Wenn die Köpfe rollen
Die Berlinale hat den Ruf, das politischste aller großen Filmfestivals zu sein. In den vergangenen Jahren erwies sie sich mehrfach als sicherer Ort für iranische Filmemacher, die in ihrer Heimat von der staatlichen Zensur betroffen sind. Der Regisseur Jafar Panahi, der im Iran 2010 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde und dazu ein 20-jähriges Berufsverbot erhielt, ist eines der prominentesten Opfer.
Der iranische Filmemacher hat seitdem kreative Lösungen gefunden, um seiner Arbeit dennoch nachzugehen. Zwei seiner in dieser Zeit gedrehten Filme wurden in Berlin ausgezeichnet: "Pardé" erhielt 2013 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch, und "Taxi" gewann den Goldenen Bären zwei Jahre später.
Mani Haghighis Wettbewerbsbeitrag "Schwein" (Originaltitel: "Khook") thematisiert die Zensur in seinem Land durch seine fiktionale Geschichte über einen Regisseur, der auf der schwarzen Liste steht. Warum Hasan Kasmai, gespielt von dem bekannten iranischen Theaterschauspieler Hasan Majuni, Berufsverbot bekommen hat, erklärt der Film nicht, allerdings hat der Filmemacher eine Fangemeinde für Filme mit so schönen Titeln wie "Rendezvous im Schlachthaus". Außerdem besitzt er eine große Sammlung westlicher Rockband-T-Shirts, so ziert ein überdimensionales Poster von AC/DC-Gitarrist Angus Young seine Schlafzimmerwand.
Pestizid-Werbespots und eine senile Mutter
Während Kasmai darauf wartet, wieder arbeiten zu dürfen, dreht er Werbespots für Pestizide, in denen Frauen als Kakerlaken verkleidet sind. Doch nicht nur beruflich, auch privat läuft es nicht gut für Kasmai: Shiva Mohajer, die Schauspielerin, die er zum Star gemacht hat und die er liebt (gespielt von Leila Hatami, Gewinnerin des Silbernen Bären für "Eine Trennung"), will mit seinem Rivalen drehen, einem Regisseur künstlerisch anspruchsvoller und poetischer Filme. Wenigstens seine Mutter bewundert ihn noch. Allerdings scheint sie senil zu werden und flucht ständig.
Dass es sich bei "Schwein" um eine schwarze Komödie handelt, wird gleich in der Eröffnungsszene deutlich, als eine Gruppe junger Schulmädchen, die sich über die neuesten Social-Media-Kommentare unterhält, plötzlich vor einem abgeschlagenen Kopf steht. Offenbar macht ein Serienmörder Jagd auf die berühmtesten Filmemacher des Landes; in die Stirn seiner Opfer ritzt er das Wort "Schwein". Die Tatsache, dass sein Name nicht auf dieser Todesliste steht, trägt nicht eben zur Steigerung von Kasmais ohnehin angeschlagenem Selbstbewusstsein bei.
Im Iran sind soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter verboten: Der Plot spielt ironisch darauf an, wenn junge Frauen sich per Instagram auf die Suche nach dem Mörder machen - und schließlich auch Hasan selbst Instagram nutzt. Auch die Symbolik hinter den Enthauptungen ist überdeutlich in einem Land, dessen Regierung regimekritische Intellektuelle hat töten lassen, in einer Region, wo Enthauptungen in verschiedenen Ländern legal sind und wo dschihadistische Terrormilizen Geiseln regelmäßig auf diese Weise hinrichten.
Auf der Pressekonferenz in Berlin gab Regisseur Haghighi zu, dass er Sorge habe, seine ironische Herangehensweise könne das Thema verharmlosen. Gleichzeitig hoffe er, dass sein komödiantischer Film dazu beitragen könnte, die Tragödie besser zu verstehen: "Du kannst etwas nur ernst nehmen, wenn du darüber lachen kannst", sagte er.
Erdrückendes Vermächtnis
Es dauerte zwar eine gewisse Zeit, doch dann genehmigte das iranische Ministerium für Kultur und islamische Führung die "Schwein"-Dreharbeiten. In den iranischen Kinos soll der Film im März starten, und der Regisseur hat die Hoffnung, dass er dann nicht zensiert wird: "Die Dinge ändern sich gerade ständig, wir werden sehen."
Haghighis schwarze Komödie passt so gar nicht zum iranischen Kino, dessen minimalistischer poetischer Stil einiges mit dem italienischem Neo-Realismus und der französischen Nouvelle Vague gemein hat. Sein internationales Ansehen wuchs seit dem Film "Der Geschmack der Kirsche", mit dem der iranische Regisseur Abbas Kiarostami 1997 die Goldene Palme von Cannes gewann.
Weitere bekannte Vertreter des Genres sind Mohsen Makhmalbaf und seine Tochter Samira sowie Majid Majidi, dessen Film "Kinder des Himmels" als erster iranischer Film 1997 für einen Oscar nominiert wurde. Ebenfalls international bekannt sind Asghar Farhadi (Zweifacher Oscar-Gewinner für "Eine Trennung", 2011, und "The Salesman", 2017), und natürlich der Gewinner des Goldenen Bären 2015, Jafar Panahi ("Taxi").
Haghighi litt zunächst darunter, dass seine Arbeit nicht den etablierten Traditionen folgt. So wurde sein erster Film 2003 von den Festivals zurückgewiesen, weil er "nicht iranisch genug" sei. "Iranische Filme sollten simple humanistische Geschichten der Unschuld sein, mit minimalistischer Erzählstruktur, Laiendarstellern und realistischen Geschichten", erläuterte er in Bezug auf Kiarostamis Werke. "Viele dieser Filme liebe ich noch immer. Aber ich fühle mich auch gleichzeitig fast erdrückt vom Vermächtnis dieser großen iranischen Filmemacher."
Ermüdender westlicher Blick auf das iranische Kino
Haghighis unkonventionelle Arbeiten waren schon mehrfach auf der Berlinale zu sehen; neben "Schwein" wurden drei weitere seiner Filme auf dem Festival gezeigt: "Men At Work" (2006) und "Modest Reception" (2012) liefen in der Sektion "Forum", und "A Dragon Arrives!" nahm 2016 am Wettbewerb teil.
"Warum muss das iranische Kino ein Fremdenführer durch unser Land sein?", fragte der Filmemacher auf der Berlinale-Pressekonferenz. Er findet es ermüdend, dass der Westen immer nur sehen wolle, "wie stark wir unterdrückt werden." Mit seiner Darstellung von mutigen Frauen, einem Hard-Rock-liebenden Filmemacher und einer Bevölkerung, die süchtig nach Social Media ist, trägt "Schwein" sicherlich zur Veränderung dieser Wahrnehmung bei.
Zwar gab Haghighi zu verstehen, dass ihn die wiederholten politischen Fragen auf den Festivals "extrem ärgern", später aber präzisierte er, es gehe ihm vor allem darum, dass die Diskussion nicht allein auf seine politischen Ansichten beschränkt werde. Allerdings musste er zugeben, dass iranische Filmemacher kaum am Thema Politik vorbeikommen und so sei auch "Schwein" "natürlich ein politischer Film."
Elizabeth Grenier
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