"Wir betreiben keinen Kulturimport"
Warum feierte das Beiruter Goethe-Institut noch im 51. Jahre des Bestehens den 50. Geburtstag?
Rolf Stehle: Das ist richtig, wir feierten bis in dieses Jahr hinein und hatten das ganze Jahr 2005 über ein besonderes Programm. Eigentlich waren die Feierlichkeiten für das Frühjahr 2005 angesetzt. Aber wegen der politischen Entwicklungen nach dem Tod des Ex-Premierministers Rafiq Hariri und den Wahlen im Sommer haben wir unsere Feierlichkeiten verlegen müssen. Aber ein Kulturinstitut bewegt sich eben in dem sozialen und politischen Kontext des jeweiligen Landes.
Ein halbes Jahrhundert ist eine lange Zeit. Keine elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war Beirut der erste Standort eines Goethe-Instituts in der arabischen Welt. Warum Beirut?
Stehle: Das Institut in Beirut wurde 1955 eröffnet, nachdem 1953 eines in Athen und im Jahr darauf Institute in Turin und Thessaloniki aufmachten. Deutschland hatte sich mit den Gräueltaten des Krieges in der Staatengemeinschaft diskreditiert. Außenpolitik im kulturellen Bereich war auch der Versuch, wieder Anschluss und einen neuen Zugang zur Weltgemeinschaft zu finden.
Der Libanon war das erste arabische Land, das diese Einladung annahm. 1958 kam das Institut in Tunis hinzu, ein Jahr später folgten Alexandria und schließlich Rabat. Damals sollte mit klassischer Musik, mit Ensembles, die aus Deutschland in die Region kamen, und mit Wortprogrammen ein neues Deutschlandbild vermittelt werden. Hinzu kam die Spracharbeit.
Selbst während der 15 Jahre Bürgerkrieg blieb das Institut als einziges ausländisches Kulturinstitut offen, und die Räume und das Programm des Goethe-Instituts waren im Krieg eine Anlaufstelle für die Kulturschaffenden.
Wie hat sich das Programm des Goethe-Instituts seitdem verändert?
Stehle: Wir verstehen unsere Arbeit als einen Dialog mit hiesigen Partnern. Wir betreiben keinen Kulturimport. Das Goethe-Institut sucht mit lokalen Partnern gemeinsame Themen. Nachdem man interessante Projekte gefunden hat, entwickeln wir sie gemeinsam und führen sie dann durch.
Die Themen müssen gesellschaftlich relevant sein. Es sind auch Themen, die nicht direkt mit Deutschland zu tun haben, in die aber der Pluralismus, für den Deutschland steht, mit einfließt.
Ich verstehe unsere Kulturarbeit auch als Konfliktprävention, deswegen organisierten wir zum Bespiel die Diskussionsreihe "Let´s talk". Diese Diskussionsreihe wurde mit einer libanesischen Nichtregierungsorganisation und der Friedrich-Ebert-Stiftung 2004 organisiert.
Jugendliche wurde eingeladen, sich zu Themen wie Demokratisierung, Migration oder auch Konfessionalismus auszutauschen. Die Jugend ist sicherlich eine wichtige Zielgruppe für unsere Arbeit. Die arabische Welt ist eine junge Gesellschaft. Mit Themen aus der Gesellschaft heraus sprechen wir sie an.
Mit einem Filmprojekt haben wir Jugendliche aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Religionen involviert. Mit libanesischen Künstlern haben die Schüler und Schülerinnen sich die grundlegenden Techniken des Filmemachens angeeignet. Das Thema dieses Projekts war Diskriminierung und Vorurteile.
Die Jugendlichen entwickelten dann, nachdem sie zuvor an einem Workshop zum Thema Vorurteile und Konflikte teilgenommen hatten, Drehbücher und machten Reportagen aus ihrer Umgebung. Die 10-20 Minuten langen Filme liefen dann auf Filmfestivals. Bei solchen Projekten finden Jugendliche oft zum ersten Mal ihren Weg in den konfessionell "anderen" Teil der Stadt.
Wie hat sich das Programm des GI verändert, vor allem nach dem 11. September?
Stehle: Ich glaube, dass zivilgesellschaftliche Themen noch stärker in den Blickpunkt gerückt sind. Aber auch die Formen haben sich weiterentwickelt. Gegenwärtig werden Austauschprogramme verstärkt initiiert.
Zum Beispiel der "West-östliche Diwan". Dies ist ein Schriftstelleraustausch. Arabische Schriftteller verbrachten mit einem deutschen Literaten einige Wochen in Deutschland. Dann kam es zum Gegenbesuch. So wurde nicht nur die literarische, sondern auch die Begegnung im Alltag gefördert.
In diesem Projekt, das mit anderen Partnern zusammen organisiert wurde, waren die Schriftsteller angehalten, einen Essay über ihre Erfahrungen zu schreiben. Michael Kleeberg jedoch schrieb ein Buch über seine Erfahrungen im Land der Zedern, und sein Austauschpartner Abbas Beydoun veröffentliche seine Berlin-Impressionen in einem Gedichtband.
Rachid Daif, der 2004 an dem Austauschprogramm teilgenommen hatte, setzt sich jetzt mit dem Schriftsteller Joachim Helfer und dessen Homosexualität in einem Buch auseinander. Helfer antwortete dann auf Daifs Buch. Ein wirklicher Dialog von Literaten und durch Literatur, der kulturanthropologisch äußerst interessant ist.
Kulturarbeit ist also nicht nur Information über die Kultur der jeweiligen Länder. In diesem Kontext muss man auch betonen, dass die arabische Welt besser über uns informiert ist, als umgekehrt. Auch findet ein Dialog nicht zwischen Kulturen, sondern zwischen Individuen statt. Also sollte es das Ziel sein, möglichst viele Leute in diese Begegnungen zu involvieren.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen, eigentlich hat sich nicht viel geändert. Von Anfang an wollten wir keine kulturelle Einbahnstrasse. Aber die kulturelle "Zweibahnstrasse" des Goethe-Instituts ist ausgebaut worden. Auch Kulturpolitik als Konfliktprävention und im Kontext des Dialogs ist nach dem 11. September akzentuiert geworden.
Warum treten im Rahmen des Programms des Goethe-Instituts englischsprachige Rap-Bands oder eine deutsch-türkische Video-Künstlerin auf?
Stehle: Wir wollen ein aktuelles und authentisches Bild vom gegenwärtigen Land Goethes vermitteln. Urban-Dance-Künstler wie Nils "Storm" Robitzky machen innovative Projekte und bringen neue Konzepte in die Region. Er ist Teil der deutschen Kunstszene. In unserer globalisierten Welt verstehe ich solche Künstler als Bereicherung.
Als Robitzky hier war, gab er nicht nur ein Konzert, wir organisierten auch einen Workshop mit lokalen Künstlern, um die Inhalte zu vertiefen und Fertigkeiten zu vermitteln. Die Sprache ist nur sekundär. Meist wird in Englisch kommuniziert.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Kulturträgern in Beirut?
Stehle: Das Goethe-Institut versteht sich als nationales und europäisches Kulturinstitut. Selbstverständlich gibt es Kooperation und Koordination; auch werden Projekte von der europäischen Delegation organisiert.
Das europäische Filmfestival ist das erfolgreichste Filmevent im Libanon. Wir haben mit dem französischen Kulturinstitut bei Filmreihen, Kinderbuchprojekten, aber auch bei der Urban-Dance-Veranstaltung mit Robitzky zusammen gearbeitet. Andere Kulturinstitute konzentrieren sich auf den Sprachunterricht.
Dennoch, projektbezogene Arbeit hat an Bedeutung zugenommen. Zwei von vier Projekten sind durch Drittmittel finanziert. Wir müssen oft Projekte erfinden und "erschreiben". Häufig kommen in Rahmen solcher Projekte Kooperationen mit anderen europäischen Kulturträgen zustande.
Welches ist das größte Problem der Kulturarbeit im modernen Beirut und der Region?
Stehle: Allgemein sind die begrenzte institutionelle Infrastruktur und fehlende öffentliche Mittel ein Problem. Es gibt kein festes Theaterensemble oder keine Tanzkompanie. Es wird projektbezogen gearbeitet. Es gibt viele Idealisten, die mit bescheidenen finanziellen Mitteln und ohne soziale Sicherheit viel auf die Beine stellen. Hier gilt es zu unterstützen und strukturbildend zu wirken.
Als Goethe-Institut in Beirut konnten wir unsere Kapazitäten in den letzten Jahren ausbauen. Obwohl die Zahl der entsandten Kräfte weltweit abgenommen hat, werden wir hier in Beirut heute von neuen Kollegen aus Deutschland unterstützt. Sicherlich ein Zeichen für eine verstärkte Bedeutung der Kulturarbeit in Beirut.
1998 wurde das Institut in Ramallah eröffnet, dieses Jahr eines in Abu Dhabi. Auch daran wird deutlich, dass die Arbeit in der Region zu den Schwerpunkten des Goethe-Instituts zählt.
Interview Bernhard Hillenkamp
© Qantara.de 2006
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