Literatur als Motor für den Dialog

Das diesjährige internationale Literaturfestival Berlin möchte neue Akzente in der literarischen Kommunikation zwischen Europa und der arabischen Welt setzen. Ein Gespräch mit dem Festivalleiter, Ulrich Schreiber.

Interview von Mohamed Massad
Ulrich Schreiber; Foto: Selma Marie Schreiber
"Die arabische Literatur wird außerhalb ihrer Herkunftsländer kaum verlegt und gelesen", meint Ulrich Schreiber; Foto: Selma Marie Schreiber

​​Der Fokus des Literaturfestivals liegt dieses Jahr auf der arabischen Welt. Wie sieht das Programm dafür aus?

Ulrich Schreiber: Das Internationale Literaturfestival Berlin ist das internationalste aller internationalen Literaturfestivals weltweit. Es lädt jedes Jahr über 150 Autorinnen und Autoren der Genres Prosa und Lyrik aus rund 50 Ländern und allen Kontinenten ein, die in knapp 300 Veranstaltungen ihre Werke vorstellen und über sie diskutieren. In der Sparte "Reflections" werden wichtige politische Themen aufgegriffen - in diesem Jahr z.B. das Thema der Zukunftsvisionen des arabisch-westlichen Dialoges.

Die Programmreihe "Erinnerung, sprich" beinhaltet Lesungen von Texten verstorbener Autoren - der Spannungsbogen geht dabei von Homer bis Mahmoud Darwish. Eine wichtige Programmsparte ist das Programm "Internationale Kinder- und Jugendliteratur" - mehr als 10.000 unserer über 30.000 Besucher sind noch im Schulalter und stürmen in den Morgenstunden ins Haus der Berliner Festspiele zu Lesungen. In den letzten Jahren haben wir stärker die junge Literatur betont, also Autoren eingeladen, die international noch gar nicht bekannt sind, aber in ihren Heimatländern mit Debut-Werken schon Ansehen erworben haben.

Das Festival lud in den vergangenen Jahren bereits einige Autoren und Musiker aus arabischen Ländern ein. Die auch hierdurch entstandenen Kontakte und die Kenntnis der arabischen Literatur sollen entschieden vertieft werden.

Wir wollen Berlin unseren Gästen aus dem arabischen Raum eine Bühne eröffnen, die ihnen die Möglichkeit einer authentischen Vermittlung ihrer Literatur, ihrer geistigen, kulturellen und politischen Haltungen gibt. Uns geht es um die Frage: Welche Fragen bewegen die arabische Welt?

Warum liegt der diesjährige Fokus auf der arabischen Welt?

Logo des 9. Literaturfestivals Berlin
Das Festival möchte dem deutschen Publikum besonders junge Autoren aus der arabischen Welt bekannter machen.

​​ Schreiber: Ich denke, dass es gerade nach den Entwicklungen der letzten Jahre dringend notwendig geworden ist, ein besseres Verständnis für die arabischen Kulturen im Westen zu erreichen. Und welches Kunstgenre vermag dies besser als die Literatur, in der wir von den privatesten Wünschen, Hoffnungen und Ängsten der Menschen erfahren?

Anliegen des Fokus "Arabischer Raum" beim 9. internationalen Literaturfestival Berlin ist es, den Kulturkreis der arabischen Welt für das interessierte Publikum zu öffnen, das gegenseitige Verständnis zu fördern und Kontakte zwischen Künstlern, Vermittlern und Autoren anzuregen.

Welche Kriterien haben Sie bei der Auswahl der arabischen Autorinnen und Autoren angelegt?

Schreiber: Vorweg möchte ich zur Auswahl sagen, dass wir uns, wie jedes Jahr, sehr viel Mühe gegeben haben, das literarische Terrain annähernd zu erfassen.

Natürlich kam es uns auf die literarische Qualität an. Wir ließen uns diesbezüglich von ehemaligen Gästen aus dem arabischen Raum, von Übersetzern aus dem Arabischen, Verlegern arabischer Prosa und Lyrik in Europa, den Goethe-Instituten im arabischen Raum und vor Ort von uns empfohlenen Autoren aus Kairo, Alexandria, Ramallah, Dubai, Beirut, Damaskus und auch aus Israel beraten, wo ja etliche arabische Autoren leben.

Es ging darum, die besten Autoren dieser Region, auch der jüngeren Generation, die Deutschland noch nicht kennen, für eine Teilnahme zu gewinnen.

Wie beurteilen Sie den Austausch zwischen der arabischen und der deutschen Literatur?

Schreiber: Verschiedene Kulturprojekte stellen ja schon die dialogische Komponente in den Beziehungen des westlich-europäischen und des arabischen Raumes in den Vordergrund. Im Geist dieser Projekte, wie etwa Peter Ripkens Arbeit in der Frankfurter Buchmesse oder dem "West-Östlichen Diwan", einem Berliner Projekt, das durch Begegnungen von Autoren des Nahen Ostens und Deutschlands sich dem Ziel verschrieb, die wechselseitige Kenntnis der Literaturen zu verbessern, sollte der Schwerpunkt realisiert werden.

Assia Djébar; Foto: dpa
Eine der Teilnehmerinnen am diesjährigen Berliner Literaturfestival: Assia Djebar, Preisträgerin des Friedenspreis des deutschen Buchhandels; Foto: dpa

Die Beschäftigung mit den Literaturen und Kulturen dieser Länder hat nach dem 11. September 2001 zwar zugenommen – deutlichster Ausdruck hierfür war der Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2004. Grundsätzlich hat sich aber an der Rezeptionslage kaum etwas geändert: Die arabische Literatur wird außerhalb ihrer Herkunftsländer kaum verlegt und gelesen. Die bisherigen Begegnungen hatten einen noch zu marginalen Charakter.

Welche Erwartungen stellen Sie an das diesjährige Festival?

Schreiber: Dass es ein Meilenstein in der literarischen und kulturellen Kommunikation mit der arabischen Welt werden kann, dass Freundschaften geschlossen und neue Pläne deutscher Besucher entstehen, diese Länder auch zu bereisen und den Kontakt dort zu vertiefen.

Interview: Mohamed Massad

© Qantara.de 2009