Erziehung zu Frieden und Mitgefühl
"Ich mache diese Arbeit auch für die Zukunft", sagt Ibrahim Issa. Der Direktor der Hope Flowers School in Al Khader, nur wenige Kilometer von Bethlehem entfernt, steht im Eingang seiner Schule unter einem eingerahmten Foto von Martin Luther King: "Wie sollen wir eines Tages in Frieden mit den Israelis leben, wenn wir nicht jetzt den Weg dahin ebnen?", fragt er und sieht hinunter in den Schulhof, wo einige Schüler mit ihrer Lehrerin Spraydosen in bunten Farben auspacken.
300 Kinder besuchen insgesamt die 1984 von Issas Vater gegründete Schule. Wer hierher geht, entscheidet sich bewusst dafür, denn Hope Flowers ist aus mehreren Gründen besonders: Es handelt sich um eine der wenigen Schulen im Westjordanland, die autistische Kinder aufnimmt. Hier lernen sie, mit Traumatisierungen umzugehen. Gleichzeitig hat sich die Schule die Arbeit für Verständigung mit den Israelis auf die Fahnen geschrieben.
Der 46-Jährige Issa hat Lachfalten um die Augen und für gewöhnlich einen Witz auf der Zunge. Er trägt Jeans und Hemd, anders als viele andere Schuldirektoren in den palästinensischen Gebieten, von denen viele nur mit Krawatte ihre Schule betreten. "Für mich geht es darum, ich selbst zu sein", sagt er, "und aus tiefem Herzen zu geben."
Bei seinem Ziel, präsent zu sein, hilft ihm die morgendliche Meditation. Früh morgens, wenn alles still ist und die fünf Kinder und seine Frau noch schlafen, kommt er in der Stille zu sich und startet danach in einen arbeitsreichen Tag, der oft um sieben beginnt und erst um neun oder zehn Uhr abends endet.
Schule zwischen den Fronten
Eigentlich war etwas anderes für ihn vorgesehen: Nach seinem Schulabschluss ging Issa in die Niederlande, um Maschinenbau zu studieren. Nach seinem Masterabschluss wollte er diesen Weg fortsetzen. Doch dann starb im Jahr 2000 sein Vater, der Gründer der Hope Flowers School. Issa kehrte zurück, um seine Familie zu unterstützen. Kurz danach begann die Zweite Intifada und Hope Flowers stand buchstäblich zwischen den Fronten.
Auf dem Hügel der Siedlung Efrat, nur wenige hundert Meter von der Schule entfernt, standen Panzer des israelischen Militärs. Hinter der Schule verschanzten sich militante Palästinenser. Schüsse flogen, während die Kinder Mathematik und Arabisch lernten. Issa besorgte kurzerhand einen Bus, um die Kinder sicher Zuhause abzuholen und wieder nach Hause bringen zu können.
Schon damals, zu Beginn der Zweiten Intifada und inmitten von Schießereien, verstand er, dass man auch mit der gegnerischen Seite sprechen muss, um etwas zu erreichen: Immer wieder handelte er kurze Gefechtspausen mit dem israelischen Armeechef aus. Oft hatte er nur zwanzig Minuten, um sechzig Kinder in seinem Bus nach Hause zu fahren.
Selbst wenn Issa von solchen Ereignissen voller Gewalt erzählt, strahlt seine Haltung Ruhe aus und sein Gesicht bleibt entspannt. "Ich versuche, mir einen Satz meines Vaters zu Herzen zu nehmen", sagt er: "Echte Anführer können negative Energie in positive verwandeln."
Wie wichtig es auch für Issa selbst war, aus negativen Ereignissen dennoch positive Energie zu gewinnen, hat er im Jahr 2002 gelernt. Da riss das israelische Militär mit Bulldozern sein Haus nieder und steckte ihn ins Gefängnis. Nach einer Woche ließen sie ihn frei und sagten, sie hätten sich geirrt. Aber das Trauma saß tief. "Ein Jahr lang war ich nicht ich selbst." Ein niederländischer Freund und Psychotherapeut half ihm, mit den Erlebnissen umzugehen. Und so wurde aus diesem traumatischen Ereignis ein Segen. Denn es half ihm, zu seiner Bestimmung zu finden: Weitergeben, was er selbst erfahren und gelernt hatte.
Heute ist es für ihn ein Knackpunkt, die Kinder und Familien dazu zu bringen, auch über vermeintliche Schwächen zu sprechen: "In der stolzen palästinensischen Gesellschaft gehört sich das nicht." Er gründete das Projekt "Hear My Voice" und wurde 2004 der neue Direktor der Schule. Das Projekt läuft noch immer. Mittlerweile gehört dazu auch, andere Schuldirektoren und Lehrer dafür auszubilden, Traumatisierungen bei Schülern zu erkennen. Und nicht zuletzt auch bei sich selbst.
"Für mich ist es egal, woher jemand kommt"
Um eine friedliche Gesellschaft zu schaffen und Gewalt zu reduzieren, müssen offene Wunden heilen – davon gehen Issa und die Psychotherapeutinnen an der Schule aus. "Es ist nicht immer leicht, unter den hiesigen Bedingungen authentisch zu bleiben", sagt der Visionär Issa: "Aber am Ende sage ich immer wieder: Für mich ist es egal, woher jemand kommt. Ich kenne Palästinenser, mit denen ich mich nicht gut verstehe und Israelis, mit denen ich prima zurechtkomme."
Die Schule liegt im sogenannten C-Gebiet, also in den palästinensischen Gebieten, aber unter israelischer Kontrolle. Auf dem nächsten Hügel liegt die israelische Siedlung Efrat. Palästinensische Bauanträge werden in den C-Gebieten zu nahezu hundert Prozent abgelehnt, für zahllose Gebäude in diesen Gebieten gibt es einen Abrissbefehl. Auch für ein Teilgebäude der Schule.
Issa geht dennoch in den Dialog und spricht auch mit Israelis. Er stößt Kooperationsprojekte mit israelischen Institutionen an, derzeit arbeiten Sonderpädagogen der Hope Flowers-Schule gemeinsam mit israelischen Fachkräften an einem Programm für autistische Kinder.
Issa nickt in Richtung der Lehrerin auf dem Schulhof, die eine Spraydose in der Hand hält. "Sie war zunächst skeptisch angesichts die Zusammenarbeit mit Israelis, aber ich weiß nicht, wie viele israelische Facebook-Freunde sie mittlerweile hat."
Nicht alle sind einverstanden mit dem, was der Schuldirektor macht. Nationalistische Palästinenser lancieren Medienkampagnen gegen ihn und seine Schule, palästinensische und israelische Sicherheitskräfte befragen ihn regelmäßig.
"Friedensarbeit in Konfliktgebieten wie dem Westjordanland ist nicht einfach", sagt Issa und blickt in Richtung der israelischen Siedlung: "Viele halten mich für naiv. Sie können den Unterschied zwischen Kollaboration und Friedensarbeit nicht verstehen." Doch ihm hilft die Überzeugung, das Richtige zu tun und nichts verstecken zu müssen.
Ob er manchmal alles hinschmeißen möchte? Issa schüttelt den Kopf: "Ich bin wahnsinnig froh, in dieser Zeit und an diesem Ort zu leben." Er steht an der oberen Treppe neben der Eingangstür zur Schule, unter ihm sprühen die Schüler mittlerweile durch Schablonen Schmetterlinge auf das Pflaster des Schulhofes.
"Es ist schwer, in einem Konfliktgebiet zu leben", sagt er. "Aber es ist auch eine Möglichkeit, präsent zu sein und etwas zu bewirken, das bleibt."
Judith Poppe, Jahrgang 1979, lebt in Tel Aviv und ist seit 2019 Korrespondentin der Tageszeitung taz für Israel und die palästinensischen Gebiete. Aus dem Nahen Osten berichtet sie auch für weitere deutschsprachige Medien. Sie wurde an der Universität Göttingen mit einer Arbeit über deutschsprachige Lyrik in Israel promoviert.
Die Hope Flowers School will Traumatisierungen bei palästinensischen Kindern erkennen und sie darin unterstützen, diese zu verarbeiten. In Seminaren bilden Psychotherapeuten Lehrer und Schuldirektoren darin aus, mit Traumatisierungen umzugehen. Viele Projekte werden gemeinsam mit israelischen Institutionen durchgeführt. Damit will die Schule auch einen Beitrag zur Friedenserziehung leisten.
Das Förderprogramm zivik unterstützt zivile Akteure weltweit darin, Krisen vorzubeugen, Konflikte zu überwinden sowie friedliche gesellschaftliche und politische Systeme zu schaffen und zu stabilisieren. Mit ihrem Engagement ergänzen die Nichtregierungsorganisationen das Handeln staatlicher Akteure um wichtige Perspektiven und Akzente.