großen Party herum und hatte eine Sonnenbrille und eine Pistole.
Salzmann: Eine orangefarbene Sonnenbrille und eine schwarze Plastikpistole.
Utlu: Dann habe ich ihr gesagt: Du hast Dinge, die ich dringend brauche.
Salzmann: Später waren wir beide in der Hannoveraner Literaturszene engagiert. Deniz organisierte viele Lesungen, ich das "Global Open Stage", eine Art polyglottes Poetry Slam. Wir gründeten schließlich unser Magazin Freitext. Irgendwann sagte Deniz dann: "Mensch, wir vermissen doch beide das Gleiche an der Literaturszene! Und Bücher, die es nicht gibt, muss man eben selbst schreiben – sollen wir das nicht einfach tun?"
Was genau haben Sie vermisst?
Utlu: Wir wussten es nicht so genau. Wir haben einfach angefangen, etwas zu machen, was es für uns in Buchläden nicht gab. Es war gar nicht politisch etikettiert, sondern wir hatten eher das Gefühl, da ist etwas in der Literaturszene, was mit uns nichts zu tun hat.
Salzmann: Heute können wir dafür Worte benutzen wie transkulturelle Perspektiven, marginalisierte Stimmen. Aber das ist nur heute so, nach zehn Jahren.
Geht Ihr Bewusstwerden für den Ansatz Ihrer eigenen Arbeit auch mit einem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein einher? Ist zum Beispiel das postmigrantische Theater, das im Ballhaus Naunynstraße produziert wird, oder auch das Magazin "Freitext" für migrantische Literatur, inzwischen mehr in der Gesellschaft angekommen?
Utlu: Sicherlich hat eine Änderung stattgefunden, aber eher punktuell als signifikant. Das Ballhaus Naunynstraße war beispielsweise bis vor zwei Jahren noch Subkultur. Freitext feierte vor einem Monat die 20. Ausgabe, das heißt 10-jähriges Jubiläum, und das Theater war voll. Es waren Künstler, Verleger, Wissenschaftler, Sozialforscher da, und alle waren absolut erstaunt, wie es gehen kann, dass ein Magazin ein Theater voll bekommt.
Das heißt, wir haben da ein Publikum gefunden, das inzwischen weit über Deutschland hinaus, bis nach Istanbul oder San Francisco, geht, gleichzeitig haben wir das Gefühl, dass die deutsche Medienlandschaft immer noch eine Gleichgültigkeit gegenüber bestimmten Themen pflegt. Und daran hat sich, egal ob wir nun 16 und 18 oder 26 und 28 sind, nicht viel geändert.
Salzmann: Nein, eher im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, heute in einem anderen Deutschland zu leben, als das, in dem ich aufgewachsen bin. Seit 2011, und das kommt ganz klar auch vom deutschen Umgang mit dem NSU her, sitzen viele unserer Freunde auf gepackten Koffern.
Früher hatte ich eher einen künstlerischen Anspruch an unser Magazin, heute ist es in erster Linie ein politischer. Ich denke, wir müssen jetzt, sofort, vor allem sehr, sehr laut sein. Und Freitext ist ja nicht nur ein Printmagazin, sondern auch ein Netzwerk für Aktionen, Veranstaltungen und Unterstützung, wenn jemand Hilfe braucht.
Frau Salzmann, Sie bezeichnen sich manchmal etwas provokativ als "privilegierte weiße Europäerin". Aber man hat ja manchmal auch den Eindruck, Sie seien als gebildete und begabte "Migranten" bzw. "Postmigranten" in einer Kulturszene, die sich selbst zur eigenen Offenheit gratuliert, derzeit privilegiert?
Salzmann: Vorzeigemigranten hat man schon immer gern gehabt.
Utlu: An dieser Stelle sei auch noch mal ein Wort zum Begriff des "Postmigrantischen" gestattet. So wie Shermin Langhoff und das Ballhaus ihn etabliert haben, war das revolutionär. Das hat ein klares Zeichen gesetzt, dass die Debatten anders laufen müssen. Aber identitär gibt es keine Postmigranten, genauso wenig wie Menschen mit Migrationshintergrund. Und ich denke auch nicht, dass es in der kulturellen Szene ein Privileg mit sich bringt, dass ich von außen so gesehen werden kann.
Das Interesse beschränkt sich eher auf den Vorführeffekt, wenn man ihn gerade mal braucht. Aber der hält eben nur so lange an, wie auch das Bühnenlicht an ist. Und genau das spiegelt sich auch in der Szene wider. Es gibt zum Beispiel seit 15, 20 Jahren so viele großartige deutsch-türkische Filmemacher. Wie viele kennt man davon?
In der Literaturszene ist es nicht sehr viel anders. Es heißt, dass Sie im nächsten Jahr eine postmigrantische Literaturwerkstatt starten wollen. Wird dort ausschließlich auf Deutsch geschrieben?
Utlu: Das ist erst einmal unser Ausgangspunkt. Grundsätzlich aber muss deutsche Literatur nicht auf Deutsch geschrieben werden. Aras Ören, sozusagen der Vorreiter der postmigrantischen Literatur, hat auf Türkisch geschrieben, wurde hier aber erstveröffentlicht. Im Prinzip sollte die Sprache der Werkstatt freigestellt sein.
Salzmann: Inzwischen heißt die Werkstatt "Neue deutsche Stücke", eine Kooperation zwischen dem Berliner Gorki-Theater, das ab Sommer 2013 von Shermin Langhoff geleitet wird, und dem Ballhaus Naunynstraße. Den postmigrantischen Ansatz gibt es, weil wir damit sagen wollen, dass unsere Gesellschaft per se eine postmigrantische ist. Für die Werkstatt haben wir nach Autoren und Themen gesucht, die das repräsentieren.
Frau Salzmann, in Ihrem Essay "Wer hat wann wem wie gesagt, dass ich Jüdin bin" schreiben Sie von einem neuen gesellschaftspolitischen Schachzug Europas. Man definiert nun – vielleicht seit 9/11 – plötzlich eine jüdisch-christliche Tradition gegen eine islamische. Erfahren Sie solche Zuschreibungen am eigenen Leib und ist Ihre Band auch eine Ansage dagegen?
Salzmann: Ein Beispiel, mein Stück "Weißbrotmusik": 170 Jugendliche, 14-plus, und ihre Lehrer. Meistens gehe ich danach auf die Bühne und rede mit ihnen. Wiederholt kam von den Lehrern die Frage "Eine Freundschaft zwischen Juden und Türken – soll das eine Provokation sein"? Dann erkläre ich den Lehrern erst einmal, dass die Deutschen die Türken für ihren Antisemitismus noch nie gebraucht haben. Das öffnet dann natürlich ein Fass. Es endet dann meistens so, dass ich von der Erfahrung meines Bruders erzähle, der jetzt gerade Abitur gemacht hat, und zwar unter deutschen Mitschülern, bei denen das Wort "Jude" inzwischen wieder ein Schimpfwort ist. Und das wiederum bestätigen mir dann die Kids, die vor mir sitzen.
Das Bild, was zurzeit gesellschaftlich hervorgebracht wird, nachdem Antisemitismus aus den arabischen Ländern und der Türkei importiert werden soll, regt mich auf. Und tatsächlich habe ich auch schon öfters die Frage gehört, ob Deniz und ich uns darum zusammengetan haben. Aber das empfinde ich auch als eine Beleidigung.
Utlu: Wir haben uns zusammengetan, bevor wir überhaupt zu Juden und Türken wurden.
Salzmann: Ja, bevor wir als das verkauft wurden, was wir jetzt sind, haben wir einfach zusammengearbeitet.
Interview: Astrid Kaminski
© Qantara.de 2012
Marianna Salzmann kam bereits als Zehnjährige aus Russland nach Deutschland. Die Dramatikerin erhielt 2012 den Kleist-Förderpreis und gilt spätestens seitdem als Shootingstar der Szene. Derzeit ist sie als Tarabya-Stipendiatin in Istanbul. Der Autor und Essayist Deniz Utlu wuchs als Sohn türkeistämmiger Eltern in Deutschland auf und erhielt zuletzt den Ulrich-Beer-Förderpreiserhalten.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de