Bilder im Kopf

Die Realität in den arabischen Ländern sieht oft völlig anders aus, als sie in westlichen Medien dargestellt wird. Der Schein von den "substantiell anders gearteten Gesellschaften" der islamischen Welt trügt.

Von Sonja Hegasy

​​Jürgen Chrobogs Diktum, ob er denn mit dem fliegenden Teppich vom Jemen nach Hause hätte reisen sollen, bringt das Problem auf den Punkt. Wenn es um die Berichterstattung über die arabische Welt geht, dann bekommen wir immer dieselben Versatzstücke präsentiert: der fliegende Teppich, der Dieb von Bagdad, die verschleierte Frau und der betende Mann.

"Neo-orientalisierende" Bilder

Vom "Terror des Schleiers" bis zum "Schleier des Terrors" sind es immer wieder dieselben Kürzel, die eingesetzt werden, um die muslimische Welt zu beschreiben. Diese Beschreibung soll unseren Seh- und Hörgewohnheiten sowie "neo-orientalisierenden" Bildern entsprechen.

Was nicht passt, wird als widersprüchlich zu den eigenen Bildern im Kopf wegretuschiert. Überraschungen bleiben so aus.

Die zweite Merkwürdigkeit in der Berichterstattung über die arabische Welt, ist die Tatsache, dass sie offensichtlich als ein Hort der Gesetzestreue wahrgenommen wird.

Bei der Beschreibung, was in der arabischen Welt angeblich passiert, stützen wir (und damit meine ich sowohl Wissenschaftler als auch Journalisten) uns gerne auf Gesetzes- und Religionstexte: Die Scharia sagt... der Koran fordert..., das Familienrecht schreibt vor..., Satellitenschüsseln sind verboten..., das Internet wird zensiert... vorehelicher Geschlechtsverkehr ist nicht erlaubt... etc.).

Falsche Wahrnehmung der Realität

Nur dass, diese Normen und Gesetze genauso häufig und kreativ umgangen werden, wie in westlichen Gesellschaften, wird selten hinterfragt. Wenn wir für die arabische Welt hören, die "Frau darf nicht...", dann denken alle, dass sie das auch nicht tut.

Man kann die islamische Welt aber nicht verstehen, wenn man nicht auch die kleinen und großen Tricks kennt, Verbote zu umgehen. Wer im Ernst glaubt, dass es keinen vorehelichen Sex in der arabischen Welt gibt, sollte sein Bild von den Gesellschaften des Nahen Ostens auf jeden Fall überdenken.

Ein Text, der wiederholt mit arabischen Begriffen arbeitet, vermittelt dem deutschen Leser immer unbewusst, es handele sich hierbei um eine substantiell anders geartete Gesellschaft.

Ich bin gegen wissenschaftliche und publizistische Kulturalisierung globaler Konflikte. Eine differenzierte Berichterstattung bedeutet nicht, dass Konflikte weg- oder schön geredet werden.

Aber es bedeutet, dass islamisch geprägten Gesellschaften dieselbe differenzierte Berichterstattung zusteht, wie der Gesellschaft, in der wir leben. Die Beobachtung, dass es FKK an der Ostsee gibt, bedeutet nicht, dass das Christentum Nacktheit an kalten Gewässern vorschreibt.

Die Worte Scharia oder Kadi mögen inzwischen eingedeutscht sein. Bei fatwa hört dieses Allgemeinwissen allerdings häufig schon auf, denn seit der fatwa gegen Salman Rushdie wird das Wort zum Teil mit "Todesurteil" und nicht mit "Rechtsmeinung" übersetzt.

Sprachverwirrungen

Anders gesagt, der Satz "Der Kadi ging auf den Bazar, um eine gerechte fatwa auszusprechen" wird sofort Fremdheit evozieren und im Kopf des Adressaten wahrscheinlich Bilder eines dicklichen Turbanträgers auslösen, der sich durch unübersichtliche Gassen drängt. Niemand wird an einen unabhängigen Richter denken. Der Einsatz "arabischer" Worte wird häufig mit Expertentum verwechselt.

Wissen ist aber das Gegenteil: Experte muslimischer Gesellschaften wird man nicht durch die Kenntnis des Wortes ulema, sondern durch die Fähigkeit der richtigen Übersetzung des Wortes mit Rechts- und Religionsgelehrte.

Meine Erfahrung zeigt, dass es schwieriger ist, Fernsehbilder zu beeinflussen. Kein Film ohne ausgiebige Sequenzen betender Muslime von hinten. Kein Buch über Frauen in der arabischen Welt ohne eine verschleierte Frau auf dem Buchdeckel.

Aber wir können auch feststellen, dass sich Redaktionen zunehmend gerade für Texte interessieren, die sie als "anti-intuitiv" oder "thought-provoking" empfinden – so zumindest die Rückmeldungen.

Einen Satz aber scheinen sich Journalisten aller Medien nicht nehmen zu lassen. In Bezug auf Frauen schreiben sie, dass diese in der arabischen Welt "noch immer mit dem Rücken zur Wand stehen" – ein bedeutungsloses Versatzstück, das sich in Bezug auf Musliminnen verselbstständigt hat.

Sonja Hegasy

© Qantara.de 2006

Sonja Hegasy ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Direktion des "Zentrums Moderner Orient" (ZMO) und leitet dort die Öffentlichkeitsarbeit.