Stabilität kann nicht der Maßstab sein

Die USA begründen ihre Politik des "maximalen Drucks" gegenüber dem Iran damit, dass er die Region "destabilisiere". Doch weder ist Stabilität das richtige Kriterium zur Beurteilung der Politik im Mittleren Osten, noch verhält sich Teheran grundsätzlich anders als seine Nachbarn, kommentiert Ulrich von Schwerin.

Von Ulrich von Schwerin

Vor mehr als einem Jahr hat US-Präsident Donald Trump den Ausstieg seines Landes aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran erklärt und eine Politik des "maximalen Drucks" gegenüber der Islamischen Republik verkündet. Seitdem hat er nicht nur die iranische Wirtschaft in die Krise getrieben, sondern auch die Region an den Rand eines Krieges. Als Begründung für seinen Kurs nennt er Irans "aggressive", "expansive" und "destabilisierende" Außenpolitik. Als Ziel gibt er an, den Iran dazu zu bringen, sich wie eine "normale Nation" zu verhalten.

Nun ist aber die Frage, was in dieser konfliktreichen Region eigentlich als "normal" gelten kann, und ob "Stabilität" wirklich der richtige Maßstab zur Beurteilung der Politik ist. Die Frage ist umso wichtiger, da es nicht allein Trump ist, der dem Iran die "Destabilisierung" der Region vorwirft. Trotz all ihrer Differenzen mit Trump teilen auch die Europäer diese Sichtweise. Allgemein gilt der Iran im Westen als ideologischer, gefährlicher und unberechenbarer Akteur.

Tatsächlich verfolgt der Iran aggressiv seine Interessen in der Region und unterstützt verschiedene Milizen und Parteien, um in Syrien, Irak, Libanon und Jemen seinen Einfluss auszuweiten. Allerdings ist er mit dieser Politik keineswegs allein. Vielmehr gleicht er darin Saudi-Arabien, den Emiraten, Qatar und der Türkei, die selbst direkt oder indirekt in den Konflikten der Region interveniert sind, um ihre Interessen zu verteidigen und ihren Einfluss zu erweitern.

Geostrategische Einflussnahme vieler Akteure

Im syrischen Bürgerkrieg etwa haben Riad, Doha und Ankara über Jahre Rebellengruppen finanziert, ausgerüstet und trainiert, darunter auch radikale Islamisten. Dass es ihnen dabei zuvorderst um die Verwirklichung von Demokratie, Bürgerrechten und einer gerechten Ordnung in Syrien ging, darf bezweifelt werden. Die Türkei hat außerdem seit 2016 im Kampf gegen die syrischen Kurden große Gebiete im Norden Syriens erobert und hält sie bis heute besetzt.

Nach der Machtergreifung der Huthi-Rebellen im Jemen haben Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten 2015 zudem in den inner-jemenitischen Machtkampf eingegriffen, um zu verhindern, dass das Land in die Einflusssphäre des Iran fällt. Durch ihre Intervention haben sie aus einem internen Konflikt einen internationalen Stellvertreterkrieg gemacht. Die Folge sind tausende tote Zivilisten, die Zerstörung der Infrastruktur und eine beispiellose humanitäre Krise.

Lebensmittelverteilzentrum für die notleidende Zivilbevölkerung in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa; Foto: picture-alliance/dpa
Desaströse humanitäre Situation: Der Jemen leidet unter einem andauernden Bürgerkrieg. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Situation als die derzeit schwerste humanitäre Lage weltweit. Im dem Krieg kämpft eine von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz gegen die schiitischen Huthi-Milizen, die vom Iran unterstützt werden. Sie halten seit fast fünf Jahren große Teile des Nordjemens besetzt.

Auch der Bürgerkrieg in Libyen ist durch die Einmischung der Emirate, Ägyptens und der Türkei seit dem Sturz Gaddafis 2011 zu einem internationalen Kampf um Einfluss geworden. Im Libanon wiederum mischen nicht nur der Iran, Syrien und Israel seit Jahrzehnten in der Politik mit, sondern auch Riad, dessen Kronprinz den Ministerpräsidenten 2017 zum Rücktritt zwang und unter Arrest stellte, weil er mit der proiranischen Hisbollah-Miliz kooperierte.

Der Iran ist also keineswegs allein darin, sich in fremden Ländern einzumischen. Vielmehr versuchen fast alle Staaten der Region, durch Geld, Waffen und eigene Truppen die Konflikte in den Nachbarländern zu beeinflussen. Gerade Riad ist bei der Verfolgung seiner Interessen kaum weniger aggressiv und rücksichtslos als der Iran. Würde es nicht zynisch klingen, könnte man sagen, dass Teherans Verhalten im Mittleren Osten durchaus "normal" sei.

Keine Kraft des Friedens und der Stabilität

Zweifellos ist der Iran keine Kraft des Friedens und der Stabilität. In Saudi-Arabien und Bahrain unterstützt er die schiitische Opposition, um die Königshäuser zu destabilisieren. Mit der Hamas und der Hisbollah protegiert er zwei Bewegungen, deren erklärtes Ziel die Beseitigung des Staates Israel ist. In Syrien und dem Irak hat er durch die Förderung schiitischer Parteien wesentlich dazu beigetragen, die inter-konfessionellen Konflikte anzuheizen.

Wie ambivalent aber das Kriterium der "Stabilität" ist, zeigt der Bürgerkrieg in Syrien. Denn mit seiner Unterstützung von Baschar al-Assad gegen die Aufständischen setzt sich Teheran hier für den Erhalt des Status quo ein. Zurecht würde dennoch kaum jemand im Westen in diesem Fall Stabilität mit Legitimität gleichsetzen wollen. Wie in den meisten Ländern der Region bedeutet der Status quo hier vielmehr Repression und Gewaltherrschaft.

Syriens Machthaber Bashar Assad besucht Ayatollah Ali Khamenei, den Führer der Islamischen Republik Iran, am 25.02.2019; Foto: Leader.ir
Schulterschluss zwischen Teheran und Damaskus: Wie ambivalent aber das Kriterium der "Stabilität" ist, zeigt der Bürgerkrieg in Syrien. Denn mit seiner Unterstützung von Baschar al-Assad gegen die Aufständischen setzt sich Teheran hier für den Erhalt des Status quo ein. Zurecht würde dennoch kaum jemand im Westen in diesem Fall Stabilität mit Legitimität gleichsetzen wollen. Wie in den meisten Ländern der Region bedeutet der Status quo hier vielmehr Repression und Gewaltherrschaft.

Das Kriterium der "Stabilität" ist daher nicht der richtige Maßstab zur Beurteilung der Politik. Der Vorwurf der "Destabilisierung" geht aber auch deshalb in die Irre, weil der Iran im Libanon, im Irak und in Afghanistan seit Jahren die Regierung unterstützt und "stabilisiert". Im Irak ist es ganz wesentlich den iranischen Revolutionsgarden zu verdanken, dass der Vormarsch der Dschihadisten auf Bagdad und Erbil gestoppt und ihr "Kalifat" schließlich zerschlagen wurde.

Absurder Vorwurf

Schließlich klingt der Vorwurf der "Destabilisierung" auch deshalb hohl, weil es die USA waren, die mit dem Sturz von Saddam Hussein und ihrer verfehlten Politik in den Jahren danach mehr als jeder andere die Region destabilisiert haben. Ohne die katastrophale US-Intervention 2003 wäre es niemals zum Aufstieg der Dschihadisten gekommen. Und ohne den Sturz Saddam Husseins hätte der Iran niemals solchen Einfluss in Bagdad gewinnen können.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Vorwurf der USA, wonach der Iran der Grund allen Übels im Mittleren Osten sei, einfach absurd. Auch die Vorstellung, die Außenpolitik der Islamischen Republik sei vor allem ideologisch geprägt und auf Expansion angelegt, ist falsch. Das Paradigma des "Exports der Revolution" ist schon seit den 1980er Jahren mehr Rhetorik als handlungsleitend, und nationale Interessen sind für Teheran meist wichtiger als Ideologie.

Letztlich verhält sich der Iran nicht grundsätzlich anders als seine Nachbarn – als Nationalstaat nämlich, der sich in einem oft turbulenten Umfeld zu behaupten sucht und seine Interessen zu wahren und seinen Einfluss zu erweitern versucht. Teils tut er dies gewaltsam, teils diplomatisch, oft pragmatisch. Dies in Washington und anderen westlichen Hauptstadt anzuerkennen, würde helfen, zu einer realistischeren, nüchterneren Einschätzung des Iran zu kommen.

Ulrich von Schwerin

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