Welcher Islam?
Kaum eine Partei ist für ihn. Aber gleichzeitig weiß kaum jemand ihn näher zu definieren. Er erfüllt die Funktion eines mit beliebigem Inhalt füllbaren, aber doch leeren Begriffes. Nicht näher bestimmt, in der allgemeinen Unwissenheit und Unkenntnis aber leicht als dämagogisches Schreckgespenst zu verwendendes Monster: Die Rede ist vom politischen Islam.
Für Österreichs sozialdemokratischen Bundeskanzler Christian Kern gibt es "unübersehbare Probleme" mit diesem. Und selbst die meist konsistent anti-rassistisch agierenden Grünen lassen ihn in ihrem Wahlkampfprogramm nicht vermissen. Auch wenn sie vermutlich etwas anderes darunter verstehen, als die FPÖ.
Zumindest gilt das für den von den Parteien entworfenen Gegenpol. So präsentiert die FPÖ den Verein "Initiative Liberaler Muslime Österreichs" (ILMÖ) als Alternative zum politischen Islam. Wenig verwunderlich, dass diese ILMÖ selbst ein ebenso stereotypes Islambild Seite an Seite mit dem Wiener Akademikerbund verbreitet, das den Muslimen eine Integration im Sinne von Assimilation vorschlägt. Und Österreichs Grüne präsentieren die "Demokratischen Muslime" als Gegenpol, ohne darauf näher einzugehen.
Das wichtigste Narrativ wurde aber vom Juniorpartner in der Regierung entworfen: Dem politischen Islam müsse ein Islam europäischer Prägung entgegengesetzt werden, heißt es dort schon seit Jahren. Viel Tinte und finanzielle Mittel sind in dieses Vorhaben geflossen: Das Narrativ des von der ÖVP geführten Integrationsressorts (zu Zeiten des Integrationsstaatssekretariats ebenso wie später im Integrationsministerium) zu stärken, wonach im Wesentlichen die etablierten muslimischen Akteure wie jene der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich in die Nähe des politischen Islams gestellt werden und gleichzeitig ein staatlich gestützter Islam forciert wird.
Politische Instrumentalisierung von Wissenschaft?
Das offenbarte sich insbesondere im gegenwärtigen Nationalratswahlkampf: Die von der Wochenzeitschrift Falter geleakten Emails zwischen Ednan Aslan, der den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien inne hat, legen eine politische Instrumentalisierung von Wissenschaft nahe. Ebenso zeigen dies weitere sogenannte Forschungen, deren Inhalte meist von politisch genehmen Wissenschaftlern gefertigt und präsentiert werden, um deren Ergebnisse nach einer selektiven und zugespitzten Lesart der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Alleine unmittelbar in die Hochphase des Wahlkampfs fallen hier etwa der Bericht zur Muslimbruderschaft in Österreich sowie der Wiener Moscheebericht. Wissenschaftlich sind sie beide höchst fragwürdig: Ersterer besteht aus einer Unmenge an indirekten Eigenzitaten und kommt zum Ergebnis, dass eigentlich nur eine Person in Österreich mit Sicherheit als Muslimbruder bezeichnet werden kann, damit im Anschluss Heiko Heinisch als externer Experte diesen Bericht kommentiert und eine Gefahr der Muslimbruderschaft zeichnet, die der heimische Verfassungsschutz völlig anders betrachtet.
Der gleiche Autor ist zwei Wochen später Autor des Moscheeberichts, welcher ebenso wie erster vom Österreichischen Integrationsfonds, einem offiziellen Partner des von Sebastian Kurz geführten Ministeriums mitfinanziert wird. Der diplomierte Historiker avancierte für die Öffentlichkeit wie aus dem Nichts zum Islamexperten. Unabhängig von den - sozialwissenschaftlich betrachtet - methodischen Schwachstellen wird ebenso wenig gesagt, dass der Studienautor Mitarbeiter des höchst umstrittenen Ednan Aslan, dem gerade eine Prüfung durch die Universität Wien wegen des Vorwurfes der politischen Intervention in seinen Kindergartenbericht bevorsteht, ist.
Ein von der Politik instrumentalisierter Islam
Der gleiche Aslan ist seit Jahren der wichtigste Tonangeber zur Verbreitung des von Sebastian Kurz unterstützten Narrativs eines Islams österreichischer/europäischer Prägung. Und da springt auch ein nach Deutschland ausgewanderter Theologe namens Mouhanad Khorchide ein und erklärt frohlockend, Kurz sei kein Islamhasser und Muslime sollten aufhören, sich in der Opferrolle zu sehen. Und so etwas just zu einem Zeitpunkt, zu dem niemand mehr die Instrumentalisierung des Islams durch politische Akteure übersehen kann. Khorchide meint dem zu Trotz, Aufgabe der Politik sei es, "den Akteuren des aufgeklärten Islam mehr Bühne zu geben, statt wie bislang hauptsächlich den politischen Islam zu unterstützen".
Aber sollte es nicht gerade einen Islamwissenschaftler und Religionspädagogen wie Mouhanad Khorchide nachdenklich stimmen, dass der "Österreichische Integrationsfonds" und das Integrationsministerium gerade Personen wie ihn selbst, hoch fragwürdige "Akademiker" wie Aslan, profilierte Islamophobe wie Hamed Abdel-Samad und Seyran Ates eine Bühne gibt, um diese als die aufgeklärten Muslime zu stilisieren und gegen den – nie näher bestimmten – politischen Islam zu aufzustellen?
Und wer ist dieser politische Islam, dem seiner Ansicht nach ständig die Bühne gegeben wird, wenn nicht die genannten Personen, die omnipräsentiert im österreichischen Islam-Diskurs sind? Und wenn für den umstrittenen österreichischen Journalisten und Politikberater Peter Puller Gelder in der Höhe rund 180.000 Euro hätten fließen sollen, damit er auf die Bedrohung des politischen Islams aufmerksam macht: Was bedeutet dies dann für den mit ihm in Kontakt stehenden Efgani Dönmez, der auf fünfter Stelle der türkis Bundesliste steht? Was bedeutet die Unterstützung von Dönmez' Initiative durch einen Theologen wie Khorchide? Und ist nicht gerade diese Instrumentalisierung der Religion, wie wir sie vonseiten des Integrationsministeriums sehen, ein Paradebeispiel für die Politisierung von Religion? Ein politischer Islam quasi unter anderem Vorzeichen? Ein politischer Islam österreichischer Prägung?
Farid Hafez
© Qantara.de 2017
Farid Hafez ist Politikwissenschaftler und Senior Research Fellow der Bridge Initiative an der School of Foreign Service, Georgetown University.